„Wiener Gesamtvertrag bringt bereits Verbesserungen“

Studien zeigen, dass Patienten im niedergelassenen Bereich einen konstanten ärztlichen Ansprechpartner über einen längeren Zeitraum wünschen. Gleichzeitig spitzt sich das Thema Ärztemangel zunehmend zu. Wie groß ist dieses Spannungsfeld?

Johannes Steinhart: Die Spannung ist förmlich spürbar auf dieser größten Baustelle unseres Gesundheitssystems. Bis 2025 wird es in Österreich eine halbe Million mehr Menschen im Alter über 60 geben – noch mehr chronisch Kranke und multimorbide Patienten, die betreut werden müssen, sind die Folge. Gleichzeitig verlieren wir aber im selben Zeitraum durch Pensionierungen und Nachbesetzungsprobleme rund 60 Prozent der Allgemeinmediziner. Dabei sind gerade die Hausärzte eine der wichtigsten tragenden Säulen des Gesundheitssystems. Sie sind der erste medizinischen Kontaktpunkt zu den Patienten und die stete Konstante in der Beziehung zwischen Patient und Gesundheitssystem – es ist im besten Fall wie bei den Schwänen, eine Beziehung, die ein Leben lang Bestand hat. Das ist durch den Ärztemangel in Gefahr!

Seitens der Politik ist zu hören, dass der niedergelassene Bereich gestärkt werden und der Hausarzt-Beruf für Jungärzte attraktiver gemacht werden soll. Reicht das beziehungsweise welche Rahmenbedingungen braucht es dafür genau?

In Wien haben wir es bei den letzten Verhandlungen mit der WGKK und der Gemeinde geschafft, dass Ordinationsgründungen in Bezirken mit einer geringen Arztdichte in bestimmten Fächern besondere Förderungen bekommen. Ein wichtiger Schritt, um Jungmediziner zu motivieren, den Weg in die Niederlassung zu gehen. Denn ein Problem ist die angesprochene bevorstehende Pensionierungswelle, ein zweites ist, dass uns der Nachwuchs fehlt. Nur zwei von 100 Medizinstudierenden wollen Hausärzte werden. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Bedingungen für niedergelassene Allgemeinmediziner im Kassensystem als sehr ungünstig wahrgenommen werden. Hinzu kommt, dass sich viele Studierende durch das Studium nicht gut auf die Hausarzttätigkeit vorbereitet fühlen. Im Medizinstudium sollte daher verstärkt auch über unternehmerisch-betriebswirtschaftliche Themen informiert werden. Wir in der Ärztekammer haben dafür ein eigenes Gründerservice „Go2Ordi“ für Praxisgründer ins Leben gerufen, dennoch sind hier vor allem die Ausbildungsstätten gefordert, unternehmerisches Wissen zu vermitteln.

Die Wiener Ärztekammer und die WGKK haben neue Kassenverträge ausgehandelt, die Verbesserungen bringen sollen. Was sind die Inhalte?

Nicht nur sollen, der Vertrag hat bereits Verbesserungen gebracht! So liegen die Tariferhöhungen je nach Fachgruppe immer über der prognostizierten Inflationsrate und bringen für Allgemeinmediziner und Kinderärzte sogar eine Anhebung von je 10 Prozent pro Jahr bis 2020. Durch die Einführung des gynäkologischen Ultraschalls im Rahmen einer Honorarposition werden die Kassenhonorare der Gynäkologen angehoben, ebenso jene der Augenärzte durch die Einführung von OCT-Untersuchungen, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen. Damit leisten wir auch einen Beitrag zu Spitalsentlastung und zur Verlagerung von Leistungen in den niedergelassenen Bereich. Weiters wurden das Jobsharing-Modell sowie die Regelungen für Vertretungen liberalisiert.

Sind damit die erwähnten Herausforderungen gelöst?

Natürlich nicht, es ist aber ein wichtiger Schritt, um die Gesundheitsversorgung in Wien langfristig zu sichern, und trägt zur Attraktivierung des niedergelassenen Bereichs bei. Eine der größten Herausforderungen für die jüngere und vor allem die kommende Medizinergeneration wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen sein. Auf diese müssen wir uns vorbereiten und vor allem erstmal das Bewusstsein schaffen. Aber auch dafür haben wir in Wien schon die Weichen gestellt: Ab Juli 2019 wird für die Fachgruppen Allgemeinmedizin, Kinderheilkunde und Gynäkologie ein Pilotprojekt für telemedizinische Konsultationen gestartet.

Was sind die nächsten Schritte, die die Ärztekammer plant?

Grundsätzlich müssen die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen so gestaltet werden, dass sie den medizinischen Nachwuchs motivieren und nicht abschrecken. Nur so werden wir genug niedergelassene Ärztinnen und Ärzte im Kassensystem haben und nur so ist zu gewährleisten, dass der von den Patienten geschätzte Hausarzt nicht zum Luxusgut für Privatversicherte wird. Wir, als Vertreter der Ärzteschaft, werden nicht müde, der Politik die passende Diagnose für die kränkelnden Stellen des Gesundheitssystems sowie die richtigen Therapien zu liefern. Nur müssen diese Vorschläge von der Politik auch angenommen werden. Denn die beste Therapie hat keine Wirkung, solange der Patient sie nicht befolgt.

 

 

Konkrete Maßnahmen

Tariferhöhungen, Einmalzahlungen und Strukturtopf Cofinanzierung durch die Stadt Wien Jobsharing-B-Modell (Parallelarbeiten) Neuregelung und Liberalisierung der Vertretungsregelungen Liberalisierung der Gruppenpraxenregelungen Bonus für freiwillig längere Öffnungszeiten Fördermaßnahmen zur Ordinationsgründung (Startbonus) Delegierungsmöglichkeiten an andere Berufsgruppen Pilotprojekt Telemedizin

 

Serie zum Wiener Vertrag

Die Ärzte Krone und Arzt & Praxis berichten in den kommenden Wochen ausführlich über die Umsetzung des neuen Honorarvertrages in Wien, der zwischen Ärztekammer, Gebietskrankenkasse und der Stadt Wien ausverhandelt wurde. Das Ziel des Vertrages ist, den Mangel an Ärztinnen und Ärzten auszugleichen und die Versorgung in vielen Bereichen zu verbessern.