„Themenführerschaft muss bei Ärzten liegen!“

Die Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) hat am 23. 6. in Bad Gastein den Wiener Ärztekammerpräsidenten Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres einstimmig zum neuen Präsidenten der ÖÄK gewählt. Er folgt damit Dr. Artur Wechselberger nach, der das Amt des Spitzenrepräsentanten der österreichischen Ärzteschaft seit 2012 innehatte.
Erster Vizepräsident wurde der Präsident der Steirischen Ärztekammer, Dr. Herwig Lindner, der schon bisher als Finanzreferent Mitglied des ÖÄK-Präsidiums war. Zum Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte wurde Dr. Harald Mayer aus Oberösterreich für seine nunmehr vierte Amtsperiode wiederbestellt. Der Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte in Wien, Dr. Johannes Steinhart, wurde erneut zum Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte gewählt. Mayer und Steinhart fungieren damit automatisch als Vizepräsidenten der Österreichischen Ärztekammer.

Ärzte Krone: Herr Präsident, welche „Baustellen“ sehen Sie bundesweit im Gesundheitswesen?

Thomas Szekeres: Die aktuellste Baustelle ist sicherlich das PHC-Gesetz, das in der derzeitigen Form nicht praxistauglich ist. Wichtig ist eine Aufwertung des Hausarztes, auch mit der entspre-chenden Honorierung. Wir fordern eine Anstellung von Ärzten durch Ärzte, die Vertretungstätigkeit muss freiberuflich möglich sein. Die Finanzierung muss anders geregelt werden, nicht in dem Sinne, dass einfach umgeschichtet wird, statt zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen. Um in eine Primärversorgungseinheit wechseln zu können, müssten niedergelassene Vertragsärzte ihre bestehenden Kassenverträge aufgeben und sich auf eine gemeinsame Gesellschaft mit anderen Ärzten einlassen. Eine Rückkehr in den Einzelvertrag wäre schwierig: So sieht der aktuelle Gesetzesentwurf bis zum Jahr 2025 eine Rückkehrmöglichkeit für fünf Jahre, ab 2025 überhaupt nur für drei Jahre vor. Das kann nicht sein. Die Netzwerke am Land dürfen nur als Ergänzung zur wohnortnahen Versorgung gesehen werden.
Die eine oder andere „Baustelle“ hätten wir vielleicht gar nicht oder könnten sie vermutlich leichter beheben, wenn Politik, aber auch Dienstgeber und Sozialversicherung den Ärztinnen und Ärzten bzw. den Gesundheitsberufen generell mit mehr Wertschätzung begegnen würden. Ein erstes Zeichen für ein Umdenken wäre die Streichung des Technokratenbegriffs „Gesundheitsdienste-anbieter“. Und vielleicht sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die großen Reformen im Gesundheitssystem von Ärztinnen und Ärzten ausgingen, nicht von Gesundheitstechnokraten.
Was wir brauchen, ist eine ergebnisoffene Diskussion über Kassenzusammenlegungen. Darauf aufbauend kann man durchaus auch über einheitliche Leistungskataloge im Kassenbereich sprechen. Was wir nicht akzeptieren würden, ist eine Umwälzung der Fusionskosten auf die Ärzte mittels billiger Tarife. Wenn man sich im Hauptverband jedoch weiterhin vor allem darauf konzentriert, die Ärzteschaft zu schwächen und die eigene Macht weiter einzuzementieren, dann – ich sage es nicht zum ersten Mal – muss man auch die Auflösung des Hauptverbands in Betracht ziehen.
Intern sehe ich eine zentrale Aufgabe der ÖÄK darin, die Aus-bildung noch weiter zu verbessern. Wir haben mit der Ausbil-dungsreform schon viel für die jungen Kolleginnen und Kollegen erreicht, aber wie bei jeder Reform gibt es auch hier Punkte, die man noch nachjustieren muss. Ich denke vor allem daran, dass viel zu wenig junge Kolleginnen und Kollegen sich für die Allge-meinmedizin entscheiden.

Was hat oberste Priorität?

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu einer solidarisch orientierten Gesundheitsversorgung von allen Playern im Gesundheitssystem, denn wir müssen uns über eines im Klaren sein: Eine gerechte Gesellschaft benötigt Grundkonsens in bestimmten Werten. Einer davon heißt Gesundheit und Recht auf bestmögliche Behandlung. Unser Gesundheitssystem darf nicht nur ökonomischen, sondern muss auch solidarischen Aspekten vollinhaltlich gerecht werden. Was Mediziner und Patienten in unserem Gesundheitssystem der Zukunft brauchen, sind Zeit für Zuwendung und gut ausgebildete Menschen, die mit Engagement und Freude ihren Beruf ausüben können. Dazu benötigt man ein akzeptables Arbeitsumfeld – auch und vor allem in den Spitälern – sowie eine der langen Ausbildungsdauer und fachlichen Qualität entsprechende Wertschätzung. Wir brauchen also eine Rehumanisierung des Gesundheitssystems bei gleichzeitiger Intensivierung der medizinischen Spitzenforschung, die in Österreich angesichts unterdotierter Universitäten und sinkender Forschungsbudgets ebenso gefährdet ist wie die Finanzierung des aktuellen Sozialversicherungssystems. Das wird eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre sein: Ohne deutliche Reform der Kassenhonorierung und Anpassung von Kassenplanstellen an die demografische Entwicklung – angesichts des rasanten Wachstums der Städte – wird es nicht gehen. Dafür müssen wir unsere Kräfte bündeln, Vorurteile und Schranken abbauen. Endlich die Ärztinnen und Ärzte radikal von administrativen und bürokratischen Tätigkeiten entlasten und dafür anderes Personal einsetzen, die starren Reglementierungen bei Gruppenpraxen aufheben und neue Honorierungssysteme einführen, den niedergelassenen Bereich effizient mit dem muralen verzahnen, massiv in Prävention investieren sowie in die Ausbildung intensivieren.
Was ELGA betrifft: Niemand kann mir schlüssig den Sinn von ELGA in der aktuell vorliegenden Form erklären. ELGA könnte funktionieren, aber nur, wenn es für Ärzte und Patienten freiwil-lig ist und keine staatliche Zwangsbeglückung darstellt.

Welche Lösungsvorschläge haben Sie?

Reformen können nicht funktionieren, wenn die Expertise derer, die sie umsetzen sollen, nicht in die Planung einbezogen wird. Die Ärzteschaft und auch die anderen Gesundheitsberufe müssen ihre Erfahrungen und Meinungen in sämtlichen Gesundheitsreformgremien einbringen können.
Damit unser Gesundheitswesens weiterhin sozial abgesichert ist, muss der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP erhöht werden. Weg mit dem sogenannten Kostendämpfungspfad! Mehrausgaben für das Gesundheitswesen sind kein Selbstzweck, sondern ein Kollateralnutzen – etwa bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Festigung des Wirtschaftsstandorts sowie einer sozial ausgewogenen gerechten Gesellschaft. Ich denke etwa an eine volle steuerliche Absetzbarkeit privater Krankenversicherungen oder an die nach 20 Jahren längst überfällige Anpassung der Mutter-Kind-Pass-Tarife und -Leistungen. Und es sollte endlich zu einer klaren Trennung von Zahler und Anbieter kommen, denn es ist politischer Nonsens, wenn die Sozialversicherung als Zahler gleichzeitig auch eigene Gesundheitseinrichtungen betreibt.

Wie kann man Ärzte wieder ins Kassensystem bringen?

Der freiberuflich tätige Arzt, egal ob als Kassen- oder Wahlarzt tätig, muss gestärkt werden. Etwas so Selbstverständliches wie die Möglichkeit der Anstellung von Ärzten bei Ärzten und in Gruppenpraxen sollte längst umgesetzt sein. Auch die Misstrauenspolitik gegen Ärztinnen und Ärzte – Stichwort: „Mystery Shopping“ – gehört beendet – so geht man mit Vertragspartnern nicht um, und so gewinnt man vor allem keine neuen. Die Kostenrückerstattung bei Wahlärzten muss auf 100 % des Kassentarifs angehoben, der Vorsteuerverlust bei Vermietung an Ärztinnen und Ärzte muss entsorgt werden. Auch brauchen wir endlich einen erweiterten, modernen medizinischen Standards angepassten Leistungskatalog im Kassenbereich. Junge Ärztinnen und Ärzte wollen umsetzen, was sie gelernt haben, schließlich ist man als Arzt, Ärztin von Anfang an den Patientinnen und Patienten gegenüber verpflichtet. Es ist Aufgabe der Kassen, ihren Vertragspartnern die Erfüllung dieser Pflicht zu ermöglichen.
Carl von Rokitansky, Josef Skoda, Ferdinand vom Hebra, Ignaz Phillipp Semmelweis, Ludwig Türk bis hin zu Theodor Billroth und den Nobelpreisträgern für Medizin Karl Landsteiner, Robert Bárány und Julius Wagner-Jauregg haben die Reputation der österreichischen Medizin weit über die Landesgrenzen hinaus getragen und gefestigt. Es ist unsere Aufgabe als Standesvertretung, Bedingungen zu schaffen, die diesen Weltruhm prolongieren.

Welche Anreize sind notwendig, um junge Mediziner im Land zu halten?

Die Mehrzahl der ins Ausland abwandernden Ärztinnen und Ärzte tut dies nicht aus Jux und Tollerei oder weil es in Österreich keine Jobs gäbe. Junge Mediziner verlassen unser Land, weil Arbeitsbedingungen, Wertschätzung und nicht zuletzt auch die Bezahlung im Ausland oft besser sind. Um den existierenden Braindrain zu stoppen, brauchen wir daher eine Attraktivierung des Arztberufs, die schon bei der Ausbildung ansetzt. Wir brauchen eine deutlich bessere Turnusausbildung, mit mehr Betreuung der Jungmediziner und weniger administrativen und bürokratischen Aufgaben für die angehenden Kolleginnen und Kollegen. Und das setzt sich fort bei einem verpflichtenden Praxisjahr, das die direkte Mitarbeit in Ordinationen vorsieht und dessen Finanzierung endlich österreichweit gesichert werden muss.
Auszubildende müssen Möglichkeit und Zeit haben, sich zu ori-entieren, ihre Fähigkeiten und Talente zu erkennen und vor allem, sich weiterzubilden. Das alles ist derzeit zu wenig der Fall. Denn was wir brauchen, sind nicht nur ausreichend viele, sondern vor allem auch motivierte Ärztinnen und Ärzte. Denn nur in einem patienten- und ärztefreundlichen Klima halten wir unsere jungen, gut ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte im Land.

Welche Anreize für Besetzung von Landarztstellen können Sie sich vorstellen?

Junge Ärzte müssen die Möglichkeit haben, in die Ordinationsführung hineinzuwachsen. Dafür brauchen wir entsprechend flexible Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Allen voran aber ist die Finanzierung der verpflichtenden Lehrpraxis endlich flächendeckend sicherzustellen – und zwar auch für Fachärzte. Auch die Sicherung der Hausapotheken bleibt nach wie vor ein Thema. Zudem sollten Länder und Gemeinden, die die Ansiedlung von Ärztinnen und Ärzten fördern, im Rahmen von regionalen Förderprogrammen auch durch den Bund unterstützt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Resolution der Ärztekammer-Vollversammlung zum PVE Gesetz

Die Österreichische Ärztekammer bekennt sich eindeutig zu einer modernen Primärversorgung.

In dem Entwurf des vorliegenden Primärversorgungsgesetzes (GRUG) findet sich die  Ärzteschaft nicht wieder, weshalb dieser auch entschieden abgelehnt wird.
Folgende Forderungen sind für die Österreichische Ärztekammer weiterhin essenziell:

  • neue Kooperationsformen für Ärztinnen und Ärzte, zu denen auch die Anstellungsmöglichkeit gehört
  • echte finanzielle Aufstockung des niedergelassenen Bereiches (statt Finanzierung aus Mitteln, die anderswo fehlen)
  • zeitlich unbegrenzte Rückkehrmöglichkeit in den Einzelvertrag
  • vollständige Finanzierung der Lehrpraxis.

Die Österreichische Ärztekammer hat zur Durchsetzung dieser Forderungen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog beschlossen, der im bevorstehenden Nationalratswahlkampf die Gesundheitspolitik mit aller Konsequenz in die Verantwortung nehmen wird. Dazu zählen eine breit angelegte Informationskampagne für die Patienten, verstärkte PR-Maßnahmen bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Auftritten in jeglicher Form.