Wir sind seit einem Jahr im Ausnahmezustand

Heißer ging’s gerade nicht: Beim 115. Gesundheitspolitischen Forum mit einem „Update zur Impfsituation in Österreich – Herausforderungen und Chancen“ (Online) wurden am Tag der Bekanntgabe der EMA-Entscheidung zum weiteren Vorgehen bezüglich der Astra-Zeneca-COVID-19-Vakzine (18. März) wohl die brennendsten aktuellen gesundheitsrelevanten Fragen diskutiert: eine Darstellung von Problemen, Lösungen und Zukunftsaussichten.
„Wir waren nicht sehr gut vorbereitet. Da können einander Deutschland und Österreich die Hände reichen. Wir können es besser machen. Wir sind in einer sehr herausfordernden Situation. Letztlich ist aber klar, dass bei einer solchen Herausforderung auch Fehler passieren“, sagte Moderator Dr. Jan Oliver Huber, der vor kurzem die Leitung des Gesundheitspolitischen Forums übernommen hat.

Rund ein Jahr nach dem ersten Lockdown in Österreich konnte allerdings – bei erneut deutlich ansteigenden Erkrankungszahlen − nur eine Zwischenbilanz gezogen werden. Dr. Irmgard Lechner, NÖ Landessanitätsdirektorin: „Wir sind im öffentlichen Gesundheitsdienst seit einem Jahr besonders gefordert. Wir sind seit einem Jahr im Ausnahmezustand.“ Dabei stehe man gerade offenbar am Beginn der 3. Welle der Pandemie in Österreich.

Um die 84.000 bestätigte Fälle, laut AGES-Dashboard mittlerweile 4,5 Millionen durchgeführte SARS-CoV-2-Tests und 377.000 ausgestellte Absonderungsbescheide – das sind die Kernzahlen aus Niederösterreich. „Testen, testen, testen – Contact Tracing und Isolieren!“ als erstes Prinzip zur Kontrolle der Ausbreitung der Erkrankung. „In Spitzenzeiten setzen wir bis zu 900 Personen im Contact Tracing ein“, sagte die Landessanitätsdirektorin.

Die große Erleichterung: die Impfstoffe

Was auch immer derzeit an epidemiologischer Entwicklung in Österreich abläuft, die Zukunft hängt an der Durchimpfung der dafür infrage kommenden Bevölkerung. Dr. Irmgard Lechner: „Wir haben natürlich alle sehr dringend auf die Impfung gewartet. Dass die Impfstoffe so schnell entwickelt werden konnten, ist für uns eine große Erleichterung.“
Womit man bei der Organisation der Impfaktion angekommen ist. Die Landessanitätsdirektorin: „Für eine ,Herdenimmunität‘ rechnet man, dass man eine Durchimpfungsrate von 70 bis 75 % braucht. In einem Flächenbundesland wie Niederösterreich ist die Situation natürlich ganz anders als in einer Großstadt wie Wien. Dort reichen einige große Impfstraßen aus. Wir brauchen aber viele, viele Impfstellen.“ In Niederösterreich sind das Alten- und Pflegeheime, Rettungsdienststellen, Arztordinationen, Gemeindeämter etc. – es gibt auch mobile Impfteams. „Impfen dürfen jede Ärztin, jeder Arzt – und zwar unabhängig vom Fach, Medizinstudentinnen und Medizinstudenten, diplomiertes Gesundheits- und Krankheitspflegepersonal, Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter“, sagte die Landessanitätsdirektorin. Bei allem nichtärztlichen Personal müsste natürlich ärztliche Aufsicht gegeben sein.

 Schutz nach Programm

Auch in Niederösterreich wird nach der geltenden Priorisierung des Nationalen Impfgremiums mit Alters- und Risikogruppen vorgegangen. „Die Personengruppe über 80 in Heimen ist bereits zu 99 Prozent durchgeimpft. Man sieht bereits einen Rückgang der Zahl der Erkrankungen in den Pflegeheimen“, berichtete Dr. Irmgard Lechner.
Doch es geht bereits weiter, wie die Landessanitätsdirektorin schilderte: „Wir beginnen mit der Phase 2, also den 65- bis 79-Jährigen, Kontaktpersonen von Schwangeren, weiterem Gesundheitspersonal, Personal in Schulen, Kindergärten, Strafvollzug, Polizei und Bundesheer.“ Ab Mai/Juni solle dann die Phase 3 mit der Impfung für die Gesamtbevölkerung starten.

Geimpft wird – was vorhanden ist!

Mittlerweile seien die organisatorischen Anfangsschwierigkeiten zum Gutteil gemeistert: Die Vorregistrierung von Impfwilligen erfolgt via Internet (www.impfung.at; Notruf Niederösterreich). Eine Person kann beliebig viele andere Personen voranmelden. Als Rücklauf erfolgt die Detailinformationen über Ort/Termin. Auch der E-Impfpass-Eintrag − selbst bei ELGA-Opt-out − ist geregelt.
„Auf Lager gelegt“ wird jedenfalls nichts. „Wenn wir Impfstoff kriegen, impfen wir den. Wir hätten genug Impfstellen. Die einzige Beschränkung ist die derzeitige Impfstoffknappheit“, so die Landessanitätsdirektorin.

Herkulesarbeit des pharmazeutischen Großhandels

„Wir sind enorm flexibel. Es ist eine enorme intrinsische Motivation da. Was an jedem Tag (an Impfstoffen; Anm.) rausgeht, hilft.“ – Eine extreme Herausforderung stellt die COVID-19-Impfstoffverteilung für den Arzneimittelvollgroßhandel dar, wie Dr. Andreas Windischbauer, Vorstandsvorsitzender der Herba Chemosan Apotheker-AG und Präsident des Verbandes der Österreichischen Arzneimittel-Vollgroßhändler (PHAGO), erklärte.
Auf Bundesseite sind Gesundheits- und Verteidigungsministerium sowie Bundesbeschaffungsgesellschaft die Stakeholder, auf der anderen Seite die Abnehmer (Alters- und Pflegeheime, Krankenanstalten, Ärzte, Apotheken und sonstige Impfstellen). In der Mitte steht die ARGE CID der fünf Arzneimittelvollgroßhandel, welche die Lieferungen abwickelt.

„Bis Dezember 2020 haben wir nicht gewusst, welcher Impfstoff wann und wie zugelassen wird“, sagte der PHAGO-Präsident. Schnellstes Handeln war notwendig, als es mit der Vakzine von BioNTech/Pfizer, dann mit Moderna und AstraZeneca ernst wurde. „Am 26. Dezember kam der BioNTech-Impfstoff, am 12. Januar dieses Jahres die Anlieferung der Moderna-Vakzine, am 6. Februar erstmals AstraZeneca.“

Extrem komplexe Logistik

Die Sache ist extrem komplex. Die Auslieferung erfolgt über 18 Standorte der Großhändler. Doch es mussten von Beginn an zwei Lagertemperaturzonen geschaffen werden (–70 °C BioNTech/Pfizer, –20 °C /Moderna). „Wir haben dabei auch einen weiteren Arbeitsschritt, weil die Impfstoffe bei 2 bis 8 Grad an die Impfstellen geliefert und daher im Arzneimittelvollgroßhandel aufgetaut werden müssen“, sagte Windischbauer.
Mit den nunmehr drei zugelassenen und lieferbaren Vakzinen (wohl bald 4) müssen drei Prozesse etabliert und aufrechterhalten werden. „Wir liefern aber nicht nur die Impfstoff-Vials. Wir haben uns auch zur Bereitstellung des Impfzubehörs und der Impf-Drucksorten verpflichtet“, schilderte der Herba-Vorstandsvorsitzende.

Etablierte Lagerplätze: 3,4 Millionen Dosen bei –40 bis –80 °C, 5,1 Millionen Dosen bei –20 °C und 4,6 Millionen Dosen 2 bis 8 °C. Die Leistung von 26. Dezember 2020 bis 16. März 2021: 1,153 Millionen Dosen mit knapp 9.000 Zustellungen. Und das zusätzlich zu täglich rund einer Million Arzneimittelpackungen anderer Medikamente, die an Apotheken, Ärzte etc. geliefert werden.

Bei den COVID-19-Impfstoffen kauft die EU. Das Verteidigungsministerium erstellt die Pläne für die Verteilung an die Bundesländer. Aus einem E-Shop der Bundesbeschaffung GmbH ordern dann die Abnehmer die Vakzine mit Abwicklung durch die ARGE. Das bedeutete für die Großhändler bisher zum Beispiel über fünf Impfstoff-Hotlines mehr als 30.000 Telefonate, Beschaffung und Befüllung von mehr als 10.000 Sekundärverpackungen, Beschaffung/Konfektionierung von 226.000 Impfzubehör-Paketen und Bereitstellung von 2,6 Millionen Drucksorten.

Ungewissheit bei den Liefermengen

Das Problem ist das derzeitige teilweise Auf und Ab bei den Liefermengen: Von einem Hersteller angekündigte 100.000 Dosen, dann Reduktion auf 66.000 – und schließlich 36.000 eingetroffen. Oder, wie Dr. Windischbauer aus der Praxis erzählte: Diffizil, wenn Tirol 100.000 Dosen bekommen solle (Lagerung bei bis zu –70 °C), die Liefermenge für Osttirol aber in Klagenfurt lagere und das Management via Innsbruck erfolge.
Dr. Windischbauer: „So gesehen läuft es ganz gut. Es ist gut möglich, dass jedem, der geimpft werden will, bis Ende des 2. Quartals 2021 der erste Stich gesetzt wurde.“


Quelle: 115. Gesundheitspolitisches Forum, Thema: „UPDATE – Impfsituation in Österreich Herausforderungen und Chancen“ am 18. März 2021