Primärversorgung als soziales Kapital

Ein konstruktives Miteinander aller im Gesundheitswesen beteiligten Player ist in hohem Maße ein Beitrag zum Allgemeinwohl. Dafür bedarf es einer Vielfalt an Organisationsformen im niedergelassenen Bereich und eines Überdenkens festgefahrener Strukturen. Inwieweit das möglich ist und wie das noch besser gelingen kann, sollte in der Podiumsdiskussion erörtert werden.
Univ.-Prof.in Dr.in Erika Zelko, Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin, JKU Linz, verglich in ihrem Impulsvortrag das Gesundheitssystem mit einem GPS. „Wenn es gut ist, kommt man schnell und sicher ans Ziel.“ Im Zuge der Pandemie und der Impfdiskussion verlor die Gesellschaft teilweise das Vertrauen in die Medizin, meinte Zelko. Dieses könne nur im Dialog wiederaufgebaut werden. „Ein Dialog besteht aus Respekt und gegenseitiger Wertschätzung.“ Damit wies die Medizinerin darauf hin, dass die Entwicklung der gesellschaftlichen Verantwortung nicht nur auf einer Seite liegt.

Essenzielle Primärversorgung

Der Stellvertretende Abteilungsleiter für empirische Sozialforschung an der JKU, Dr. Joachim Gering, hält es für unbestritten, dass die Primärversorgung essenziell für das Allgemeinwohl ist. Aus soziologischer Sicht sei es wichtig, dass die Gesellschaft darauf vertrauen kann, gegebenenfalls externe Unterstützung zu erhalten. Damit sei die Primärversorgung soziales Kapital, der „Kitt der Gesellschaft“ und salutogen, so Gering. A. o. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), stellte zur Diskussion, dass die Ressourcenverteilung gelenkt werden müsse, nämlich dorthin, wo auch wirklich Bedarf herrscht: „Wenn man sich in Österreich fragt, wo ist die Primärversorgung, muss man sich auch fragen, was oder wo ist die Sekundärversorgung.“

Allgemeinmedizin als Königsdisziplin

ÖGK-Arbeitnehmer:innen-Obmann Andreas Huss sieht die Allgemeinmedizin als Königsdisziplin an, wobei dem erfahrenen Gewerkschafter und Sozialversicherungsfunktionär die Bezeichnung als „Familienarzt“ noch immer am besten gefällt. In den nächsten fünf Jahren werden laut Huss in Wien 36 Primärversorgungszentren ausgeschrieben. Diese Organisationsform habe die Attraktivität der Allgemeinmediziner:innen insbesondere für Jungärzt:innen gehoben, da viele angehende Praktiker:innen das unternehmerische Risiko scheuten. MR Dr. Wolfgang Zillig, Arzt für Allgemeinmedizin i. R. und ehemaliger Präsident der Oberösterreichischen Allgemein- und Familienmedizin (OBGAM), vertrat die Kammerfunktionärin und 2. Vizepräsidentin der OBGAM, Dr.in Johanna Holzhaider. Sein Credo war, dass man die Allgemeinmediziner:innen nicht dazu degradieren dürfe, die Spitäler zu entlasten, wie es in der Vergangenheit vielfach kommuniziert wurde. Als umtriebiger Pensionist (er ist Präsident des OÖ Herzverbandes) fühle er sich nach wie vor der Allgemeinmedizin sehr verbunden, sieht jetzt aber auch viele Diskussionspunkte mehr aus der Sicht der Patient:innen. Ein interessantes Projekt zur Mitarbeit in einer allgemeinmedizinischen Praxis stellt „NeuAMstart“ dar (siehe Kasten).
Beim Frühlingskongress am darauffolgenden Tag durfte OBGAM-Präsident Dr. Florian Ardelt rund 80 Ärzt:innen sowie Assistent:innen endlich wieder in Präsenz begrüßen.

„Leber u. Niere“ im Fokus

Bei den ersten Vorträgen stand die Leber im Mittelpunkt: Immer wieder tauchen als Zufallsbefunde, beispielsweise im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung, erhöhte Leberwerte auf. Diese dann evidenzbasiert und auch ökonomisch abzuklären, sollte vermittelt werden. Dabei zeigte sich, dass gerade auch bei erhöhten Leberwerten der Lebenswandel der Patient:innen eine sehr große Rolle spielt. Nämlich nicht nur, wie man meinen könnte, in Bezug auf Alkohol, sondern ebenso die Ernährungsgewohnheiten betreffend. So ist die nichtalkoholische Fettlebererkrankung in den meisten Industrienationen die häufigste chronische Lebererkrankung.
Zur Niere: Ist sie akut erkrankt – Stichwort: Nephrolithiasis, Pyelonephritis, Glomerulonephritis –, lässt sie sich doch meistens kausal und auch kurativ behandeln. Ist sie aber insuffizient, kann man nur die Begleitumstände wie z. B. Blutdruck und Blutzucker optimieren, ein „Nephrobene“ gibt es noch nicht.
Auch das Programm für die Arztassistent:innen wurde sehr gut angenommen, wie die vielen positiven Rückmeldungen zeigten. Dr. Florian Ardelt: „Ganz explizit möchte ich mich nochmals bei allen bedanken, die bei einer spontanen Spendenaktion zugunsten ukrainischer Kriegsflüchtlinge mitgemacht haben.“ Das Geld wurde von Dr.in Silke Eichner, 1. Vizepräsidentin der OBGAM, an Support Ukraine NOW Upper Austria übergeben.

neuAMstart – mit Kompetenz in die Praxis der Allgemeinmedizin

neuAMstart ist ein Angebot, das die OBGAM gemeinsam mit der Ärztekammer Oberösterreich und der Österreichischen Gesundheitskasse entwickelt hat. Es ist für Ärzt:innen mit ius practicandi gedacht, die in den letzten 5 Jahren nicht bzw. nicht regelmäßig in einer Kassenpraxis für Allgemeinmedizin gearbeitet haben.

Im Rahmen dieses Projektes, das vorerst bis 31. 12. 2022 befristet ist, kann in einer allgemeinmedizinischen Praxis mitgearbeitet werden. Entweder 30 Wochenstunden in 3 Monaten oder 15 Wochenstunden in 6 Monaten oder 10 Wochenstunden in 9 Monaten.

Man bezieht dabei einen Lohn laut Kollektivvertrag, also derzeit mindestens 4.460,50 Euro, anteilig am gewählten Zeitmodell. Auch für den Mentor/die Mentorin ist es durchaus lohnend: Neben frischem Input kann sich hier die Möglichkeit einer Vertretung oder auch eine mögliche Nachfolgerin/ein möglicher Nachfolger finden.

Da Ausbildung auch etwas wert sein muss, bekommt die ausbildende Ärztin/der ausbildende Arzt insgesamt 4.500 Euro für die Zeit der Ausbildung.

Bei Interesse und für nähere Information bitten wir um Kontaktaufnahme unter office@obgam-at.

Mentoring