Pneumologie: Was bringt die Zukunft?

ÄRZTE KRONE: Herr Professor Studnicka, vor welchen Herausforderungen steht die Pneumologie?

MICHAEL STUDNICKA: Was wir stärker als gedacht spüren, ist der Ärztemangel, der uns auch als Fachgebiet trifft. Dazu kommt, dass unsere Patienten älter werden und damit auch länger krank sind. Wir sind in Österreich ein sehr „ärztelastiges“ Land. Es ist an der Zeit, dass wir uns überlegen, wie man Teile unserer Tätigkeit an die Pflege und administrative Assistenzen abgeben kann. Das betrifft sowohl den intra- als auch den extramuralen Bereich.

Um Planungen für die Zukunft geht es auch im MasterplanPneumologie – was genau beinhaltet er?

Der Masterplan Pneumologie soll die Marschroute für die nächsten zehn bis 15 Jahre vorgeben. Darin haben wir uns gefragt, wie man möglichst sinnvoll und effizient die Versorgung der Bevölkerung aufrechterhalten kann, z.B. mit Modellen wie Gemeinschaftsordinationen. Auch das Thema der Verweiblichung der Medizin ist absolut aktuell, und wir müssen uns bewusst werden, dass die Karrieren von Frauen schlichtweg anders als die von Männern aussehen, was aber in den Dienstmodellen noch nicht mitgedacht wurde. Ich glaube, wenn die künftigen Kolleginnen in die Niederlassung gehen, wird es wesentlich mehr Gemeinschaftsordinationen geben als bisher. Der Masterplan versucht, die Entwicklungen und die damit einhergehenden Änderungen auf einzelne Krankheitsbilder herunterzubrechen und bezieht Überlegungen über voraussichtliche neue Medikamente und Technologien mit ein. Man kann das natürlich nur zum Teil voraussagen, aber es stehen Fragen im Raum wie: Wie werden sich durch diese Maßnahmen Patientenpopulationen verändern? Wie werden sich die Kostenstrukturen verändern? Wie kann eine sinnvolle Versorgung in zehn bis 15 Jahren innerhalb der Pneumologie heruntergebrochen auf die einzelnen Erkrankungen aussehen?

Wie wird das konkret im Fall des Asthma bronchiale sein?

Beim Asthma bronchiale werden wir voraussichtlich eine ähnliche Entwicklung durchmachen wie z.B. beim Lungenkarzinom oder auch in der gesamten Rheumatologie: Bisher steht uns ein monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der Anti-IgE-Antikörper Omalizumab. Wir werden neue Antikörper, wie Mepolizumab, das vor der Zulassung steht, dazubekommen. Dadurch werden künftig spezifische Therapieoptionen zur Verfügung stehen, die natürlich nicht für alle Patienten mit Asthma, sondern für eine bestimmte Subpopulation, wo der jeweilige Antikörper eine ganz spezielle Wirkung hat, angewendet werden. Diese neuen Therapieformen werden, wie auch alle anderen Biologicals, sehr teure Behandlungen sein. Daher haben wir damit begonnen, das Netzwerk „schweres Asthma“ aufzubauen, das zwischen intra- und extramuralem Bereich angesiedelt ist. Dies hat zum Ziel, diese wenigen Patienten, die sehr von einer neuen Therapie profitieren, zu identifizieren und dann auch effizient zu behandeln.

Und wie sieht es bei der chronisch obstruktivenLungenerkrankung (COPD) aus?

Bei der COPD, die sozusagen unser Hauptthema ist, sind wir im Verständnis der Erkrankung und damit auch mit den Therapiemöglichkeiten fünf bis zehn Jahre hinter Asthma. Bei Asthma waren die inhalativen Steroide der Durchbruch in der Behandlung, damit wurde die Mortalität dramatisch gesenkt. Ein derart effektives Medikament haben wir für die COPD noch nicht gefunden, was bedeutet, dass wir den Prozess der Erkrankung noch zu wenig verstanden haben. Derzeit geht der Fokus weg von der antiinflammatorischen Therapie in Richtung der dualen oder mehrfach wirksamen Bronchodilatation. Die großen Studien der letzten Jahre zeigen, dass man, wenn man an mehreren Punkten ansetzt, was die Bronchodilatation betrifft, besser aufgestellt ist, als wenn man die antiinflammatorische Therapie in den Vordergrund stellt.
Eine wichtige neue Einsicht ist die, dass die nichtinvasive Langzeitbeatmung die Mortalität signifikant reduziert. Das wurde im vergangenen Jahr im Lancet Respiratory Medicine publiziert und ist eine der wenigen Maßnahmen bei der COPD, mit der die Mortalität tatsächlich reduziert werden kann.
Sonst bleibt nur zu sagen, dass Maßnahmen der Tabakrestriktion hier ursächlich wirken und wir in den nächsten Jahren hoffentlich die Krankheit molekularbiologisch besser verstehen und auch gezielter behandeln können.

Was ergab das COPD-Audit am Kongress der European Respiratory Society (ERS) 2014?

Dazu wird derzeit eine Publikation vorbereitet. Das Ergebnis des Audits ist, dass überraschenderweise die spitalspflichtige COPD mit einer massiv erhöhten Mortalitätsrate assoziiert ist. Diese Rate liegt sogar deutlich höher als bei jenen Patienten, die nach einem Herzinfarkt stationär aufgenommen wurden. In Österreich ist für diese Mortalität die Verfügbarkeit der nichtinvasiven Beatmung stark entscheidend. Dort, wo sie angeboten wird, ist die Prognose besser als an Abteilungen, wo das nicht gemacht wird.
Derzeit wird die nichtinvasive Beatmung an Lungenabteilungen angeboten, aber ungefähr die Hälfte der Patienten wird akut an allgemeininternistischen Abteilungen versorgt. Viele dieser Abteilungen haben zwar die Möglichkeit der Beatmung, aber interessanterweise wird sie dem akuterkrankten COPD-Patienten nicht angeboten. Das ist keine Frage der mangelnden Ausstattung, sondern die Kollegen wissen einfach nicht, wie hochgradig wirksam eine nichtinvasive Beatmung bei diesen Patienten ist. Wir als wissenschaftliche Gesellschaft haben den Auftrag, dieses Wissen möglichst rasch an allen Abteilungen zu implementieren.

Zum Thema Bronchialkarzinom: Am Lung Cancer Audit der Austrian Lung Cancer Study Group nahmen 30 Kliniken teil, was für ein kleines Land wie Österreich bedeutet, dass offenbar an vielen Zentren Lungenkrebs behandelt wird. Wie kann mansich das praktisch vorstellen?

Ein Audit ist immer eine gute Methode der Datenerhebung, die über einen bestimmten Zeitraum an möglichst vielen teilnehmenden Kliniken läuft. Im Falle des Lung Cancer Audits waren es drei Monate an allen Lungenabteilungen Österreichs sowie, bis auf wenige Ausnahmen, auch alle anderen (Universitäts-)Kliniken, die diese Patienten versorgen. So kamen wir auf 30 teilnehmende Kliniken. Von jedem neudiagnostizierten Patienten musste ein Fragebogen ausgefüllt werden über die Beschwerden, wie er überwiesen und abgeklärt wurde und wie seine erste Behandlungslinie ausgesehen hat. Parallel wurde bei den Spitalserhaltern und -direktoren nach den infrastrukturellen Voraussetzungen gefragt: z.B. ob es einen Pet-CT gibt, ob eine zytologische Untersuchung vor Ort durchgeführt wird etc. Sprich, es wurden strukturelle Qualitätskriterien erhoben. Wir haben derzeit noch keine genauen Daten, weil die Auswertung noch läuft.

Sie haben im Jänner erste deskriptive Daten präsentiert und gesagt, die Qualität der Versorgung der Lungenkrebspatientinnen und -patienten liege in Österreich auf einem hohen Niveau. Worauf bezieht sich das?

Was wir wissen, ist, dass die Versorgung in Österreich auf einem qualitativ sehr hohen Niveau erfolgt. Beurteilt wird dies, indem wir in der Austrian Lung Cancer Study Group die tatsächliche Einhaltung der Richtlinien und Kriterien der diversen wissenschaftlichen Gesellschaften in der Praxis hinterfragt haben. Eine Frage war z.B., in welchem Tumorstadium Patienten waren, die wegen eines Bronchialkarzinoms operiert wurden. Um das beantworten zu können, muss zuvor eine gute Bildgebung und Diagnostik gelaufen sein. Nur so kann beurteilt werden, ob die Entscheidung für den Eingriff richtig war. Ohne diese genaue Vorabklärung würden viele Patienten operiert, bei denen erst während der Operation klar wird, dass die Erkrankung schon zu weit fortgeschritten ist. Das Audit zeigte, dass diese Patienten in den postoperativen Tumorstadien zu einem hohen Prozentsatz (97%) durch die Operation geheilt wurden. Das ist ein sehr gutes Ergebnis, das belegt, dass die Abklärung im Vorfeld bis hin zur Operation, die eine sehr teure Maßnahme ist, funktioniert, und sie wirklich nur jene Patienten bekommen, die sie brauchen. Das hohe Niveau bezieht sich also auf die Diagnostik und Therapie der neu diagnostizierten Patienten, aber auch auf Mutationstestungen. Vor zwei, drei Jahren publizierten wir gemeinsam mit den Pathologen ein Statement, in dem wir anmerkten, dass jeder Patient mit einem Adenokarzinom getestet werden soll – und das wird auch tatsächlich so gemacht.

Woran misst sich die Behandlungsqualität? Am Überleben der Patienten? Welche Benchmarks werden angedacht?

Vor dem Audit haben wir uns gefragt, was als Lung Cancer Group eine gemeinsame Aktivität wäre, mit der wir schnell zu Ergebnissen kommen können. Daher wurde die Erhebung auf drei Monate beschränkt. In einer so kurzen Zeitspanne können natürlich Mortalitätsdaten nicht erhoben werden, diese werden aber ohnehin von der Statistik Austria erfasst. Im internationalen Vergleich liegen wir in Österreich sehr gut. Wenn dies bei jedem einzelnen Patienten erfasst werden sollten, müsste die Untersuchung über fünf bis zehn Jahre laufen – auch weil durch die neuen Medikamente die Überlebenszeiten wesentlich länger würden. Das ist sicher ein mögliches Zukunftsprojekt.
Der nächste Schritt wird sein, dass wir mit Assoc.-Prof. Dr. Martin Filipits, der die Studie leiten wird, die Gewebsproben aller Patienten auf seltene Mutationen, die in den letzten Monaten detektiert wurden – also nicht nur eGFR, sondern auch ALK und ROS1, und möglicherweise auch die eine oder andere neue Mutation –, zentral testen, um bestimmen zu können, wie häufig diese Mutationen in Österreich auftreten. Für Patienten in einem kleinen Land wie Österreich ist es natürlich wichtig, dass die Zentren an Studien teilnehmen, weil diese Mutationen teilweise so selten sind, dass selbst in einer Klinik, die viele Neuerkrankungen sieht – bei uns sind es jährlich etwa 150 neue Patienten –, die Expertise minimiert bleibt.
Durch genaue Aufzeichnungen wollen wir der Industrie zeigen, dass wir genau wissen, wie viele Patienten mit seltenen Mutationen zu einer Studie beitragen könnten.

Wann darf mit den genauen Daten gerechnet werden?

Es sind noch minimale Daten ausständig, aber im Prinzip ist die Datenerhebung für das Audit schon seit einigen Monaten abgeschlossen. Derzeit werten wir aus und werden so bald als möglich die Ergebnisse präsentieren.

Ein heiß diskutiertes Thema ist derzeit – wieder einmal –das totale Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen. Was kann aus Ihrer Sicht für die Raucherprävention getanwerden? Wie können Raucher bei der Entwöhnungunterstützt werden?

Es ist interessant, dass wir hierzulande zwar über das englische Gesundheitswesen schimpfen, aber im Gegensatz zu uns (und vielen andere Länder auch) Raucher, die mit dem Rauchen aufhören wollen, wesentlich besser unterstützt. Indem Rauchen als Sucht anerkannt wird, werden auch Medikamente zur Entwöhnung von den Kassen bezahlt. Bei uns ist es leider so, dass die Nikotinersatztherapie immer vom Patienten selbst bezahlt werden muss. Das ist eine krasse Ungleichbehandlung der Raucher! Es würde niemand von einem Heroin- oder Alkoholsüchtigen verlangen, dass er seine Medikamente, z.B. sein Substitutionsprogramm, selbst bezahlt.
Ein zweiter Punkt ist, dass, mit Ausnahme der Wiener Gebietskrankenkasse, Raucherberatung keine Leistung ist, die für Ärzte verrechenbar ist. Allgemeinmediziner arbeiten sozusagen an der Front, sie haben den engsten Kontakt zu rauchenden Patienten. Dort müsste die Expertise hingebracht und in irgendeiner Form Raucherberatung angeboten werden, die auch einen Punktewert als Kassenleistung hat. Davon sind wir aber weit entfernt. Dabei wäre Raucherberatung einer der wesentlichen Punkte, um die Gesundheit der Patienten positiv zu beeinflussen.
Im letzten NEJM wurde eine Analyse über 21 Erkrankungen, die eindeutig mit dem Rauchen assoziiert sind – wie z.B. das Lungenkarzinom – publiziert. In dieser Analyse wurden mehrere große Studien aus den USA zusammengefasst, und es wurde festgestellt, dass der Gesamteffekt des Rauchens eigentlich noch größer ist und weit über diese 21 Erkrankungen hinausgeht, weil es einfach auch andere Zusammenhänge gibt, die man bisher nicht im Blickfeld hatte. Etwa 17% der unter Rauchern markant erhöhten Mortalität entfallen demnach auf bisher nicht mit dem Rauchen in Verbindung gebrachte Erkrankungen. Der Impact des Zigarettenrauchens auf Gesundheitspopulationen insgesamt ist also noch höher als bis vor Kurzem angenommen. Es ist mir absolut unverständlich, dass Gegenmaßnahmen in unserem Gesundheitswesen nicht refundiert werden! Man müsste dringend Kollegen schulen und sie für die Beratung bezahlen – solange das nicht passiert, wird sich nichts ändern.

Nicht refundiert wird in einigen Bundesländern auch die Spirometrie. Wie stehen Sie dazu? Haben Sie die Hoffnung, dass diese Leistung in Zukunft bundesweit in allen allgemeinmedizinischen Praxen bezahlt werden wird?

Ich glaube, es wird einen österreichweiten Leistungskatalog geben müssen. Es ist absolut unverständlich, dass die Spirometrie in einem Bundesland bezahlt wird und in einem anderen nicht – wenn doch sogar zwischen EU-Ländern eine Ungleichheit geklagt werden könnte. Das wird sich hoffentlich ändern, denn die Spirometrie ist einfach ein extrem einfaches und kosteneffizientes Werkzeug und gehört dorthin, wo Patienten den ersten Kontakt mit einem Arzt haben. Was wir leider noch immer sehen, ist, dass Patienten mit ihrer COPD, die lange Zeit asymptomatisch verläuft, zehn bis 15 Jahre zu spät mit ihrer Erkrankung erkannt werden.

Wie sehen Sie generell die Zusammenarbeit mit Allgemeinmedizinern?

In Salzburg ist die Zusammenarbeit mit den Allgemeinmedizinern eine sehr gute, Verbesserungspotenzial gibt es aber natürlich immer. Womit wir zu kämpfen haben, ist, dass wir durch den akuten Ärztemangel auch ein Ressourcenproblem haben, weil wir weniger Spitalsbetten bespielen können. In der Folge kommt es manchmal zu Unverständnis und zur Frage, warum Patienten sehr früh entlassen werden.
Wir überlegen derzeit auch, an unseren Jahreskongress einen Lungentag für Allgemeinmediziner anzuhängen, um die Zusammenarbeit zu verbessern.

 

Danke für das Gespräch!