Schöner Schritt durch Schnitt

Hype um Genitalchirurgie

Während mühevoll von der westlich-liberal denkenden Gesellschaft international das Bewusstsein gefördert wurde, verstümmelnde, überwiegend kulturell motivierte Eingriffe im Genitalbereich von Frauen nicht nur zu verdammen, sondern auch nicht mehr verharmlosend als bloße „Beschneidung“ der Frau zu bezeichnen und, vor wenigen Jahren ein Rechtsstreit darüber entbrannt ist, ob es zulässig sei, männlichen Neugeborenen aus kulturellen Gründen die Vorhaut entfernen zu dürfen, erfährt die ästhetisch motivierte Genitalchirurgie insbesondere bei Frauen einen regelrechten Hype.

Während in den 1970er-Jahren beim Anblick einer erwachsenen Frau im Evakostüm nähere Details zur höchstpersönlichen Spielart der Natur zwischen den Beinen durch gnädigen Haarwuchs ein intimes Geheimnis geblieben sind und Pornografie als Schmuddelfilmchen hinter dunkeln Verkaufsbuden angeboten wurde, sehen wir uns nun in einer Zeit, in welcher der Blick zwischen die Beine in allen Lebens- und Verkehrsphasen per Mausklick und in Großaufnahme möglich ist. Und selbst in dieser Branche sind Darsteller, die mit Schamhaar ihre Arbeit verrichten, nicht mehr bloß bereits die Ausnahme, sondern meist in einer eigenen Kategorie, wie „hairy“ oder eventuell noch unter „vintage“ als Anspielung auf die haarige Normalität der 1970er-Jahren für den speziellen Gusto zu finden. Haar am Genital ist also nicht mehr normal, das steht fest. Es stellt sich also nun durch den unverhüllten Blick auf die Realität die ultimative Frage: wie viel Schamlippe ist normal?

In Hinblick auf das umfassende Angebot mehr oder weniger invasiver Eingriffe im weiblichen Genitalbereich lässt sich die Fragestellung erweitern: wie viele Orgasmen sind normal? Wie eng soll eine Scheide sein? Wie definiert sich Jungfräulichkeit? Lässt sich Letztere in einer Zeit, in der Analverkehr nicht zuletzt mit Hilfe der Pornoindustrie zum Routinerepertoire zählt und somit unter anderem auch als Umgehung deflorierender Praktiken de facto normal geworden ist, durch die Existenz ein dünnes Häutchen beweisen? Und – wie viel ist dieser Beweis oder eine andere Art der Vermittlung von Schönheit und Unberührtheit im Schritt wirtschaftlich wert?

Während die sexuelle Befreiung und der unbefangene Umgang mit der Sexualität ein wichtiger Schritt zur Emanzipation der Frauen war, ist der leichte Zugang zu Hardcorepornografie als Informationsquelle für Jugendliche und gerade für Mädchen mitunter auch ein Hindernis für die Entwicklung einer reifen, orgasmusfähigen Sexualität, wie eine Untersuchung des Frauengesundheitszentrums Graz 2009 aufzeigt. Die Darstellung des scheinbar „normalen“ Geschlechtsverkehrs in Pornofilmen orientiert sich stark an männlichen sexuellen Bedürfnissen und Techniken zu deren Befriedigung. Im Gegensatz zu den 1970er-Jahren ist den Mädchen von heute die Bedeutung der Klitoris zur Erlangung eines Orgasmus weniger bewusst als ihren Müttern, oder sie sind verunsichert, wenn ein Orgasmus ohne zusätzliche Stimulation der Klitoris, z.B. manuell, erreichbar ist – anders als es in vielen pornografischen Darstellungen den Anschein hat.

Vermittlung von Jugend und Kindlichkeit

Nichtmedizinisch indizierte Eingriffe im Genitalbereich bei Frauen, wie die Rekonstruktion des Hymens, Kürzungen der Glans clitoridis oder Augmentation des so genannten G-Punktes, die Verengung der Vagina und die Verkleinerung der kleinen oder Augmentation der großen Schamlippen, meist bei älteren, sehr schlanken Frauen, lassen sich wie die meisten ästhetischen Eingriffe subsumieren unter Vermittlung von Jugend und – im Bereich der Genitalchirurgie besonders problematisch – von Kindlichkeit. Gerade junge Frauen neigen dazu, sich an normierten Schönheitsidealen zu orientieren. Während in manchen westlichen Ländern eine Einwilligung in einen genitalchirurgischen Eingriff per se nicht möglich ist und eine Unwirksamkeit der Einwilligung eine strafrechtliche Verfolgung des Operateurs wegen Körperverletzung nach sich ziehen kann, ist in Österreich im so genannten ÄsthetikOP-Gesetz klar geregelt, unter welchen Vorraussetzungen ein ästhetischer Eingriff, auch im Genitalbereich, vorgenommen werden darf. Sollte eine fehlende Einwilligungsfähigkeit vorliegen, darf der Eingriff nicht vollzogen werden. So kann die paradoxe Situation entstehen, dass ein Eingriff an einer hellhäutigen, in westlich geprägter Kultur aufgewachsenen Frau zulässig ist, der gleiche Eingriff aber einer erwachsenen Afroamerikanerin mit der Unterstellung, dass sie unter einem kulturellen Zwang stehe, somit gar nicht einwilligungsfähig ist, vorenthalten werden muss. Man unterstellt Letzterer kulturellen Zwang, doch was ist mit dem Zwang des Modediktates, dem die klassische Mitteleuropäerin unterliegt?

Der häufigste Eingriff ist die Verkleinerung der inneren Schamlippen. Die häufigsten Komplikationen sind Nachblutungen oder bei zu ausgedehnter Resektion in longitudinaler Richtung Strikturen am Introitus vaginae durch Narbenbildung und in weiterer Folge Schmerzen oder wiederholtes Einreißen der Haut beim Geschlechtsverkehr und Verlust der Orgasmusfähigkeit. Bei triangulärer Exzision kann es durch Wundheilungsstörungen zu geteilten Schamlippen oder Löchern im Verlauf der Naht kommen. Eine Reduktion des Präputium clitoridis kann durch das Freilegen der hochsensiblen Klitoris zu permanenten Schmerzen bis hin zu Vernarbungen und folglich reduzierter Sensibilität bis wiederum zum Verlust der Orgasmusfähigkeit führen.

Die Augmentation des so genannten G-Punktes, welcher als solcher anatomisch de facto nicht existiert, erfolgt üblicherweise mittels abbaubarer Hyaluronsäure, wobei die häufigsten Komplikationen die Penetration der Urethra sowie Granulombildungen mit persistierenden Missempfindungen darstellen. Kenntnis über die Anatomie der Klitoris und deren weitläufige Ausdehnung als Organkomplex im Unterbauch der Frauen bestehen üblicherweise weder bei den behandelnden Ärzten noch bei den Patientinnen.

Keine der angeführten Praktiken führt wissenschaftlich evident zu einer Steigerung der Lust, des Lustempfindens oder der Orgasmusfähigkeit der Frauen, unbestritten führt aber das Gefühl, sich schön zu finden auch an dieser intimen Stelle zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins und somit möglicherweise zu einem gelösteren und ungehemmteren Umgang in der Interaktion mit dem Partner und in weiterer Folge zu einem entspannteren Erleben des Sexualaktes und damit verbundener Luststeigerung und Orgasmusfähigkeit.

Schmaler Grad der Entscheidung

Sara Paloni et al. diskutieren die Vergleichbarkeit von ästhetischer Genitalchirurgie und Female Genital Mutilation als Ausdruck des kulturellen und gesellschaftlichen Drucks auf Frauen, sich einem operativen Eingriff am Genital zu unterziehen. Da der schmale Grat zwischen freier Entscheidung zur äußerlichen Veränderung unter bester medizinischer Unterstützung als Ausdruck der Selbstbestimmtheit der Frau und der selbstbeschädigenden Unterwerfung unter kulturelle und gesellschaftliche Normen für die Gesellschaft neue Probleme ethischer, sexualmedizinischer, psychologischer und juristischer Natur hervorruft, hat die Politik in Zusammenarbeit mit den betroffenen Fachgesellschaften ein Konsensuspapier mit Leitlinien zur Genitalchirurgie bei Frauen publiziert (www.frauengesundheit-wien.at). Einer entscheidungsfähigen, emanzipierten Frau soll die Möglichkeit, sich einer ästhetischen Korrektur im Genitalbereich zu unterziehen, keinesfalls vorenthalten werden. Das behandelnde Team muss sich, unabhängig von der zweifelsohne wirtschaftlich reizvollen Thematik, auf seine ethischen Werte als Mediziner besinnen. Das ubiquitäre Versprechen der Werbung in der ästhetischen Genitalchirurgie, die Orgasmusfähigkeit oder die sexuelle Lust steigern zu können, ist in vielen Fällen unter dem Aspekt derIrreführung der Patientinnen zu betrachten.