Neurologie im Fokus

Die EU erklärte gemeinsam mit dem European Brain Council den Mai 2013 zum „European Month of the Brain“. „Das spiegelt das vermehrte Augenmerk auf die Hirnforschung in den letzten Jahren wider“, sagt Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Abteilung für Neurologie, Donauspital/SMZ Ost, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN). „Erkrankungen des Gehirns verursachen nicht nur erhebliches Leid und Verlust an Lebensqualität, sondern auch enorme Kosten“, so die ÖGN-Präsidentin. „Die Belastung der europäischen Volkswirtschaften durch neuropsychiatrische Erkrankungen wird auf 798 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Neurologische Erkrankungen haben mit insgesamt 220 Millionen Betroffenen daran einen erheblichen Anteil.“
Die jüngsten vom European Brain Council publizierten Zahlen (The Cost of Disorders of the Brain in Europe 2010) zeigen die Demenz mit Kosten von 105 Milliarden Euro an erster Stelle. Eingeschlossen in die Berechnung sind die 27 EU-Staaten sowie die Schweiz, Norwegen und Island. Der Schlaganfall verursacht in Europa jährliche Kosten von 64,1 Milliarden Euro, Kopfschmerzen 43,5 Milliarden, Schlafstörungen 35,4 Milliarden und Kopfverletzungen 33 Milliarden. Hohe Kosten entstehen auch durch vergleichsweise seltenere Erkrankungen wie multiple Sklerose (14,6 Milliarden), Morbus Parkinson (13,9 Milliarden) und neuromuskuläre Krankheiten (7,7 Milliarden).
„Viele neurologische Krankheiten treten mit zunehmendem Alter häufiger auf, somit ist aufgrund der steigenden Lebenserwartung ein deutlicher Anstieg zu erwarten“, so Katzenschlager. „So gehen Schätzungen bei der Zahl der jährlichen Schlaganfälle von einer Verdopplung bis 2030 aus, bei der Parkinson-Erkrankung von einer Verdreifachung und bei Demenz-erkrankungen von einem Anstieg um fast das Zweieinhalbfache bis zum Jahr 2050.“

Ausgezeichnete Versorgung und wissenschaftliche Leistungen beim Schlaganfall

„Österreich und die österreichische Neurologie haben in der Erforschung und in der Therapie sowohl des Schlaganfalls als auch der multiplen Sklerose (MS) viel geleistet und können in mancher Hinsicht durchaus als vorbildlich bezeichnet werden“, so Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie, Graz.
„In Österreich haben wir derzeit ein Netzwerk von derzeit 35 Stroke Units, die für die Mehrzahl der Österreicher innerhalb von 45 Minuten erreichbar sind. Dieses Netzwerk gilt auch international als vorbildlich“, so Fazekas. „Darüber hinaus werden die Daten und Ergebnisse aus den Stroke Units auch in einem österreichweiten Register unter Federführung der Gesundheit Österreich GesmbH. erfasst. Dies dient einerseits der ständigen internen Qualitätskontrolle. Andererseits können die Daten zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen herangezogen werden. Auch da hat sich die österreichische Neurologie international einen Namen gemacht“, so Fazekas.

Register tragen zur Qualitätssicherung bei

In Österreich leben 8.000–10.000 Patienten mit multipler Sklerose (MS). „Zum Glück haben wir aber immer bessere therapeutische Möglichkeiten“, so Fazekas. „Die österreichischen Universitäten und neurologischen Kliniken haben einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung. Die Medizinische Universität Graz hat entscheidende Vorarbeit für die Erstellung der internationalen Diagnosekriterien geleistet, die es heute möglich machen, MS sehr früh zu diagnostizieren.“
Am Hirnforschungsinstitut in Wien sowie in Innsbruck fanden für das Verständnis der histopathologischen und immunologischen Abläufe entscheidende Forschungen statt.
Fazekas: „Hinsichtlich der Therapie haben sich die Optionen ebenfalls deutlich verbessert. Heute steht neben den Interferonen und Glatirameracetat auch ein monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der das Eindringen der aktivierten Lymphozyten – also aggressiver Immunzellen – in das Gehirn verhindert. Mit Fingolimod gibt es jetzt auch ein MS-Medikament, das nicht injiziert werden muss, sondern oral eingenommen wird. Es verhindert, dass die aggressiven Immunzellen aus den Lymphknoten austreten. Weitere Medikamente, die in das Immunsystem eingreifen, stehen kurz vor der Zulassung.“

Aktuelle Entwicklungen in der Parkinson-Krankheit

Die Parkinson-Krankheit gehört zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen – für Österreich schätzt man mindestens 16.000 Betroffene, ca. 2.000 Neuerkrankte dürften jährlich hinzukommen. „Obwohl die Parkinson-Krankheit nach wie vor nicht heilbar ist, gehört sie inzwischen doch zu den am besten behandelbaren neurodegenerativen Erkrankungen“, so Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Geschäftsführender Direktor des Department Neurologie und Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck.
Im Zentrum der Therapie steht unverändert der medikamentöse Dopaminersatz – basierend auf einer Entdeckung von Wiener Forschern vor mehr als 50 Jahren. „Die pharmakologische Forschung hat in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von neuen und hoch wirksamen Dopaminersatzstoffen hervorgebracht, sodass Menschen mit Parkinson-Krankheit ein breites Spektrum an individualisierter Therapie angeboten werden kann“, erklärt Poewe. „Hierzu gehören auch technologisch anspruchsvolle Verfahren, wie verschiedene Medikamentenpumpen und die tiefe Gehirnstimulation.“
Die optimale Wirkung krankheitsmodifizierender Therapien ist aber an eine möglichst frühe Erkennung der Parkinson-Krankheit gebunden. Auch hier gibt es bedeutsame Fortschritte zu verzeichnen – vor allem durch die Erkenntnis von Veränderungen, welche dem Ausbruch der klassischen motorischen Symptome der Krankheit vorausgehen. „Viel Aufmerksamkeit haben in diesem Zusammenhang relativ einfache Testmethoden, wie Geruchstests oder Ultraschalluntersuchungen des Gehirns gefunden, wo österreichische Gruppen im internationalen Verbund zeigen konnten, dass Merkmals-träger ein deutlich erhöhtes Risiko haben, an Parkinson zu erkranken“, so Poewe. „Besonders aktuell sind jüngste Erkenntnisse zu Veränderungen in den Nervengeflechten der Darmschleimhaut, die bereits vor Ausbruch einer Parkinson-Krankheit erkennbar sind und für die, mit der bereits im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen etablierten Darmspiegelung, eine Nachweismöglichkeit besteht.“

Im September wird Wien„Welthauptstadt der Neurologie“

Dass die österreichische Neurologie international einen ausgezeichneten Ruf genießt, bestätigt auch die Tatsache, dass Wien im September die Gastgeber-Stadt des 21. World Congress of Neurology (WCN 2013) sein wird.
„Der Weltkongress der Neurologie ist der weltweit größte und wichtigste wissenschaftliche Event unseres Faches. Wir erwarten zu diesem Großereignis, das bereits zum zweiten Mal in Wien stattfindet, 8.000 bis 10.000 Teilnehmer aus aller Welt. Inzwischen liegen uns mehr als 2.500 Anmeldungen für Posterbeiträge vor, was als Hinweis dafür zu werten ist, dass es sich voraussichtlich um den größten WCN handeln wird, den es je gegeben hat“, so Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident des WCN 2013, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien. Das Motto des WCN 2013 lautet „Neurologie im Zeitalter der Globalisierung“.

Quelle: Pressekonferenz der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, 13. Mai 2013