Von Polycythaemia verabis Myelofibrose

Myeloproliferative Neoplasien (MPN) sind durch eine klonale Proliferation von myeloischen Vorläuferzellen im Knochenmark gekennzeichnet, die durch genetische Veränderungen entstehen. Nach der WHO/ICC-Klassifikation aus dem Jahr 2022 zählen folgende Entitäten dazu: die chronische myeloische Leukämie (CML), die essenzielle Thrombozythämie (ET), die Polycythemia vera (PV), die primäre Myelofibrose (PMF) sowie noch 4 weitere, deutlich seltenere Formen.1

Genetisches Profil als Wegweiser

Neben klinischem Bild, Knochenmarkmorphologie, Immunphänotyp und zytogenetischer Analyse hat insbesondere der Fortschritt in der molekularen Diagnostik wesentlich zur sicheren Einordnung der MPN und zum besseren Verständnis ihrer Entstehung beigetragen.1 Während die CML durch das Philadelphia-Chromosom mit der therapeutisch entscheidenden BCR-ABL1-Genfusion charakterisiert ist2, zeigen sich bei der ET, PV und PMF Treibermutationen im JAK2-, CALR– oder MPL-Gen (mit unterschiedlichen relativen Häufigkeiten).1 Alle 3 Mutationen betreffen den JAK-STAT-Signalweg, der für die Regulation der Zellproliferation eine Rolle spielt. Die angeführten genetischen Aberrationen sind nicht spezifisch für eine MPN: Zwar ist die PV ausschließlich mit der JAK2-Mutation assoziiert (98 % der Fälle), diese ist jedoch auch bei der ET oder PMF (jeweils 55% der Fälle) zu finden. Ein kleiner Anteil der Patient:innen weist keine Mutation auf („triplenegativ“), was die Zuordnung erschwert. Die detaillierte genetische Charakterisierung der einzelnen Subtypen – einschließlich der Identifikation von Hochrisikomutationen – ermöglicht bei einem Teil der Patient:innen inzwischen eine gezielte, molekular basierte und risikoadaptierte Therapie.1

Therapieziele der MPN

In der Therapie der MPN stehen die Vermeidung von Komplikationen und der Erhalt der Lebensqualität durch Kontrolle der gesteigerten Zellproduktion im Fokus, außerdem soll einer möglichen Transformation in eine akute Leukämie oder Myelofibrose vorgebeugt werden. Den einzigen kurativen Ansatz stellt die allogene Stammzelltransplantation (alloSZT) dar, die ausschließlich für Hochrisikopatient:innen in Frage kommt.1

Zum medikamentösen Spektrum gehören klassische zytoreduktive Substanzen (Hydroxyurea, Interferon-a), die durch zielgerichtete Therapien, insbesondere Tyrosinkinaseinhibitoren, die bei entsprechenden Mutationen zu tiefgreifenden molekularen Remissionen führen können, ergänzt werden. Interferon-a greift auf Stammzellebene ein und kann den Krankheitsverlauf bei verschiedenen MPN nachhaltig modulieren.1

Merkmale und Therapie der ET

Die ET verläuft häufig asymptomatisch und zeichnet sich durch eine persistierende Erhöhung der Thrombozytenzahl aus, was zu Thrombosen und Blutungen führen kann. Zur Vermeidung dieser Komplikationen stehen Hemmstoffe der Thrombozytenaggregation und zytoreduktive Substanzen zur Verfügung. Bei einzelnen JAK2-positiven Patient:innen kann die ET in eine PV übergehen, eine Transformation in eine Myelofibrose, ein myelodysplastisches Syndrom oder eine akute Leukämie ist ebenfalls möglich, aber selten.3

Zur Festlegung der Behandlungsstrategie wird eine Risikostratifizierung (thromboembolische Komplikationen, Alter > 60 Jahre) vorgenommen. Besteht mindestens ein Risikofaktor, werden die Patient:innen der Hochrisikogruppe zugeordnet, bei Abwesenheit aller Risikofaktoren der Niedrigrisikogruppe. Personen ohne definierte Risikofaktoren, aber mit kardiovaskulärem Risiko (Hypertonie, Diabetes etc.) werden einer intermediären Risikogruppe zugeordnet. Die molekularen Parameter haben Einfluss auf den klinischen Phänotyp und die Prognose, was Eingang in zukünftige Risikobewertungen finden könnte. Während bei niedrigem Risiko eine Watch-and-wait-Strategie verfolgt wird, ist ASS in einer Dosierung von 50 bis 100 mg/Tag empfohlen, sofern keine Mikrozirkulationsstörungen oder Kontraindikationen vorliegen. Für die Hochrisikopopulation kommen Hydroxycarbamid, Anagrelid oder Interferon-a zum Einsatz.3

Merkmale und Therapie der PV

Bei der PV kommt es zu einer Erythrozytose, die häufig mit einer Leukozytose und/oder Thrombozytose vergesellschaftet ist. Mikrozirkulationsstörungen können Sehstörungen, Parästhesien, Erythromelalgie, Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen verursachen. Charakteristisch ist der quälende Pruritus, der insbesondere durch Kontakt mit Wasser auftritt. Der Krankheitsverlauf ist durch verschiedene Stadien gekennzeichnet, die eine Anpassung an die jeweilige Situation erfordern. Am Beginn der Therapie stehen Aderlässe, um eine Absenkung des Hämatokrits auf unter 45 % zu erreichen, sowie die Prävention thromboembolischer Komplikationen durch ASS (üblicherweise 100 mg/Tag). Eine zytoreduktive Therapie ist bei hohem Risiko (ähnliche Stratifizierung wie bei der ET) sowie unter Umständen (z. B. häufige Aderlässe, zunehmende/symptomatische Splenomegalie, persistierende Leukozytose) auch bei niedrigem Risiko erforderlich.4

Besteht Bedarf an einer zytoreduktiven Therapie, kommen als Erstlinientherapie Hydroxyurea oder pegyliertes Interferon-a (PEG-IFNa) zum Einsatz, wobei vorzugsweise PEG-IFNa empfohlen wird. Dies gilt insbesondere für Patient:innen unter 60 Jahren, wobei die Substanz für die Primärtherapie der PV ohne Alterslimit zugelassen ist. Bei der neueren Form Ropeginterferon-a-2b (Ro-PEG-IFN) mit längerer Wirkdauer, die für PV-Patient:innen ohne symptomatische Splenomegalie zugelassen ist, ist eine Applikation alle 14 Tage möglich, die bei gutem Ansprechen auch verlängert werden kann.4 Im Langzeitverlauf zeigte sich für Ro-PEG-IFN ein signifikanter Benefit gegenüber Hydroxyurea, der durch bessere und tiefere Ansprechraten gekennzeichnet ist.5, 6 Darüber hinaus reduzierte sich die Mutationslast, wodurch bei geeigneten Patient:innen eine Therapiepause möglich wird.6 Ab der Zweitlinie ist der JAK-Inhibitor Ruxolitinib zugelassen, abhängig von der Erstlinientherapie kann aber auch Hydroxyurea oder PEG-IFNa versucht werden.4

Merkmale und Therapie der PMF

Die Myelofibrose kann entweder de novo entstehen (primäre Myelofibrose) oder sich sekundär aus einer ET oder PV entwickeln (sekundäre Myelofibrose). Das klinische Bild einer PMF („overt fibrotic PMF“) zeigt sich klassisch durch Anämie, Splenomegalie und konstitutionelle Symptome (Nachtschweiß, Fieber, Gewichtsverlust). Im Anfangsstadium (Prä-PMF) ist sie meist asymptomatisch und häufig ein Zufallsbefund (Anämie, Thrombozytose, leukoerythroblastisches Blutbild).7Nachdem der klinische Verlauf der PMF sehr heterogen ist, sind Prognose- bzw. Risikoscores für die Therapiewahl maßgeblich.

„In der Therapie der Myelofibrose hat sich in den letzten Jahren viel getan. Derzeit werden experimentell auch Substanzen mit krankheitsmodifizierender Wirkung entwickelt, von denen man sich insbesondere in Kombination mit JAK-Inhibitoren einen klinischen Nutzen erwartet.“

In prognostisch ungünstigen Stadien und bei entsprechender Eignung (Alter unter 70 Jahren, passende:r Spender:in vorhanden) ist eine alloSZT empfohlen, die allerdings mit einer Mortalitätsrate von 20 % bis 30 % verbunden ist. Für Patient:innen der Niedrigrisiko- oder Intermediär-1-Gruppe sowie in Fällen, in denen eine alloSZT nicht möglich ist, kommen bei Abwesenheit von Symptomen oder Splenomegalie eine Watch-and-wait-Strategie, problemorientierte Therapie (der Hyperproliferation, Anämie, Splenomegalie) oder der Einschluss in eine klinische Studie in Frage. Hingegen sind bei Vorhandensein von Symptomen oder Splenomegalie zusätzlich die JAK-Inhibitoren Ruxolitinib oder Fedratinib eine Option (anstelle der Watch-and-wait-Strategie).7

Gemäß dem Onkopedia-Leitlinien-Update 2025 wird nun bei klinisch symptomatischen oder moderaten bis schweren Anämien der neue JAK-Inhibitor Momelotinib empfohlen.8 Die zusätzliche Inhibierung (neben JAK 1/2) von ACVR1, das an der Regulation von Hepcidin beteiligt ist, zeigte einen klinischen Nutzen bei Anämie. In der Zulassungsstudie führte Momelotinib bei JAK-vorbehandelten Patient:innen zu signifikanten Verbesserungen der Anämiewerte, des Milzansprechens sowie der myelofibroseassoziierten Symptome – mit einem gut verträglichen Sicherheitsprofil.9