Was niedergelassene Ärztinnen wollen

Der Arztberuf wird zunehmend weiblich: Mehr als 54 % der Allgemeinmediziner:innen sind Frauen und schon mehr 58 % der Medizinstudierenden. Als niedergelassene Kassenärztin in Österreich gibt es allerdings eine Menge an Herausforderungen. Auf der einen Seite ist der Job generell mit viel Bürokratie, unflexiblen Arbeitszeiten sowie fehlendem Verständnis von Seiten der Patient:innen und der Politik verbunden. Auf der anderen Seite werden Kassenärztinnen mit denselben Problemen wie auch andere Frauen konfrontiert: Vorurteile, konservative Rollenbilder, fehlende Hilfe bei der Kinderbetreuung und eine „gläserne Decke“, die den beruflichen Aufstieg erschwert. Die von der Politik angestoßene Debatte rund um die Attraktivierung der Kassenverträge sowie eine mögliche Zwangsverpflichtung für Jung- oder Wahlärzt:innen stößt dabei vielen sauer auf. Anstatt junge Frauen in Kassenverträge zu drängen, solle man die Rahmenbedingungen besser und moderner gestalten – und an die Bedürfnisse von Frauen anpassen. Der Kassenvertrag müsse „auf die Lebenssituation abgestimmt werden können“, fordert Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, Ärztin für Allgemeinmedizin und Stellvertretende Kurienobfrau für den niedergelassenen Bereich der Ärztekammer für Wien. Das jetzige Modell sei „nicht mehr zeitgemäß“.

Flexiblere Arbeitszeiten

Besonders Ärztinnen mit Kindern stehen vor großen Herausforderungen. Einerseits gebe es immer wieder Vorwürfe, wenn man als Mutter voll berufstätig ist und viel Zeit in der Ordination verbringt. „Frauen werden da schnell als Rabenmütter bezeichnet. Uns wird vorgeworfen, dass wir nicht genug für unsere eigenen Kinder tun. Diesem Druck wollen sich viele junge Kolleginnen nicht aussetzen“, meint Dr.in Martina Hasenhündl, neue Obfrau der Kurie des niedergelassenen Bereichs der Ärztekammer Niederösterreich. Viele Kolleginnen würden deshalb eine Wahlarztordination wählen, um sich die Zeit flexibler einteilen zu können und dort Teilzeit zu arbeiten. Das sei aber gefährlich, denn manche davon verlassen sich dabei auf die finanzielle Unterstützung ihres Partners. „Von allen Berufen haben wir Medizinerinnen eine der höchsten Scheidungsraten. Was tu ich dann, wenn ich plötzlich allein dastehe, mit zwei Kindern und einem Einkommen von tausend Euro im Monat?“

Flexiblere Arbeitsmodelle

Damit Frauen, und vor allem jene mit Kindern, einen Kassenvertrag annehmen, braucht es laut Dr.in Alexandra Rümmele-Waibel, MSc, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und neue Obfrau der Kurie für den niedergelassenen Bereich der Ärztekammer Vorarlberg, flexiblere Arbeitsmodelle: „Wir stehen vor den gleichen Problemen wie selbstständige Frauen mit Familie in anderen Berufen auch, nur dass wir vertraglich an gewisse Öffnungszeiten gebunden sind, und das ist besonders schwierig mit Kindern.“ Es herrsche einerseits nach wie vor ein veraltetes Rollenbild, wo vor allem die Frau für die Kinderbetreuung zuständig ist. Andererseits sei man aber mit Unverständnis konfrontiert, möchte man die Ordination früher schließen, um bei der Familie zu sein. „Es braucht flexiblere Arbeitsmodelle, wo man beispielsweise fünf Jahre nur vormittags arbeitet; und zwar ohne, dass man dann gleich mit jemand anderem die Praxis führen muss. Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich das aufzuteilen, aber es muss einfach möglich sein, eine Einzelordination zu führen. Auch wir Einzelkämpferinnen gehören unterstützt“, fordert Rümmele-Waibel.

Hilfe für Einzelordinationen

Kamaleyan-Schmied sieht das ähnlich: „Man könnte locker bis Mittag arbeiten und dann zwei Stunden Hausbesuche machen. Das wäre vor allem für Alleinerziehende super. Für die Politik sind Primärversorgungseinheiten die Lösung aller Probleme, aber da braucht es gute Partnerschaften – die müssen erst entstehen, die müssen wachsen. Viele trauen sich nicht über die gemeinsame Abrechnung drüber. Das ist wie bei Patchwork-Familien, da habe ich auch nicht gleich ein gemeinsames Konto, sondern schau mir das erst ein paar Jahre lang an, ob das funktioniert.“ Auch hier wünscht sie sich mehr Flexibilität seitens der Kassen und ein Entgegenkommen bei den Förderungen, die es derzeit erst ab drei Partner:innen gibt. Gäbe es für Einzelordinationen ähnliche Angebote wie für Primärversorgungseinheiten – eine Art „Light-Version“ –, könnten Kassenärztinnen beispielsweise diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen oder Psychotherapeut:innen anstellen.
Von dem „Susi-sorglos-Paket“, das die Österreichische Gesundheitskasse vorgeschlagen hatte, hält sie nichts. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Ärztinnen. Damit suggeriert man den Frauen, dass sie Dumpfbacken sind. Wir haben über 50 % Frauen, die einen super Job machen, und da wird suggeriert, dass wir wen brauchen, um die Arbeit richtig zu erledigen“, ärgert sich Kamaleyan-Schmied. „Weiblich sein“ sei aber keinesfalls ein Nachteil im niedergelassenen Bereich. Als Kassenärztin zu arbeiten und die damit verbundene Selbstständigkeit sieht sie als den „besten Weg, um als Frau genauso viel zu verdienen wie ein Mann“.

Mehr Geld, weniger Bürokratie

Der Punkt sei, dass man jungen Kolleginnen Kassenordinationen unter den bestehenden Bedingungen „nicht verkaufen“ könne. Für Hasenhündl ist klar, dass es bei der Honorierung und der Bürokratie Verbesserungsbedarf gibt: „Kassenverträge attraktiver zu gestalten gelingt, indem die Verträge besser honoriert werden und mit weniger bürokratischem Aufwand verbunden sind. Es müssen Kassenverträge geschaffen werden, wo genügend Zeit für die Patient:innen da ist.“ Dass die Honorarverhandlungen österreichweit gelten, ergibt auch für Rümmele-Waibel wenig Sinn, da es landesweit „nicht dieselben Möglichkeiten“ gäbe: „In Wien ist der Weg zum nächsten Labor nicht weit, aber am Land wird das selbst gemacht. Da muss es die Möglichkeit geben, das abzurechnen.“
Wo ihre Kolleginnen mehr Geld fordern, fordert Kamaleyan-Schmied ebenso weniger Bürokratie: „Papier ist die größte Herausforderung. Die Arbeit mit den Patient:innen macht so viel Spaß, aber wenn ich dann noch drei Stunden nacharbeiten muss – das ist teilweise eine Sisyphusarbeit. Ich warte manchmal ewig auf Bewilligungen.“ Der niedergelassene Bereich gehöre aufgestockt, besser gefördert, und dazu müsse man vor allem den jungen Kolleginnen zuhören, sagt sie.