Stadieneinteilung des Burn-out: Relevanz in der klinischen Praxis

Ärzte Krone: Sie haben vor einigen Jahren eine Stadieneinteilung des Burn-out für die klinische Praxis entwickelt (Abb. und Tab.). Wie bewährt sich diese Stadien­einteilung?

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek: Diese Stadieneinteilung hat sich in der klinischen Praxis bewährt, was auch nicht verwunderlich ist, denn sie wurde anhand von klinischen Erfahrungen gebildet. Vor allem die Unterscheidung zwischen dem Stadium II, dem Übergangsstadium, und III, dem Erkrankungsstadium, hat eine hohe klinische Relevanz, weil man andere therapeutische Maßnahmen setzen muss. Das Stadium II ist besonders geprägt durch eine Erhöhung des Sympathikotonus und somit einer vegetativen Überreizung mit den Folgen hoher Blutdruck, Herzfrequenzerhöhung, Schwitzen, Unruhe, Spannungsgefühle bis hin zum Zittern. Hier sind Maßnahmen zur Senkung des Sympathikotonus erforderlich, während es im Stadium III zur völligen Erschöpfung, zum Überwiegen des Parasympathikotonus kommt. Hier braucht es andere Maßnahmen, vorzugsweise eine antidepressive Medikation. Das Stadium I liegt noch im „Gesunden“, es zeigen sich aber erste Zeichen des Burn-out; in Stadium II, dem Übergangsstadium vom Gesunden ins Kranke, stehen oft bereits die körperlichen Beschwerden im Vordergrund, und in Stadium III treten dann manifeste schwere psychische Erkrankungen wie schwere Depressionen und Dysphorie auf. In Stadium III brauchen die Betroffenen in der Regel eine adäquate psychopharmakologische Behandlung und häufig längerfristige stationäre Aufenthalte, in den Spätstadien des Stadiums III möglicherweise auch die Pensionierung. Das ist von großer Bedeutung, denn bislang wurde Burn-out generell mit Pensionierung assoziiert und es wurde kritisiert, dass viele Menschen wegen Burn-out in Pension gehen. Jetzt nimmt man Burn-out nicht als Gesamtes, sondern nur die Spätstadien, in denen eine Behandlung in einer Burn-out-Klinik oder einer ähnlichen Einrichtung auch sinnvoll ist. Das macht in Stadium I oder II keinen Sinn.

 

 

Setzen Sie im Anton-Proksch-Institut diese Stadieneinteilung ein?

Ja, wir setzen sie in der klinischen Praxis ein. In der Zwischenzeit haben wir aber auch ein Erhebungsinstrument entwickelt, einen Fragebogen, der mittels eines Algorithmus Auskunft gibt, in welchem Stadium sich der Betroffene befindet. Dieses Erhebungsinstrument ist validiert und wird bereits bei einer repräsentativen epidemiologischen Studie zur Prävalenz psychischer Erkrankungen eingesetzt. Wir wissen ja bis dato nicht, wie viele Menschen in Österreich psychisch krank sind und welche Diagnosen diese haben. Die verfügbaren Daten beruhen auf Rückschlüssen von der verordneten Medikation oder von den Frequenzen in der Psychotherapie beziehungsweise bei niedergelassenen Kassenärzten. Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata hat mit Mitarbeitern diese große Studie durchgeführt, wir haben als Arbeitsgruppe den Burn-out-Teil mitgestaltet, bei dem der Fragebogen als Befragungsinstrument eingesetzt worden ist. Bisher gingen die Zahlen extrem auseinander, von „jeder Zweite ist durch Burn-out gefährdet“ bis „es handelt sich nur um ein marginales Problem“. Nun gibt es konkrete Daten.

Was sind die genauen Ergebnisse dieser Studie?

Die Studie, die vom Sozialministerium unterstützt wird, wurde heuer im Sommer vorgestellt. Rechnet man die verschiedenen Burn-out-Stadien zusammen sind 44 % der Menschen betroffen, davon 19 % im Problemstadium, 17 % im Übergangsstadium und 8 % im Erkrankungsstadium. Besonders gefährdet sind Schichtarbeiter (69 %), Ärzte in Wien (59 %)sowie IT-Kräfte (53 %). In der Gruppe der unter 30-Jährigen findet sich ein besonders hoher Anteil an Personen im Erkrankungsstadium, der mit zunehmendem Alter wieder geringer wird und ab dem 50sten Lebensjahr wieder ansteigt. Das ist sehr plausibel, da gerade diese beiden Altersgruppen dem Druck am Arbeitsplatz besonders ausgesetzt sind. Anhand der Überforderungssituation kann man die Burn-out-Stadien gut erfassen: Es hat sich gezeigt, dass im I. Stadium, in dem der Betroffene noch gesund ist, aber bereits eine erste Überforderung besteht, schon geringere Reize zu einer entsprechenden Reaktion im aggressiven Spektrum führen. Im II. Stadium entwickelt sich eine deutliche Gereiztheit, die im III. Stadium in eine Dysphorie übergeht, aus der der Betroffene nicht mehr herauskommt.

Gibt es präventive Ansätze für Betroffene in Stadium I?

In Stadium I ist keine Behandlung und in der Regel auch kein Krankenstand erforderlich, jedoch Beratung und möglicherweise auch Coaching. Ganz wichtig ist, dass nicht nur der Betroffene beraten wird, sondern auch seine Umgebung. Burn-out entsteht entgegen der Volksmeinung nicht nur durch ein Zuviel an Arbeit. Faktoren wie mangelnde Fairness, wenn der Betroffene das Gefühl hat, andauernd unfair behandelt, nicht beachtet zu werden, wenn das Arbeitsklima schlecht, die Arbeitssituation chaotisch und nicht durchschaubar ist, spielen eine sehr große Rolle in der Burn-out-Entwicklung. Daher macht es nicht viel Sinn, bei einer Burn-out-Beratung zu sagen, arbeiten Sie weniger und gestalten Sie Ihre Freizeit schöner, denn ein wesentlicher Faktor im I. Stadium ist, dass man die Freizeit immer mehr mit Arbeit füllt, ohne dass man es als Arbeit deklariert. Bei Frauen ist es typischerweise die Pflege von Angehörigen, bei Männern „Haus bauen“.

Wo müsste man ansetzen?

Bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern: Die fatale Situation in Österreich ist, dass wir eine unheilvolle Diskussion haben, wer schuld am Burn-out ist. Das Hauptargument der Arbeitgeber ist, dass es sich bei den Burn-out-Betroffenen um verweichlichte Menschen handelt, die nicht arbeiten wollen oder können und eigentlich nur Beziehungsprobleme haben. Es ist auch so, dass es kaum einen Burn-out-Betroffenen gibt, der keine Beziehungsproblematik hat. Das ist verständlich, denn wenn der Lebensschwerpunkt völlig in die Arbeit wandert, bleibt keine Zeit für die Beziehung, dementsprechend gibt es Beziehungsprobleme – und die verstärken wiederum die Burn-out-Problematik. Das Argument der Arbeitnehmer ist, dass die Arbeitsbedingungen nicht adäquat sind.
Beobachtet man Industriellenvertretung und Wirtschaftskammer auf der einen, Gewerkschaft und Arbeiterkammer auf der anderen Seite, dann werden immer wieder gleiche Stereotypien sichtbar – so kann es nie zu einer Verbesserung der Situation kommen. Daher haben wir vor ein einigen Jahren ein Forum gegründet, um diese Major Player an einen Tisch zu bringen, aber das ist noch nicht im gewünschten Maße gelungen. Solange man Burn-out nicht systemisch denkt und nicht mit Schuldzuweisungen aufhört, kann man nichts verbessern. An Burn-out haben beide Seiten ihren Anteil, und nur wenn beide Seiten ihren Anteil in den Griff bekommen, kann sich insgesamt auch etwas ändern.

In Zusammenarbeit mit dem Fachmagazin Spectrum Psychiatrie