„Apotheken könnten im System mehr leisten“

Welche Bilanz ziehen Sie bisher zur Coronakrise?

Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann: Wir haben während der Krise gesehen, dass unser Gesundheitssystem grundsätzlich gut aufgestellt ist. Wir haben Reservekapazitäten, die vorher von vielen als zu groß kritisiert wurden, die aber in der Krise sehr sinnvoll waren und sind. Dazu kommt, dass Forschende an den österreichischen Hochschulen in unterschiedlichsten Bereichen einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geleistet haben und noch immer leisten. Vor diesem Hintergrund sowie aus Gründen der längerfristigen hochqualitativen Gesundheitsversorgung wollen wir auch einen strategischen Schwerpunkt auf das wissenschaftliche Fundament des österreichischen Gesundheitssystems legen und haben dazu ein Impulsprogramm zur Stärkung der medizinischen Forschung und Ausbildung in Österreich aufgelegt.

Welche Lehren ziehen Sie im Bereich der Wissenschaft?

Gerade die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die weitere Schaffung von Kapazitäten im Bereich von Public Health, Epidemiologie und Infektiologie unerlässlich ist. Diese Bereiche sollen verstärkt und interuniversitäre Kooperationen sollen ausgebaut werden. Die Schaffung eines österreichischen Pendants zum deutschen Robert-Koch-Institut wäre eine faszinierende Vision. Ich möchte dafür aber nicht Ressourcen von Universitäten abziehen, sondern neue Ressourcen bereitstellen und die ausgezeichneten Wissenschafter und Wissenschafterinnen ­zur verstärkten Zusammenarbeit motivieren. Gemeinsam sind wir stärker, und die Schaffung einer institutionellen Hülle kann viel bewirken.

Sie sind auch für Forschung zuständig. Hat man die Epidemiologie vernachlässigt?

Im medizinischen Bereich stand in den vergangenen Jahren die Krebsforschung sicher stärker im Zentrum. Dass wir von einer Pandemie in dieser Intensität und ohne Gegenwehr erfasst werden, war für viele kaum noch denkbar. Viele dachten, Infektionskrankheiten sind überwunden, und Epidemien finden, wenn überhaupt, in den Ländern des globalen Südens statt. SARS-CoV-2 brachte eine überraschende Wendung, und die Lehren daraus werden nicht so schnell verschwinden. Die Forschung im Bereich resistenter Keime, neuer Antibiotika, Impfstoffe und Therapeutika gegen virale Erkrankungen werden sicherlich intensiver betrieben werden, als es in der Vergangenheit der Fall war. Ich bin froh, dass diese Themen auch auf der Tagesordnung der europäischen Forschungsförderung stehen.

Was soll geschehen?

Eine erfolgreiche Medizinforschung benötigt, Infrastruktur, qualifizierte Forscher und Forscherinnen sowie Ressourcen, um empirisch abgesicherte Projekte zu lancieren. Die neuen digitalen Möglichkeiten, das Vorhandensein von „Big Data“ und die Vernetzung nationaler Forschungsinfrastrukturen mit europäischen und internationalen Netzwerken eröffnen neue wissenschaftliche Chancen. Und es tauchen mit der Weiterentwicklung der Medizin auch immer wieder neue Themen und Aufgaben auf. Das Neue basiert nicht immer auf dem Alten. Die ersten Informatikprofessoren waren etwa Chemiker, Physiker und Mathematiker – Informatik hat es so ja noch nicht gegeben. Ähnlich ist es in der Medizin: Wir beobachten neue Fragestellungen, die auch institutionell gefasst werden. Eine Professur für medizinische Informatik, für medizinische Statistik oder für Komplexitätsforschung hat es früher nicht gegeben. Davon unabhängig: Im kommenden EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe werden EU-Partnerschaften und Missionen eine zentrale Rolle spielen. Und dabei werden viele medizinische Fragestellungen angesprochen. Für die medizinischen Universitäten bedeutet es die Herausforderung, sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen, und gleichzeitig die Chance, mit den Besten des Kontinents zu kooperieren.

Die Apotheker möchten künftig mehr Aufgaben im Gesundheitswesen übernehmen und verweisen auf ihre Kompetenzen. Wie sehen Sie das?

Im Bereich der Pharmazie haben wir ein herausforderndes Studium. Da muss man unglaublich viel an Lernzeit investieren, um zum Abschluss zu kommen. Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sind vor dem Hintergrund dieser Ausbildung im Gesundheitswesen manchmal unterfordernd eingesetzt. Im Beratungsbereich und bei der Wirkstoffempfehlung könnten sie mehr leisten, denn sie haben das Fachwissen dazu. Ein vermehrter Austausch zwischen Arzt und Apotheker wäre jedenfalls anzustreben und dem Gesamtsystem dienlich.