„Wir brauchen einen Kulturwandel“

90 Millionen Euro

Seit 1. 1. 2015 werden jährlich alle geldwerten Leistungen der pharmazeutischen Unternehmen, die mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Zusammenhang stehen, dokumentiert und offengelegt. Die vom Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) mit Stichtag 30. Juni erhobenen Zahlen umfassen die Angaben von 74 pharmazeutischen Unternehmen. Insgesamt 119 Unternehmen sind zur Offenlegung geldwerter Leistungen gemäß Art. 9 VHC (Pharmig-Verhaltenscodex) verpflichtet, die über „eine öffentlich zugängliche Website der Unternehmen“ zu erfolgen hat. Bei 29 davon habe es keine solchen Leistungen gegeben, von 16 Unternehmen seien zum Erhebungszeitraum keine Daten vorgelegen.
Die Ergebnisse der Offenlegung: Rund 90 Millionen Euro zahlten die heimischen Pharmaunternehmen im Kalenderjahr an die Angehörigen und Institutionen medizinischer Fachkreise, um die medizinische Versorgung stetig zu verbessern und gesellschaftlichen Fortschritt zu gewährleisten. Ein Drittel (ca. 33,7 Millionen Euro) entfiel dabei auf Forschungstätigkeiten und die Durchführung klinischer Studien, die im Rahmen der Arzneimittelentwicklung stattfindet. Ein weiteres Drittel (ca. 33,8 Millionen Euro) kam Veranstaltungen zugute, die der wissenschaftlichen Information und fachlichen Fortbildung dienten. Der restliche Anteil teilt sich in Dienst- und Beratungsleistungen (ca. 14,7 Millionen Euro zum Beispiel Vortragstätigkeit im Rahmen eines Fachkongresses) sowie in Spenden und Förderungen für Institutionen (ca. 7,7 Millionen Euro zum Beispiel für Aus- und Weiterbildung) auf.
Die individuelle Offenlegung der Ärzte sank gegenüber 2015 geringfügig von 20% auf 18,7%, jene der Institutionen (Spitäler, Universitäten und andere) stieg hingegen von 56,7 auf 62,4%. Der Range der Unterstützung im Fortbildungsbereich lag 2016 zwischen 73 Euro pro Jahr und 200.000 Euro, die Spenden lagen zwischen 1.200 Euro und 800.000 Euro; die Unterstützung von Fortbildungen im Krankenhaus tätiger Ärzte lag zwischen 7.000 Euro und 2,1 Mio.
Pharmig-Generalsekretär Dr. Jan Oliver Huber: „Die pharmazeutische Industrie ist innovationsgetrieben und arbeitet intensiv daran, Krankheiten zu beseitigen oder dort, wo noch keine Heilung möglich ist, Patienten zu einer verbesserten Lebensqualität zu verhelfen. Es braucht das Miteinander von Industrie und Ärzteschaft, um die Qualität und den wissenschaftlichen Fortschritt in der Gesundheitsversorgung voranzutreiben.“

 

 

 

 

Die Zusammenarbeitunterliegt strengen Regeln

Dr. Herwig Lindner, 1. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, setzte fort: „Wissenschaftliche Fortbildung spielt hier eine wichtige Rolle. Kontinuierliche Wissenserweiterung ist für uns Ärzte nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern Teil des beruflichen Selbstverständnisses: Wir wollen unsere Patienten mit modernen Therapien bestmöglich versorgen.“ Die Unterstützung der Industrie sei notwendig und würde von Ärzten auch geschätzt, da sie aufgrund strenger Regeln in einem absolut professionellen Setting stattfinde. „Ohne Zusammenarbeit mit der Industrie gäbe es keine Weiterentwicklung und Forschung, man denke rezent nur an die rasanten Fortschritte in Onkologie und Infektiologie – dass zum Beispiel Hepatitis C heilbar ist, ist ein Quantensprung!“
Lindner zu den „schwarzen Schafen“, die auch jüngst durch die Medien gingen: „Nur ein kleiner, verschwindender Teil ist nicht rechtens. Wir haben nichts zu verbergen und gehen offen und transparent mit dem Thema um.“ Respekt sollte jenen Kollegen gezollt werden, die ihre Honorare etc. bereits offengelegt haben. „Leider haben manche Ärzte, die im vergangenen Jahr für 2015 offengelegt haben, auch negative Erfahrungen gemacht – meist in Form von Neidgefühlen anderer Kollegen. Hier brauchen wir einen Kulturwandel. In skandinavischen Ländern zum Beispiel, wo ja auch hinsichtlich der Gehälter generell eine große Transparenz besteht, wäre es umgekehrt – man würde als Koryphäe gesehen werden, wenn man Einladungen zu einer Vortragstätigkeit bekommt.“
In einigen Fällen hatte es für die offenlegenden Kollegen dienstrechtliche Unannehmlichkeiten, weil sie dem Arbeitgeber ihre Nebentätigkeit nicht gemeldet hatten.
Sowohl Huber als auch Lindner sprachen sich für mehr Transparenz im Gesundheitswesen und für mehr öffentliches Verständnis für diese Zusammenarbeit aus. Huber: „Dass beide Partner kooperieren, ist essenziell für die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher und die Gesellschaft insgesamt.“
Beide zeigten sich überzeugt, dass die Offenlegungs-Initiative zu mehr Verständnis und Nachvollziehbarkeit im Gesundheitswesen beiträgt. Jedoch sehen beide Systempartner verstärkt Informationsbedarf seitens der Öffentlichkeit, die mit Entstehen medizinischen Fortschritts kaum vertraut ist. „Wir bekennen uns zur Zusammenarbeit und gehen mit der Initiative den nötigen Wandel hin zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen“, so Huber.