Beratungschance Schwangerschaft

In Wahrheit gibt es praktisch kein Arzneimittel, dessen unbedenkliche Einnahme während Gravidität und Laktationsphase in Studien belegt wurde. Keine Ethikkommission dieser Welt bewilligt Tests an Schwangeren, und keine gesunde Frau würde Medikamententests an ihrem Ungeborenen zustimmen.

Die Daten, die uns über die Anwendung von Arzneimitteln in jener problematischen Entwicklungsphase vorliegen, resultieren daher nur aus Langzeitbeobachtungen von bisweilen „versehentlichen“ Arzneimittelanwendungen oder Medikamenteneinsatz bei lebensbedrohlichen Erkrankungen der Schwangeren.
All jene für unbedenklich erklärten Wirkstoffe haben auch in breiter Anwendung keinen Hinweis auf teratogenes oder (feto-)toxisches Potenzial geliefert. Daher sollte älteren Wirkstoffen aufgrund der größeren Erfahrung gegenüber neueren stets der Vorzug gegeben werden. Es gilt allerdings immer, das Krankheitsrisiko für die Schwangere abzuwägen. Bisweilen überwiegt die Gefahr der Erkrankung das Risiko der Medikamenteneinnahme. Generell ist allerdings zu sagen, dass es kaum ein Medikament gibt, dessen (versehentliche) Einnahme einen Abort rechtfertigt.

Am Anfang gilt „alles oder nichts“

Die Auswirkung auf die Entwicklung des Fötus richtet sich stark nach dem Stadium der Schwangerschaft. Vor allem in der Frühschwangerschaft, wenn die Frau unter Umständen noch gar nichts davon weiß, ist das Risiko am größten. Während der Frühentwicklungsphase in den ersten beiden Schwangerschaftswochen führen toxische Einflüsse praktisch immer zum Abort. Während der Embryonalperiode (SSW 3–8) können sich schwere morphologische Anomalien ausbilden, in der anschließenden Fetalperiode fallen diese meist weniger stark aus oder es kommt zur Ausbildung funktioneller Störungen. Deshalb sollten Frauen im gebärfähigen Alter vor jeder Medikamentenabgabe gefragt werden, ob eine Schwangerschaft vorliegen könnte.

Viele Wege führen in den fetalen Organismus

Das Kriterium für die Auswirkung eines Arzneimittels auf den Fötus ist dessen Plazentagängigkeit. Nur freie Arzneistoffe (nicht proteingebundene) können die Blut-Plazenta-Schranke überwinden. Nicht passieren können zum Beispiel Insuline, konjugierte Peptidhormone und Steroide. Nierengängige Arzneimittel (Penicilline, Cephalosporine) reichern sich im Fruchtwasser an und können so indirekt durch das Schlucken der Flüssigkeit in den fetalen Organismus gelangen. Auch die natürliche Barriere der Blut-Hirn-Schranke ist beim Fetus noch nicht ausreichend entwickelt, und darüber hinaus ist das Gehirn besonders stark durchblutet. Daher bergen vor allem ZNS-toxische Arzneistoffe hohes Risikopotenzial.

Alternativen überlegen

Bevor man allerdings generell bei Schwangerschaftsbeschwerden in die Arzneimittellade greift, sind als Mittel der ersten Wahl nichtmedikamentöse Methoden in Betracht zu ziehen. Bei den in der Schwangerschaft häufig auftretenden Beschwerden im Verdauungstrakt können Probiotika gute Hilfe leisten, Sodbrennen lässt sich durch erhöhte Schlaflage des Oberkörpers, den Verzehr von kleinen Mahlzeiten, das Meiden von Milchprodukten sowie den Einsatz homöopathischer Produkte (Nux vomica) oft gut in den Griff bekommen. Um dem Entstehen von Harnwegs- und Scheideninfektionen vorzubeugen, ist besonderes Augenmerk auf die richtige Toilettenhygiene (von vorne nach hinten reinigen) und entsprechender Pflege des Intimbereichs (keine übertriebene Reinigung, Produkte mit Milchsäure verwenden) zu legen.
Auch bei grippalen Infekten kann man tief im Schatzkistchen der Hausmittel wühlen. Die Empfehlungen reichen von einer erhöhten Flüssigkeitsmenge über Inhalationen mit Meersalz, Brustwickel mit warmen Kartoffeln oder Zwiebelschmalz bis hin zu den sonst bei Kindern gerne angewendeten Essigpatscherln. Die Datenlage bezüglich pflanzlicher Arzneimittel ist dürftig. Hohe Mengen Salbei, Zimt, Süßholzwurzel und römische Kamille sowie Bärentraubenblätter sollen generell gemieden werden.
Eine sanfte Alternative in der Schwangerschaft stellen Heilpflanzensäfte ohne ethanolischen Auszug dar. Kartoffelsaft etwa wirkt lindernd auf Magenbeschwerden und Sodbrennen, Manna und Feige sind milde Abführmittel. Auch für die Nährstoffversorgung leisten die Säfte einen Beitrag. Roter Rübensaft ist reich an Folsäure und Eisen, zwei in der Schwangerschaft besonders wichtige Mikronährstoffe.

Mittel der Wahl

Lässt sich der Einsatz „echter“ Medikamente nicht vermeiden, sind Monotherapien den Kombinationspräparaten vorzuziehen. Die Dosierung sollte immer so gering wie möglich gewählt werden. Als in Schwangerschaft und Stillzeit einsetzbare Substanzen gelten zum Beispiel Paracetamol (Fieber, Schmerzen), Sumatriptan (Migräne), Xylometazolin und Oxymetazolin (Schnupfen), Acetylcystein, Bromhexin und Ambroxol (Mukolytika), Benzydamin (Halsschmerzen), Loratadin und Dimetinden (Allergien, auch lokal).
Aus der Gruppe der pflanzlichen Arzneimittel sind unter anderem Isländisch Moos, Spike-Öl und schleimlösende Kombinationen mit Schlüsselblume, Enzian und Holunder geeignet. Auch der Einsatz von Salztabletten bei Halsbeschwerden ist erlaubt.
(Rechts-)Grundlage für die Entscheidung des Apothekers ist die Fachinformation im Austria-Codex. Werden die Angaben nicht beachtet, trägt der Apotheker die Verantwortung! In der Praxis funktioniert der Einsatz von Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit aber erfreulicherweise sehr gut. Trotz vieler neuer Wirkstoffe hat sich das Auftreten von Fehlbildungen in den letzten 40 Jahren nicht erhöht. Nach wie vor werden mehr Kinder durch den Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft geschädigt als durch Medikamente.