Psychosomatische Medizin – aktueller den je!

Laut einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation ist die Tendenz in Richtung psychischer Erkrankungen steigend. Demnach werden psychische Erkrankungen schon 2020 nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den zweithäufigsten Krankheiten zählen. Seit mehr als 25 Jahren bemühen sich Verantwortliche im Gesundheitswesen in Österreich, dem Fachbereich Psychosomatische Medizin einen gebührenden Stellenwert in der Medizin zu geben. Die demografische Entwicklung einerseits und der Kostendruck auf das Gesundheits- und Sozialwesen andererseits erfordern eine sorgfältige und umfassende Beurteilung von gesundheitsbezogenen Leistungen, vor allem im Hinblick auf die Ergebnisqualität, um die effizientesten, effektivsten und sichersten Maßnahmen zu identifizieren. Die ÖÄK-Psy-Diplome bilden seit 25 Jahren die Grundlage für eine qualitative Ausbildung auf dem Gebiet der psychosomatischen Medizin. Im Zuge der Ärzteausbildung neu soll es nun zu weiteren positiven Entwicklungen kommen.
Priv.-Doz. Dr. Christian Fazekas, Leiter der Gemeinsamen Einrichtung für Klinische Psychosomatik an der Medizinischen Universität Graz/LKH-Universitätsklinikum Graz und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM): „Psychosomatischer Behandlungsbedarf besteht bei körperlichen Beschwerden ohne klinischen Befund, bei körperlichen Krankheiten mit klinisch relevanten psychosozialen Faktoren, beim Thema Krankheitsbewältigung und bei Patienten mit hoher biopsychosozialer Komplexität. Etwa 20% der Hausarztpatienten fallen in die Gruppe der körperlichen Beschwerden ohne klinischen Befund!“
Jede dieser vier Bereiche benötige punktgenaue psychosomatische Versorgung; sowohl fachspezifisch als auch fächerübergreifend.

Bedarfserhebung zur psychosomatischen Versorgung

Fazekas berichtete über die Studie „Qualitätssicherung in der Psychosomatischen Medizin“ von Leitner et al.1, die der Frage nachging, ob Patienten mit psychosomatischen Störungen in Österreich ausreichend versorgt sind. Durchgeführt wurden eine Arbeitsmarkt-, Bedarfs-, Akzeptanz- und Kohärenz- sowie Kosten-Nutzen-Analyse für die psychosomatische Versorgung im stationären und niedergelassenen Bereich.

Festgestellt werden konnten folgende aktuelle Entwicklungen und Defizite:

  • unzureichende Abklärung und fehlende umfassende Behandlung
  • zunehmend weniger Zeit für Arzt-Patienten-Gespräch
  • fehlende(s) flächendeckende(s) Kompetenz bzw. Behandlungsangebot
  • fehlende ärztliche Psychotherapie im niedergelassenen Bereich
  • verzögerte Versorgung und damit verbundene erhöhte Kosten
  • eingeschränkte Honorierung psychosomatischer Leistungen
  • keine verpflichtende Weiterbildung und Qualitätssicherung
  • Flucht in esoterische Angebote
  • Bewusstsein der PatientInnen
  • Prognosen der WHO
  • Versorgungssituation begründet Dringlichkeit einer Strukturierung
  • der ärztlichen Ausbildung
  • der psychosomatischen Versorgungsangebote

Additivfacharzt gefordert

Aktuell beruht die Qualitätssicherung in Psychosomatischer Medizin in Österreich auf einer freiwilligen berufsbegleitenden Absolvierung eines Weiterbildungsangebotes der Österreichischen Ärztekammer mit Diplomen für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (PSY I–III). Fazekas: „Wir haben uns gefragt, ob dadurch die psychosomatische Versorgung ausreichend gesichert ist. Ebenso gilt es einzuschätzen, inwieweit der auf breiter Basis entwickelte Vorschlag eines Additivfaches für Psychosomatische Medizin alsqualitätssichernde Strukturmaß-nahme etabliert werden sollte.“Das Resultat: „Es zeigt sich ein-hellig die Auffassung, dass Bedarf an einer weiterführenden Strukturierung der psychosoma-tischen Versorgung in Österreich besteht. Die Versorgung über die Psy-Diplome für Mediziner ist nicht in einem ausreichenden Maß gegeben.“ Die Studienautoren liefern auch Lösungsvorschläge: „Beispiele für eine effiziente Kosten-Nutzenrelation liegen im Bereich einzelner Krankheitsbilder und ambulanter sowie stationärer Versorgungskonzepte vor. Die Einführung eines Additivfacharztes für Psychosomatische Medizin erscheint umsetzbar und würde zur erforderlichen Qualitätssicherung und flächendeckenden Versorgung beitragen.“
Fazekas: „Zum einen ist für die Ausbildung zum Allgemeinmediziner geplant so etwas wie psychosomatische Grundkompetenz zu vermitteln. Das ist insofern besonders wichtig, weil den Allgemeinmedizinern diese wichtige differenzialdiagnostische Funktion schon zukommt. Als zweiter Bestandteil wird innerhalb der Facharztausbildung bei einzelnen Fächern ein so genanntes Modul für psychosomatische Medizin etabliert sein, und darüber hinaus ist geplant, es einzelnen Fächern – nach Abschluss der Facharztausbildung – zu ermöglichen, sich in Richtung psychosomatischer Medizin auch zu spezialisieren.“
Dr. Joachim Strauss, PPP (Referat für Psychosoziale-, Psychosomatische- und Psychotherapeutische Medizin) Referent der Österreichischen Ärztekammer, berichtet im Anschluss aus der Praxis der psychosomatischen Medizin. „Der Konsultationsgrund des Patienten ist meistens ein körperliches Problem, hinter dem eine psychische Ebene, eine soziale Ebene und eine spirituelle Ebene stehen. Der Arzt erfasst dank seiner sehr guten körperorientierten Ausbildung die Krankheitsdaten auf körperlicher Ebene, für alle weiteren Ebenen bedarf es jedoch einer ausführlichen Ausbildung in Gesprächsführung und psychosomatischer Medizin. Die Ärzteausbildungsordnung neu soll diese Felder besser abdecken. Die Medizin sollte sich ebenso kompetent mit der psychischen wie mit der körperlichen Ebene befassen.“ Strauss bietet in seiner Ordination auch Zeitfenster für ein ausführliches, ärztlich-psychosomatisches Diagnose- oder Therapiegespräch außerhalb der Ordinationszeiten. Er betont auch, dass es „wichtig ist, dass gezielte Gesprächsführung aus dem überlegten und reflektierten Gespräch besteht und deren Technik als Qualifikation genauso erlernt werden muss wie andere ärztliche Fertigkeiten. Und oftmals ist es wichtig mit Gesprächspausen dem Patienten Raum zum Nachdenken zu geben“.

Psychosomatische Grundkompetenz in Ausbildung verankern

Dr. Karl Forstner, Vizepräsident der ÖÄK und Referatsleiter der psychosomatischen Medizin in der Ärztekammer:
„Ein großer und wohl berechtigter Einwand vieler ist es, dass sich Ärzte nicht genug Zeit für das Gespräch mit dem Patienten nehmen. Ein Grund liegt in der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin, die den Blick auf die Gesamtheit des Menschen unter Umständen versperrt. Die Österreichische Ärztekammer hat vor Kurzem einstimmig beschlossen, die psychosomatische Grundkompetenz in der Ausbildung der Allgemeinmediziner fest zu verankern. Das war ein langer Weg, der nun endlich erfolgreich ist. Die Psychosomatik ist nach der derzeitigen Planung der Ausbildung kein eigenes Sonderfach und wird voraussichtlich in Österreich auch keines werden. Dringend wünschenswert wäre jedoch eine Spezialisierung in jenen Sonderfächern, in denen psychosomatische Erkrankungen eine entsprechende Rolle spielen. Die fächerübergreifende Zusatzausbildung für Ärztinnen hat eine hohe Wahrscheinlichkeit umgesetzt zu werden.“
Das Problem liege jetzt bei den Ländern, die die Ausbildung finanzieren müssten, sich aber dagegen wehren. Und generell gelte es, die Honorierungsfrage psychosomatischer Leistungen zu klären.
„Eine weitere Herausforderung wird in Zukunft sein, die Qualität der Lehrenden zu sichern“, so Forstner, „dafür wird man notwendigerweise auch qualitätssichernde Maßnahmen noch definieren müssen.“
Die Moderation der Diskussion übernahm diesmal Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendliche mit angeschlossenem Psychosomatik-Schwerpunkt am LKH Leoben. Er meint: „Die psychosomatische Medizin in der Kinder- und Jugendheilkunde ist leider nicht in allen österreichischen Kinder- und Jugendabteilungen etabliert. Meines Erachtens müsste das aber sein, weil sehr viele Kinder, die mit vordergründig somatischen Beschwerden kommen, in Wirklichkeit eine psychosomatische Ursache dafür haben.“

 

 

 

1 Werden in Österreich Patienten mit psychosomatischen Störungen ausreichend versorgt? Eine Bedarfserhebung mit Lösungsvorschlag zur Qualitätssicherung für die Psychosomatische Medizin in Österreich

Anton Leitnera, Christoph Pieha, Franziska Matzerb, Christian Fazekasb

a Donau Universität Krems, Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit

b Medizinische Universität Graz, Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie

Z Psychosom Med Psychother 59, 408–421

Quelle: http://www.donau-uni.ac.at/de/department/psymed/forschung/evaluationpsychosozialereinrichtungen/projekt/id/19589/index.php

http://www.donau-uni.ac.at/psymed