Krebserkrankungen im Frühstadium verursachen oft keine Beschwerden, und Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Leistungsabfall sind nur unspezifisch. Insbesondere wenn ein Warnsignal (siehe Kasten) auftritt und persistiert, sollte allerdings eine weiterführende diagnostische Abklärung erfolgen.
Im Jahr 2023 erhielten 46.518 Menschen in Österreich eine Krebsdiagnose, das ist eine Zunahme um 15,6 % im Vergleich zu 2013.1 Damit verbunden ist zwangsläufig auch eine Zunahme von Notfällen, die mit einer onkologischen Grunderkrankung in Zusammenhang stehen. Hierbei handelt es sich oftmals um lebensbedrohliche oder zumindest akut behandlungsbedürftige Zustände, die eine schnelle Diagnose und effizientes Management erfordern. Im Folgenden ist ein Auszug an onkologischen Notfällen angeführt.
Neurologische Komplikationen bei Tumorpatient:innen sind sowohl in der Diagnose als auch in der Behandlung herausfordernd.2 Bestimmte neurologische Notfälle wie ein erhöhter intrakranieller Druck oder ein spinales Kompressionssyndrom sind unter Krebspatient:innen häufiger. Diese Notfälle erfordern eine schnelle Diagnose und umgehende Behandlung.3 Etwa 5 % der Patient:innen mit fortgeschrittenem Malignom entwickeln aufgrund von Metastasen in der Wirbelsäule ein spinales Kompressionssyndrom, das zu einer Kompression des Rückenmarks oder der Spinalwurzeln führt.4 Dies äußert sich durch akut auftretende oder auch langsam zunehmende, oft massive Schmerzen im betroffenen Areal, in 40–90 % der Fälle kommen sensomotorische Ausfälle hinzu, die im Einzelfall auch als einzige Manifestation dieser Komplikation bestehen können. Eine motorische Schwäche der unteren Extremitäten kann bis zur Gehunfähigkeit reichen, des Weiteren kann auch eine Harn- oder Stuhlinkontinenz auftreten. Das maligne spinale Kompressionssyndrom ist ein Notfall, der eine unverzügliche Abklärung durch ein MRT erfordert.5 Bereits nach spätestens 48 Stunden treten in der Regel irreversible Schäden am Rückenmark ein.
Eine fortgeschrittene Krebserkrankung kann auch durch eine Metastasierung ins Gehirn in Erscheinung treten. Schwindel, Kopfschmerzen, Bewegungsstörungen, Seh- und Sprachstörungen und ein veränderter mentaler Zustand können, insbesondere wenn mehrere dieser Symptome gemeinsam auftreten, Red Flags für Hirnmetastasen sein.6 Etwa 30 % aller Patient:innen mit einem Karzinom entwickeln im Verlauf Hirnmetastasen. Obwohl viele solide Tumoren in das ZNS metastasieren können, überwiegen hier zahlenmäßig die Bronchial- und Mammakarzinome, die mehr als 60 % aller Tumoren mit ZNS-Metastasen ausmachen. Die häufigsten Symptome zerebraler Metastasen sind Kopfschmerzen, Hemiparese, organisches Psychosyndrom (z. B. Verwirrtheit) und Krampfanfälle.7 Onkologische Patient:innen mit neu aufgetretenen Kopfschmerzen, insbesondere wenn diese anders als gewohnt sind und persistieren, sollten daher rasch ein MRT zur Abklärung erhalten.8
Die malignitätsbedingte Hyperkalzämie betrifft bis zu 30 % der Krebspatient:innen und ist mit hoher Morbidität und Mortalität assoziiert. Fatigue, Verstopfung, Polyurie und Polydipsie können auf eine leichte bis moderate Hyperkalzämie hinweisen.9 Die schwere Form entwickelt sich schnell über wenige Tage bis Wochen und ist durch Übelkeit, Erbrechen, Dehydration, Verwirrtheit und Somnolenz bis hin zu Koma charakterisiert. Als leicht bzw. moderat werden Serumkalziumspiegel von 2,625 bis < 3 mmol/l bzw. 3 bis ≤ 3,5 mmol/l eingestuft, während eine schwere Hyperkalzämie bei Werten > 3,5 mmol/l vorliegt.10 Die Hyperkalzämie im Zusammenhang mit Krebs kann auch nichtmaligne Gründe wie den primären Hyperparathyreoidismus haben, was im Rahmen der Abklärung ausgeschlossen werden sollte. Die malignitätsbedingte Hyperkalzämie wird fast immer durch eine erhöhte osteoklastische Knochenresorption ausgelöst, die – nach Wiederherstellung eines normalen Flüssigkeitshaushaltes – meist mit Calcitonin und intravenösen Bisphosphonaten bzw. Denosumab behandelt wird.11
Paradigmatisch für einen Tumor mit Knochenbefall als zentrales Merkmal der Erkrankung ist das multiple Myelom: Myelomzellen aktivieren Osteoklasten, und beim Knochenabbau wird vermehrt Kalzium freigesetzt, das aufgrund der häufig eingeschränkten Nierenfunktion von Myelompatient:innen nicht ausreichend ausgeschieden werden kann.
Durch den zunehmenden Einsatz von Immun-Checkpoint-Inhibitoren hat auch die Inzidenz der immunvermittelten Hypophysitis zugenommen. Die Hemmung des Immun-Checkpoints kann die Aktivierung autoreaktiver T-Zellen verursachen, was zu verschiedenen immunbedingten Nebenwirkungen führt, die Autoimmunerkrankungen ähneln. Speziell bei CTLA-4-Antikörpern kann eine Hypophysitis auftreten, aber auch unter gegen PD-1 oder PD-L1 gerichteten Antikörpern wurde diese Nebenwirkung beobachtet.12 Die Hypophysitis kann eine diagnostische Herausforderung sein, da spezifische Symptome manchmal fehlen. Bei allen Patient:innen unter Immuntherapie, die unter unerklärlicher Fatigue, Kopfschmerzen, Hyponatriämie und/oder Hypotonie leiden, sollte an eine Hypophysitis gedacht werden. Die rasche Bestimmung des Kortisolspiegels (morgens; nüchtern) ist in diesem Fall notwendig. In schweren Fällen ist ein Therapiestopp des Immun-Checkpoint-Inhibitors, eine Behandlung mit Kortikosteroiden sowie unter Umständen ein langfristiges Management mittels Hormonersatztherapie erforderlich.13
Bei Auftreten von Fieber (Temperatur von >38,3°C oral gemessen oder eine Temperatur von >38,0°C über die Dauer mindestens einer Stunde oder zweimal innerhalb von 12 Stunden gemessen) bei Tumorpatient:innen unter Therapie ist eine sofortige Bestimmung der neutrophilen Granulozyten erforderlich. Eine febrile Neutropenie liegt vor, wenn gleichzeitig mit dem Fieber die Zahl der Neutrophilen bei < 1.000/µl liegt. Bei Ausschluss anderer Ursachen für das Fieber (Reaktion auf Zytokine, Zytostatika, Transfusion mit Blutprodukten) ist eine infektiöse Komplikation anzunehmen. Bei Auftreten von neutropenem Fieber ist eine sofortige Vorstellung in der nächstgelegenen Notaufnahme erforderlich, um unverzüglich eine antibiotische Therapie und diagnostische Maßnahmen einzuleiten.14
Onkologische Notfälle können durch die Krebserkrankung selbst oder als Nebenwirkung der Therapie zu jedem Zeitpunkt im Krankheitsverlauf auftreten. Das Vorliegen eines onkologischen Notfalls schließt jedenfalls eine Heilung der malignen Grunderkrankung nicht aus. Ein onkologischer Notfall kann auch eintreten, nachdem Betroffene viele Jahre in Remission waren, womit eine durchgemachte Krebserkrankung in der Anamnese im Rahmen neu auftretender Symptome immer eine Red Flag darstellt. Das rechtzeitige Erkennen und eine rasche Behandlung eines onkologischen Notfalls können lebensverlängernd sein und die Lebensqualität der Patient:innen erhalten.5