„Mystery Shopping wird abgeschafft“

Ärzte Krone: Sie haben nicht nur das größte Ressort in der neuenRegierung, sondern auch die meisten Reformvorhaben vor sich – Stichwort Sozialversicherungen, Gesundheitsreform, Mindestsicherung. Bereits die ersten 100 Tage waren recht turbulent, wenn man etwa an die Raucherdebatte oder die Unfallversicherung denkt.
Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?

Beate Hartinger-Klein: Im Gesundheitsbereich war ein Durchbruch sicherlich die Finanzierung der Lehrpraxen – zum Glück gab es hier endlich eine Einigung. Es erscheint mir sehr wichtig, dass angehende Ärzte auch beide Seiten kennenlernen können. Selbst wenn sie später ins Spital gehen oder Facharzt werden, kennen sie dann dennoch auch die Seite der Allgemeinmediziner. Ein anderer wichtiger Schritt war der Start der E-Medikation und die Einigung über die Finanzierung. Gerade die Digitalisierung im Gesundheitsbereich ist ein Leuchtturmprojekt für mich.

Ein ebenfalls heikles Thema, wenn man an die Diskussionen dervergangenen Jahre im Gesundheitsbereich denkt …

Wir hatten gerade kürzlich ein Pressegespräch mit der Österreichischen Diabetesgesellschaft und deren Präsidentin, Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer. Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Data Science beeinflussen schon heute die Diabetesversorgung und die Präventionsarbeit in Österreich. Menschen mit Diabetes können Nutzen aus der modernen Telemedizin ziehen. Best-Practice-Beispiele sind etwa DiabCare in Tirol und der Gesundheitsdialog Diabetes der Versicherung für Eisenbahn und Bergbau. Es ist mir ein Anliegen, dass die Betroffenen bestmöglich in ihrer Autonomie hinsichtlich des Krankheitsmanagements unterstützt werden. Für ein möglichst einfaches, aber effizientes Selbstmanagement der Krankheit kommt den Patienten die Digitalisierung als zeitgemäße treibende Kraft der Qualitätsverbesserung zu Gute. Durch Informations- und Kommunikationstechnologien wird das Therapie-Selbstmanagement einer Krankheit wie Diabetes optimiert. Telemonitoring unterstützt die Patienten im Alltag und sorgt für eine digitale Vernetzung mit eingebundenen Gesundheitsdienstleistern zu Gunsten einer bestmöglichen Betreuung der Patienten.

Zuletzt gab es Diskussionen über Regierungspläne, persönliche Daten der Österreicher für die Forschung freizugeben, darunter auch Informationen der elektronischen Gesundheitsakte ELGA. Wie stehen Sie dazu?

Seitens meines Ministeriums wird es definitiv keine Freigabe zur Weitergabe der ELGA-Daten, insbesondere für Forschungszwecke, geben. Wie Justizdaten und das Strafregister müssen ebenso ELGA-Daten im Forschungsorganisationsgesetz ausgeschlossen werden. Wir werden daher einen Abänderungsantrag einbringen, um diese hochsensiblen Gesundheitsdaten zu schützen. Eine missverständliche Formulierung im Forschungsorganisationsgesetz wurde von uns bereits in der Begutachtung strikt abgelehnt. Wie im ELGA-Gesetz geregelt, werden auch künftig nur die Patienten selbst und ausschließlich die tatsächlich behandelnden Ärzte ELGA-Daten abfragen dürfen. Die Patienten können immer kontrollieren, wer Einsicht auf ihre Daten hat. Die ELGA-Gesundheitsdaten werden auch nur in Österreich gespeichert.

Für Wirbel hat auch die Diskussion über die Unfallversicherung gesorgt. Wie sehen Ihre Pläne hier eigentlich genau aus?

Es geht mir um eine Reform. Mir ist es wichtig, Patienten und Versicherte in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht weder um eine Schließung von Spitälern noch um eine Zerschlagung. Ich will hier auch alle medizinischen und fachlichen Experten einbeziehen. Ich will wissen, was die Medizin am meisten braucht und wie die beste Versorgung für die Bevölkerung aussieht. Und erst dann sollten wir über die Finanzierung reden. Bisher ziehen wir es im Gesundheitswesen immer umgekehrt auf und reden zuerst über das Geld. Wir zäumen das Pferd von hinten auf. Ich denke etwa an die Traumazentren. Hier gab es bereits 2014 eine Studie im Zusammenhang mit der AUVA, die aber nie umgesetzt oder angegangen wurde.

Wie soll dieses Einbeziehen von Experten aussehen?

Als Gesundheitsministerin brauche ich ein fachliches und medizinisches Empfehlungsgremium. Ein solches ist der Oberste Sanitätsrat. Nach dem Rücktritt der Vorsitzenden, Frau Professor Schwarz, will ich die wichtigsten medizinischen Fachgesellschaften einladen, hier Vertreter zu nominieren. Aus diesem Kreis muss dann ein Vorsitzender gewählt werden. Mein Vorschlag ist der Rektor der Medizinuniversität Wien, Markus Müller. Aber er muss natürlich erst gewählt werden. Der OSR soll dann Leitlinien und Empfehlungen ausarbeiten. Hier geht es mir auch um Wertschätzung der Fachgesellschaften und der dort vertretenen Experten. Das gilt auch für die Allgemeinmedizin.

Dort gab es zuletzt den Wunsch nach höheren Honoraren und mehr Wertschätzung.

Auch hier gilt, dass wir überlegen müssen, was die Menschen und die Ärzte brauchen, um optimal arbeiten und die Menschen gut versorgen zu können. Erst dann sollten wir darüber reden, welche Mittel dafür nötig sind. Wenn wir über Wertschätzung sprechen, geht es etwa auch um Vertrauen. Das möchte ich stärken und will deshalb auch das Mystery Shopping der Krankenkassen abschaffen. Vertrauen darf nicht missbraucht werden. Es gibt andere Möglichkeiten zur Kontrolle, um schwarze Schafe zu finden. Das gilt auch für die Öffnungszeiten: Wir brauchen auch hier keine Kontrollen oder Stempeluhren. Wir benötigen Vertrauen zwischen den Vertragspartnern. Der beste Kontrolleur ist immer noch der Patient. Wir reden ja auch über neue Formen der Zusammenarbeit und flexible Arbeitszeiten. Wenn die Ärzte zu lange arbeiten müssen, sollten wir uns ansehen, wie die Versorgungsstruktur im jeweiligen Fall aussieht. Hier haben wir es ja mit unterschiedlichen Patientengruppen und Indikationen zu tun. Unter Wertschätzung verstehe ich, dass wir hier fragen, was gebraucht wird.

Letztlich wird es aber auch ums Geld gehen …

Wir müssen überlegen, was die Anforderungen für die Menschen sind. In der Honorarordnung stehen etwa viele alte Positionen drin, und neue technische Möglichkeiten fehlen teilweise. Letztendlich sollte aber auch jeder Arzt auf der Basis des hippokratischen Eides zuerst fragen, was ein Patient braucht. Verstehen Sie mich nicht falsch – natürlich muss ein Arzt auch entsprechend verdienen. Es geht aber auch um Fragen, wie Ärzte mehr Zeit für Patienten haben können und wie eine optimale Work-Life-Balance aussehen kann. Dafür benötige ich Fachexperten im OSR. Hier müssen wir uns gemeinsam Lösungen überlegen. Es gilt auch Wege zu finden, wie man junge Ärzte motivieren kann, in Österreich zu bleiben, den Beruf auszuüben und auch Allgemeinmediziner zu werden. Hier werden sich auch die Regionen etwas überlegen müssen und Angebote machen, um die Ärzte in den ländlichen Raum zu locken. Es ist ja auch schön, in einer tollen Gemeinde am Land als Allgemeinmediziner zu arbeiten. Dafür braucht es dann aber entsprechende Netzwerke. Die Jungen wollen das, um mit anderen Gesundheitsberufen zu kooperieren.

Die Regierung will aber die Gebietskrankenkassen zusammenlegen. Ist das nicht ein Widerspruch, wenn man eine Zentralisierung plant und gleichzeitig auf regionale Lösungen pocht?

Nein. Für die Klärung regionaler Bedürfnisse wollen wir auch künftig die Landesstellen behalten. Das gilt auch für geografische Situationen, wo man individuelle Lösungen suchen muss – etwa, wenn es um Arztstellen in Tälern geht. Es gilt generell: Dezentral, was dezentral nötig ist – und zentral, was es braucht.

Was sind Ihre Pläne für die nächsten 100 Tage?

Das Nächste, was wir angehen wollen, ist die Anstellung bei Ärzten und die Ausweitung des Mutter-Kind-Passes als Jugendpass. Ein wichtiges Thema ist auch die Information von Gesundheitsberufen im Hinblick auf das Impfen. Ich will das nicht verpflichtend für Gesundheitsberufe machen, aber hier eine Informationskampagne starten. Es geht nicht nur um eine Vorbildfunktion gegenüber den Patienten, sondern vor allem um den Schutz der Gesundheitsberufe selbst. Ich kann es mir als Gesundheitsministerin nicht leisten, wenn etwa in einer Grippezeit alle Gesundheitsdienstleister an Grippe erkranken. Auch im Hinblick auf Zahngesundheit – gerade bei Kindern – soll es Verbesserungen geben.