Onkologische Rehabilitation: vom Überleben zum Leben

Ziel der onkologischen Rehabilitation, ist die Gesundheit, Aktivität und Leistungsfähigkeit des Patienten wiederherzustellen und die berufliche sowie soziale Integration zu unterstützen. Durch gezielte Therapiemaßnahmen in den verschiedensten Bereichen werden nicht nur die Lebensqualität nachhaltig verbessert, Distress reduziert und die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert: Neue wissenschafltiche Forschungsergebnisse zeigen einen möglichen Effekt der onkologischen Rehabilitation auf das Überleben von Krebspatienten. Die Ärzte Krone hat mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Alexander Gaiger, Präsident der Österreichischen Akademie für onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie, über den Ablauf der Rehabilitation gesprochen und erfahren, wie der Patient und seine Familie bei der Bewältigung der Krankheit und ihrer Folgen unterstützt wird. Gaiger ist auch Vorstand der Abteilung für Onkologische Rehabilitation am Lebens.Med Zentrum Bad Erlach im südlichen Niederösterreich.

Ärzte Krone: Welche Menschen begeben sich in die onkologische Rehabilitation, und welche Möglichkeiten werden angeboten?

Alexander Gaiger: In der onkologischen Rehabilitation unterstützen wir Menschen, die ihre primäre Tumorbehandlung abgeschlossen haben und Unterstützung in der Bewältigung von Krankheits- und Behandlungsfolgen suchen. Körperliche, seelische und soziale Aspekte spielen eine gleichermaßen wichtige Rolle. Entsprechend den individuellen Anforderungen und Bedürfnissen definieren wir gemeinsam mit unseren Patienten Rehaziele und klare Schwerpunkte. Grundlagen der Rehabilitation sind die medizinische Trainingstherapie, Kraft- und Ausdauertraining, physikalisch-medizinische Maßnahmen, Ergotherapie, Ernährungsberatung, Psychoonkologie und Psychotherapie. Zusätzlich zu den angesprochenen Therapien bieten wir einen Wellnessbereich, der ausschließlich den onkologischen Reha-Patienten vorbehalten ist, um solcherart auch im Freizeitbereich den Bedürfnissen unserer Patienten entsprechen zu können.

Welche Erfahrungen zum Erfolg dieser Rehabilitation gibt es?

Die onkologische Rehabilitation ist ein hocheffektives Verfahren, dessen Wirksamkeit durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt wurde. Es gelingt, die Patienten wieder in ihren beruflichen und sozialen Alltag zu integrieren, die Erschöpfungszustände werden weniger, Schmerzen, Polyneuropathien, Ängstlichkeit, Distress und Depressivität können gebessert werden.

Welche Patienten haben Anspruch auf eine onkologische Rehabilitation? Wie wird diese finanziert?

Jeder onkologische Patient hat die Möglichkeit eine onkologische Rehabilitation zu beantragen. Daher ist es wichtig, dass Allgemeinmediziner, Spitalsärzte, aber auch Apotheker, darüber Bescheid wissen und die Patienten auf die Möglichkeit aufmerksam machen. Was ich persönlich besonders wichtig finde ist die Tatsache, dass es durch das Engagement der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) möglich ist, in Österreich die Rehabilitation flächendeckend anzubieten. Die dreiwöchigen Aufenthalte sind zur Gänze bezahlt und die Patienten wirklich gut untergebracht. Zusätzlich bieten wir auch eigene Turnusse speziell für Mutter und Kind an, bei denen sich Pädagoginnen um die Kinder kümmern. So haben Mütter – und natürlich auch Väter – die Gelegenheit, sich ganz ihrer Reha zu widmen, ohne nach der langen Behandlungsphase neuerlich von ihren Kindern getrennt sein zu müssen. Gerade für alleinerziehende Mütter ist dieses Angebot eine wertvolle Ergänzung. Das Engagement der PVA ermöglicht auch einen sozialen Ausgleich, denn Menschen mit niedrigem Einkommen könnten sich eine onkologische Rehabilitation oft nicht leisten.

Was sind die Vorteile der onkologischen Rehabilitation gegenüber dem herkömmlichen Krankenhausbetrieb?

Das eine tun und das andere nicht lassen beschreibt am besten das onkologische Gesamtkonzept. Jeder Bereich tut das, was er am besten kann. Im Akutspital stellen wir die hochwertige und moderne medikamentöse, chirurgische und/oder strahlentherapeutische Behandlung unserer Patienten sicher. In der Rehabilitation sichern und unterstützen wir den Erfolg der Primärbehandlung. Wir sind nicht besser, aber wir haben viel mehr Zeit und eine sehr gute Infrastruktur. In der Begegnung im Akutbetrieb konzentrieren wir uns naturgemäß auf all das, was nicht funktioniert im Körper. In der Rehabilitation habe ich die Möglichkeit, mich auf die gesunden Ressourcen zu konzentrieren. Wir verstehen uns als Gesundheitshaus und versuchen, diesen Ressourcen Raum zu geben. Weiters habe ich die Zeit, Nebenwirkungen zu erklären. Das persönliche Gespräch ist hier ganz wichtig, denn oft wird bei den Onkologika der Nutzen nicht gleich gespürt, sondern nur die Nebenwirkungen. Die Non-Adhärenz sinkt binnen zwei bis drei Jahren daher oft auf 50%. Je ausführlicher die Patienten aufgeklärt werden, desto mehr steigt auch die Wirksamkeit der Verfahren. Ich kann erklären, woher Erschöpfungszustände kommen, und ich habe Zeit, den Menschen ihre Krankheit besser begreifbar zu machen.

Wie gelingt das?

Das beginnt schon bei der Sprache. In Wahrheit ist „Krebs“ ein wenig hilfreiches Wort für 100 unterschiedliche Krankheiten, die unterschiedliche Organe betreffen und mit völlig unterschiedlichen Überlebenschancen verbunden sind. Man kann also nicht von „dem Krebs“ sprechen. Auch sonst verwenden wir in der Medizin nicht umgangssprachliche Namen angstauslösender bedrohlicher Tiere. Weiters sprechen wir landläufig oft von bösen und guten Zellen. Zellen sind aber weder gut noch böse; sie führen nur ein Programm aus, das ihnen die Natur vorgibt. Wir sollten auch Krebs nicht als „Folge von“ sehen. Das führt die Betroffenen nämlich zu dem Schluss, sie seien schuld. Auch die Frage, hat man zu wenig getan oder zu viel von etwas gemacht, ist nicht zielführend. Eine Tumorkrankheit entspricht vielmehr einer Naturkatastrophe, vergleichbar mit einem Tsunami. Durch die Sprache wird die Bewältigung der Krankheit sehr oft erschwert, das möchten wir unseren Patienten anders vermitteln: Sie sind nicht schuld an ihrer Krankheit, sie haben in der Regel auch nichts falsch gemacht. Im Gegenteil, das, was unsere Patienten bewältigen, ist eine außergewöhnliche Leistung – und genau das wollen wir auch in der Rehabilitation vermitteln.

Wie erleben Sie die Reha-Patienten in der Praxis?

Was wir versuchen, ist, die Menschen dabei zu unterstützen, wieder einen Sinn von Kohärenz, von Vorhersagbarkeit und Alltag in ihrem Leben zu erlangen. Dies ist bei Tumorerkrankungen oft verlorengegangen. Es gibt viele Erfolge: Die Patienten bleiben länger im Berufsleben, benötigen weniger Schmerzmittel, stürzen seltener, und der Pflegebedarf sinkt. Das alles führt zu geringeren Kosten für das Gesamtsystem. Daher meine ich, dass jeder Euro, der in die onkologische Rehabilitation investiert wird, mehrfach zurückkommt. Noch etwas ist mir wichtig, anzumerken. Eine Strahlen- oder Chemotherapie ist von der Anstrengung her vergleichbar mit dem, was Schistars wie Marlies Schild oder Anna Fenninger in einer Schirennsaison leisten oder geleistet haben. Daher verdienen unsere Patienten höchste Bewunderung, noch dazu, wo sie keine Auszeichnung und Pokale für ihre Leistung erhalten.

Krebs wird immer mehr zu einer chronischen Erkrankung.
Was bedeutet das für unser System insgesamt?

Krebs als chronische Erkrankung ist die größte Herausforderung im Gesundheitssystem. Das Problem ist, wir Menschen haben in unserer Entwicklung ausgezeichnete Anlagen für die Bewältigung akuter Probleme entwickeln können, nicht aber für chronische. Wir können in akuten Krisensituationen handlungsfähig bleiben, können wichtige Aspekte von chronischen Krankheiten aber nicht richtig einschätzen. Wir setzen uns leider auch heute noch zu wenig damit auseinander, etwa wie sich ein Leben mit einer solchen chronischen Erkrankung auf uns, unser Umfeld und unser Denken und Handeln auswirkt.

Wie sehen die Prognosen für die Zukunft aus?

Wir haben derzeit in Österreich 36.00 Neuerkrankungen pro Jahr. In zehn Jahren werden es bereits rund 50.000 sein. Derzeit sind 300.000 Menschen in Österreich von Krebs betroffen. In zehn Jahren wird es rund eine halbe Million sein. Daran sieht man, welche Herausforderungen auf uns zukommen. Chronic Disease Management und der Chronic Cancer Care, insbesondere die psychosozialen Aspekte von Gesundheit und Krankheit werden in den nächsten Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen.

Möchten Sie eine abschließende Empfehlung aussprechen?

Als stabiler Faktor für das Überleben erweist sich die körperliche Aktivität. Gleichzeitig bewirkt Bewegung einen Wachstumsnachteil für Krebszellen, und man verträgt auch die Therapie besser. Onkologische Rehabiliation ist ein wesentlicher Bestandteil eines onkologischen Gesamtkonzeptes und sichert den Erfolg und die Nachhaltigkeit der primären Tumortherapie.

Danke für das Gespräch!

Komm_Auerbach_Leo