Therapiebedürftige Ängste und Angststörungen – wie behandeln?

Behandlungsbedürftige Ängste gehen weit über die Angststörungen hinaus. So kann auch bei somatischen Zuständen Angst auftreten, ohne dass diese gleich die Kriterien einer Angststörung erfüllen. Auch bei vielen psychischen Störungen treten Ängste auf, ohne dass eine Angststörung im engeren Sinne vorliegt.
Mit der ICD-11, der noch nicht gültigen neuen Klassifikation der WHO, werden Angststörungen neu gefasst. Zu der generalisierten Angststörung, einer langandauernden unangebrachten Angst, der Panikstörung, wiederholtem Auftreten von Panikattacken, und den Phobien wurden die Trennungsangststörung und der selektive Mutismus neu aufgenommen.

Der psychotherapeutische Zugang

Psychoedukation: Wichtig für die Patient:innen ist es, im Rahmen der Psychoedukation die eigene Angststörung zu verstehen, um die Grundlage für das Selbstmanagement zu ermöglichen. Die Panikattacke etwa kann als Fehlaktivierung des Fluchtverhaltens verstanden werden. Panikattacken allein treten etwa bei jedem 3. Menschen mindestens einmal im Leben auf. Bei einzelnen Panikattacken genügt häufig eine Psychoedukation mit Lebensstiländerung, bei der Panikstörung braucht es über die Psychoedukation und die Lebensstiländerung hinaus auch eine Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie.

Psychotherapie: Im Rahmen der Psychotherapie ist es wichtig, eine gute therapeutische Beziehung aufzubauen. Klärung, Ressourcenmobilisation, Problemkonfrontation und Bewältigung stellen weitere wichtige Wirkfaktoren dar.

Verhaltenstherapeutische Verfahren haben sich besonders bei phobischen Störungen als sehr wirksam erwiesen. An Therapiemethoden stehen Expositionsverfahren oder gestufte Verfahren wie die systematische Desensibilisierung mit dem Erlernen eines Entspannungsverfahrens zur Verfügung. Entspannungsverfahren können auch bei anderen ungerichteten Angststörungen eingesetzt werden. Besonders bewährt hat sich die progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder sogenannte „Skills“ zur Emotionsregulation. Im Rahmen einer Selbstmanagementtherapie werden 7 Therapiephasen unterschieden (siehe Kasten rechts).

Eine Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie ist die metakognitive Therapie. Menschen mit einer generalisierten Angststörung setzen das „Sich-Sorgen“ als vorherrschende Strategie ein, um zukünftige Probleme zu antizipieren und Möglichkeiten der Bewältigung zu entwickeln. Das sind zunächst „gewöhnliche Sorgen“.

Ausschlaggebend für den Übergang zur generalisierten Angststörung sind vor allem die negativen metakognitiven Überzeugungen über die Unkontrollierbarkeit des Sich-Sorgens und über die Schädlichkeit des Sich-Sorgens. In der metakognitiven Therapie zielt der sokratische Dialog darauf ab, dysfunktionale Überzeugungen über Gedanken und Emotionen (Metakognitionen) aufzudecken und zu verändern.

Pharmakologische Therapieoptionen

Bei den pharmakologischen Interventionen ist eine sorgfältige Diagnostik ebenfalls essenziell, da nicht jedes Medikament bei jeder Angststörung indiziert ist. Der Einsatz von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) hat sich auch bei Angststörungen bewährt: Escitalopram und Paroxetin sind bei generalisierter Angststörung, Panikstörung und Sozialphobie indiziert. Sertralin hingegen ist bei Panikstörung und Sozialphobie indiziert. Mit Blick auf häufige Komorbiditäten sind SSRI auch bei Zwangsstörungen indiziert; bei posttraumatischer Belastungsstörung jedoch nur Paroxetin und Sertralin.

Auch die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin und Venlafaxin sind bei der generalisierten Angststörung indiziert. Venlafaxin kann auch bei Sozialphobie eingesetzt werden.
Trazodon, ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sowie 5-HT2-Rezeptor-Antagonsit, ist bei der generalisierten Angststörung und der posttraumatischen Belastungsstörung indiziert. Für den reversiblen Monoaminooxidase-A-Hemmer (RIMA) Moclobemid stellt Sozialphobie eine Indikation dar.
Für das Antiepileptikum Pregabalin besteht für die generalisierte Angststörung ebenfalls eine Indikation.
Benzodiazepine machen die Hauptgruppe der Anxiolytika aus. Benzodiazepine sind allgemein gut verträglich und werden daher bei einer breiten Palette von Ängsten im klinischen Alltag eingesetzt. Nebenwirkungen wie Benommenheit bis zur tiefen Sedierung, verzögertes Reaktionsvermögen, Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, Entwicklung einer Abhängigkeit im Langzeitgebrauch und Risikofaktor für eine Demenzentwicklung im Langzeitgebrauch machen Benzodiazepine allerdings in der Regel nicht für eine Dauertherapie geeignet. Wichtig ist die Vermeidung einer Suchtentwicklung bei Tranquilizern.

Das Antihistaminikum Hydroxyzin kann bei der Behandlung der generalisierten Angststörung eingesetzt werden.
Auch Phytotherapeutika können helfen. In der Metaanalyse von Känel et al. (2021) konnte gezeigt werden, dass das Lavendelpräparat Silexan® statistisch signifikante und klinisch relevante Vorteile gegenüber einer Placebobehandlung bei der Verbesserung der somatischen Symptome, einschließlich Schlaflosigkeit/Müdigkeit, und der körperlichen Gesundheit bei Patient:innen mit Angststörungen hat.

Praxismemo

  1. Die Pharmakotherapie erfolgt differenziert. Eine sorgfältige Diagnostik ist wichtig, da nicht jedes Medikament bei jeder Angststörung indiziert ist.
  2. Bei spezifischen Phobien ist eine psychotherapeutische Strategie (z. B. Konfrontations-/Expositionstherapie) Therapie der Wahl.
  3. Benzodiazepine sollten aufgrund ihres Abhängigkeitspotenzials nur in begründbaren Fällen und mit begrenzter Einnahmedauer eingesetzt werden.