Neue Studie beziffert Sparpotenzial in Kassen

„Betriebswirtschaftliches Gutachten zur ökonomischen Vorteilhaftigkeit der Sozialversicherungs-Strukturreform“ steht auf dem 29-seitigen Gutachten, das das Zeug für neue Debatten im Gesundheitsbereich hat. Autoren sind das Beratungsunternehmen Contrast EY Management Consulting und namentlich der WU-Professor Univ.-Prof. Dr. Werner H. Hoffmann und Tobias Knoll, MSc. Datiert ist die Studie mit Juni 2019. Auftraggeber ist das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz.

Potenzial in Verwaltung

„In der Verwaltung sehen wir die größten Potenziale zur Effizienzsteigerung in der Reduktion von Personalkosten durch Prozessoptimierung und -automatisierung, unter anderem durch die Schaffung von Shared Service Centers, Kompetenz- und Kundenservicezentren, in der gemeinsamen Beschaffung von Verwaltungsgütern und -dienstleistungen sowie von Heilbehelfen und Hilfsmitteln und in der Senkung der IT-Kosten durch die Etablierung eines gemeinsamen IT-Dienstleisters“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. In Summe schätzen die Autoren das „erzielbare nachhaltige Kostensenkungspotenzial“ auf jährlich 300 Millionen Euro – mit einer Bandbreite von 277–337 Millionen.

Sie bestätigen damit, was die ehemalige Regierung vorgegeben hat – dass die Reform eine Milliarde einsparen wird. Zentrale Aussage dabei: Die Realisierung wird nicht einfach und „erfordert ein professionelles Integrationsmanagement sowie die konsequente Reorganisation der Verwaltungsstrukturen und -abläufe“. Und: Das gesamte Potenzial wird erst nach fünf Jahren voll wirksam werden. Die Autoren warnen gleichzeitig vor dem Zeitdruck und davor, dass das Vorhaben „kein Selbstläufer ist, sondern eine anspruchsvolle Managementaufgabe darstellt“. Dazu komme, dass Studien von privatwirtschaftlichen Unternehmensfusionen belegen, dass etwa die Hälfte nachträglich betrachtet nicht erfolgreich seien. Dennoch sehen die Autoren das „Realisationsrisiko“ als „durchaus vertretbar beziehungsweise beherrschbar“, denn „aufgrund der hohen versorgungspolitischen Bedeutung des Funktionierens des SV-Systems und des Verantwortungsbewusstseins aller Akteure sowie aufgrund der offensichtlich erzielbaren Effizienz- und Effektivitätsvorteile“ seien die Rahmenbedingungen für die Reform gut.

Kritik von Ärztekammer

Allerdings zeichnen sich bereits erste Widerstände ab. „Das rechnet sich in der Theorie recht schön. In der Praxis geht sich das aber nicht aus“, wettert Ärztekammer-Vizepräsident MR Dr. Johannes Steinhart. Denn das Papier ortet in der „Bündelung und Stärkung der Verhandlungsmacht gegenüber den Vertragspartnern (insbesondere den Ärzten beziehungsweise der Ärztekammer) einen Kostenvorteil“. Steinhart von der Ärzte Krone damit konfrontiert: „Das bestätigt unseren Verdacht, dass die Reform auf dem Rücken der Leistungserbringer und Patienten erbracht werden soll. Das lehnen wir entschieden ab.“ Steinhart fordert umgekehrt umgehend die versprochene Patientenmilliarde ein.

Bis zu 1.500 Jobs weniger

Auch innerhalb der Sozialversicherung gibt es Widerstände, rechnen die Autoren der Studie doch damit, dass in den kommenden fünf Jahren nur zwei Drittel oder gar die Hälfte der ausscheidenden Mitarbeiter nachbesetzt werden müssen. Das ergebe ein Potenzial zur Personaleinsparung von 1.000 bis 1.500 Vollzeitstellen. Andreas Huss, Vizeobmann in der Österreichischen Gesundheitskasse, kann die Zahlen nicht nachvollziehen und fordert einen stärkeren Fokus auf Versorgungsfragen. „Wir beschäftigen uns derzeit leider nicht mit Versorgungsfragen, sondern nur mit organisatorischen Themen. Man darf hier nicht vergessen, dass wir allein bei der ÖGK neun Großunternehmen mit 13.000 Beschäftigten und einem Budget von 14 Milliarden Euro in neun Monaten zumindest unternehmensrechtlich zusammenlegen müssen. Ich bin kein Gegner einer zentralen Steuerung, aber so wie das angedacht ist, verlieren wir die zentralen Themen aus dem Blick“, sagt Huss. Dazu gehören für ihn einheitliche Leistungen für alle Krankenversicherten, der Ausbau der hausärztliche Versorgung, der Ausbau der kassenfinanzierten Psychotherapie sowie die Harmonisierung der Physiotherapie, die „Umsetzung der stockenden Primärversorgungsstrategie“, die Forcierung von Disease-Management-Programmen, eine einheitliche Versorgung der Menschen mit teuren Medikamenten sowie Prävention und Gesundheitsförderung mit dem Ziel, Gesundheitskompetenz zu steigern. „Das Geld dafür wäre vorhanden, es geht aber nur in die Fusion.“

Debatte um Verwaltungsaufwand

Spannend in der Rechnung der Studie ist, dass die Autoren die Verwaltungs- und Verrechnungskosten der Sozialversicherung für das Jahr 2017 nicht wie von dieser veröffentlicht mit 1,228 Milliarden Euro ansetzen, sondern mit 1,571 Milliarden. Grund dafür seien verschiedene Studien der Vorjahre, die den tatsächlichen Aufwand höher ansetzen. Überraschend: Die Differenz macht demnach 343 Millionen aus – das von den Autoren maximal angesetzte mögliche Sparvolumen pro Jahr liegt bei 337 Millionen. Erreicht werden sollen diese durch Einsparungen in der Verwaltung, pro Jahr 95 bis 112 Millionen, in der Beschaffung 155 bis 185 Millionen und durch die Optimierung der IT: 27 bis 40 Millionen. Die Realisierung dieses Einsparungspotenzials erfordere allerdings „die konsequente Vereinheitlichung, Bündelung und Automatisierung von Verwaltungsaktivitäten“, schreiben die Studienautoren. Als Maßnahmen nennen sie Shared Service Center für administrative Routinetätigkeiten (wie die Lohn- und Gehaltsverrechnung und die Vertragspartnerabrechnung), Kompetenzzentren für wissensintensive, innovative Verwaltungsaufgaben (wie die Entwicklung und Ausrollung von Integrierten Versorgungskonzepten und Disease-Management-Programmen) sowie die Etablierung von trägerübergreifenden Kundenservicezentren als Beratungszentren für die Versicherten.

Verkauf von Immobilien

Zusätzliche, aber einmalig entstehende Kosten in der Höhe von 300 bis 400 Millionen sollen durch Einmaleffekte wie den Verkauf von Immobilien, die durch die „räumliche Konzentration von Verwaltungseinheiten“ eingespart werden, gedeckt werden. Steinhart ortet hier ein Abrücken von der von der Regierung versprochenen Regionalität. Diese brauche es aber, um die optimale Versorgung der Bevölkerung erreichen zu können. „Sowohl von der Leistung her als auch der Versorgung muss man regional arbeiten“, sagt Steinhart.