Beratungsleitfaden: Migräne- und Kopfschmerzmanagement

Ungefähr 90 % der Betroffenen mit Kopfschmerzen leiden an primären Kopfschmerzen wie Migräne, Spannungskopfschmerz oder Clusterkopfschmerz (streng einseitig).
Migräne ist neben dem ­Kopfschmerz vom Spannungstyp die häufigste Kopfschmerzform. Zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr leiden doppelt so viele Frauen an Migräne wie Männer. Bis zum 40. Lebensjahr steigt die Migränehäufigkeit bei Frauen weiter an, sodass Frauen dann sogar dreimal häufiger betroffen sind als Männer. Nach den Wechseljahren nimmt die Migränehäufigkeit wieder stark ab, und beide Geschlechter sind dann etwa gleich betroffen.

Kopfschmerzen werden häufig in „Eigenregie“ mit rezeptfreien Medikamenten therapiert. Kopfschmerzen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden und gehören abgeklärt, denn die funktionelle Einschränkung durch Kopfschmerzen im Alltag kann sehr belastend sein. Aus diesen Gründen ist es immer sinnvoll, die Kund:innen zu fragen, ob bereits eine ärztliche Diagnose gestellt wurde.

Auf den ersten Blick / Wirksames für die Selbstmedikation

Die Selbstmedikation bei Kopfschmerzen bzw. Migräne erfolgt in den meisten Fällen mit Analgetika und NSAR wie z. B.:

  • Acetylsalicylsäure
  • Ibuprofen
  • Naproxen
  • Dexketoprofen
  • Diclofenac (Rezeptpflicht)
  • Kombinationspräparaten (z. B. ASS, Ibuprofen, ­Paracetamol und Koffein)
  • Bei Kontraindikationen für NSAR kann auf Paracetamol ausgewichen werden.
  • Triptanen (Zolmitriptan)

Folgende Fragen sollen helfen, die Beschwerden abzugrenzen:

  • Wer ist betroffen? Kind, Erwachsene:r, Senior:in?
  • Schmerzcharakter ⇒ Beginn, Dauer, Frequenz, Lokalisation, Intensität?
  • Sind Begleitsymptome vorhanden? Übelkeit? Lichtempfindlichkeit?
  • Hinterfragen der Eigendiagnose des/der Patient:in
  • Eigenanamnese zu Vorerkrankungen und Medikamenten, besonders Schmerzmitteln?
  • Bisherige Diagnostik und -therapie? Kopfschmerztagebuch?
  • Familiäre (Kopf-)Schmerzbelastung?
  • Wurde bereits eine ärztliche Diagnose gestellt?

Wichtige Unterscheidung ⇒ primäre und sekundäre Kopfschmerzen:

primäre Kopfschmerzen

  • Der Schmerz ist das Hauptsymptom und nicht Ausdruck einer anderen Erkrankung.

sekundäre Kopfschmerzen

Es handelt sich hier um symptomatische Kopfschmerzen, d. h., sie sind meist das Symptom einer anderen Erkrankung, z. B.:

  • Stress, Überanstrengung, Wetterfühligkeit, Sauerstoffmangel
  • Zigaretten- und Alkoholkonsum
  • Erkältungskrankheiten, Grippe, COVID-19
  • Fehlsichtigkeit, Bluthochdruck, Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule, Tumor, Gehirnhautentzündung
  • Sonderfall: Schmerzmittel-Kopfschmerz1 (MOH, Medication-Overuse Headache)

Abgrenzung

Charakteristik Migräne
Heftige, häufig einseitige (1/3 beidseitig) pulsierend-pochende Kopfschmerzen, die bei körperlicher Betätigung zunehmen. Die Attacken dauern ohne Therapie zwischen 4 und 72 Stunden, begleitet von Übelkeit, Erbrechen und Licht- und Lärmempfindlichkeit; bis zu 25 % leiden unter Migräne mit Aura, d. h. vor Beginn der Kopfschmerzen ⇒ Sehstörungen (Lichtblitze, Flimmern, Sehausfälle), einseitige Sensibilitätsstörungen (Taubheitsgefühl, Kribbeln) und/oder Sprachstörungen. Eine Migräneaura kann auch isoliert ohne Kopfschmerzen auftreten.

Migräne-Trigger
Individuelle Reize können eine Migräneattacke auslösen,z. B. Stress. Trigger identifizieren ⇒ Kopfschmerztagebuch.

Charakteristik Spannungskopfschmerz
Die Schmerzen sind oft mit einem Druckgefühl (wie ein zu enger Hut, Band um den Kopf) verbunden, schwach bis mittelstark und dauern wenige Minuten bis mehrere Tage. Begleitsymptome wie Übelkeit oder Lichtempfindlichkeit fehlen.

Red Flags bei Kopfschmerzen
Eine ärztliche Abklärung ist notwendig bei Kopfschmerzen, die

  • erstmalig, stark und anhaltend auftreten,
  • schnell einsetzen und „explosionsartig“ sind,
  • unüblich in Art und Dauer sind,
  • nach einem Trauma (z. B. Kopfverletzungen) auftreten,
  • von Krampfanfällen, Fieber und Nackensteifigkeit begleitet sind,
  • mit Schwindel, Verwirrtheit und Störungen des Gedächtnisses und der Orientierung einhergehen.

Beratungstipps

Neben medikamentösen spielen auch die nichtmedikamentösen Therapien eine wichtige Rolle:

  • Entspannungsverfahren
  • Ausdauersport
  • kognitive Verhaltenstherapie, Biofeedback
  • ausreichende Flüssigkeitszufuhr
  • regelmäßiger Schlaf, ausgewogene und regelmäßige Mahlzeiten, wenig Alkohol und Verzicht auf Nikotin
  • eine gute Körperhaltung
  • Führen eines Kopfschmerztagebuches

Arztbesuch empfehlen:

  • regelmäßiges Auftreten, z. B. öfter als zwei- bis dreimal im Monat, oder wenn die Dauer und Stärke der Beschwerden trotz Behandlung zunehmen
  • wenn die bisher verwendeten Schmerzmittel nicht mehr ausreichend wirken oder die Dosis gesteigert werden muss

SELBSTmedikation

Die Selbstmedikation stellt für die meisten Betroffenen die häufigste Therapieform dar ⇒ Analgetika und NSAR.
Laut der aktuellen S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“2 ist die Wirkung für Acetylsalicylsäure und Ibuprofen am besten belegt. Aber auch Naproxen, Dexketoprofen, Diclofenac (Rezeptpflicht) und Kombinationspräparate mit Koffein haben sich als wirksam erwiesen. Bei Kontraindikationen für NSAR kann auf Paracetamol ausgewichen werden. Laut Leitlinie2 sind galenische Formulierungen mit rascher Wirkstofffreisetzung (z. B. Brausetabletten) zu bevorzugen.

Kombinationspräparate:

  • Analgetika-Kombinationen (fixe Kombination von ASS, Ibuprofen, Paracetamol und Koffein) ⇒ Kombinationsanalgetika mit fixen Dosierungen sollten eine höhere Analgesie bewirken als die Einzelwirkstoffe.
  • Koffein ⇒ schnellerer Wirkungseintritt, stärkere analgetische Wirkung bzw. bei gleicher Wirksamkeit ist eine Reduktion der Analgetikadosis möglich.

Triptane

Laut der aktuellen S1-Leilinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“2 gelten Triptane (Zolmitriptan in der Selbstmedikation) bei akuten Migräneattacken mit mittelstarker bis starker Schmerzintensität, die nicht ausreichend auf eine Therapie mit NSAR oder Analgetika ansprechen, als Mittel der ersten Wahl.

  • Sie binden selektiv an bestimmte Subtypen von Serotoninrezeptoren an der glatten Muskulatur der Blutgefäße im Gehirn; wirken nicht direkt analgetisch; führen als Agonisten am 5-HT1B/5-HT1D-­Rezeptor zu einer Konstriktion dilatierter intrakranialer, extrazerebraler Gefäße.
  • Die Einnahme sollte immer rechtzeitig, d. h. so früh wie möglich beim Auftreten erster Symptome erfolgen. Zuerst sollte immer nur eine Tablette geschluckt werden. Eine zweite Tablette ist nur indiziert, wenn die Beschwerden innerhalb von 24 Stunden wieder auftreten. Ein wichtiger Hinweis an die Patient:innen ist, dass sie mit anderen Schmerzmitteln kombiniert werden können.
  • Bei der Abgabe eines Triptans sollte der/die Patient:in darauf hingewiesen werden, dass bei einem „Nichtansprechen“ eine weitere Dosis innerhalb einer Attacke nicht sinnvoll ist ⇒ Non-Responder; da Patient:in
    nen individuell auf Triptane ansprechen, kann bei Non-Responder ein anderes Triptan versucht werden (nicht in der Selbstmedikation).
  • Bei Migräne mit Aura sollte erst nach Abklingen der Aura und mit dem Einsetzen der Kopfschmerzen ein Triptan eingenommen werden.
  • Bei schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Triptane wegen ihrer vasokonstriktorischen Wirkung kontraindiziert.

Wichtig! Bei der Abgabe, sowohl bei NSAR als auch Analgetika und Triptanen, sollte der Hinweis nicht fehlen, dass eine zu häufige Einnahme zu Schmerzmittel-Kopfschmerzen (MOH) führen kann ⇒ Monopräparate nicht öfter als an 15 Tagen im Monat und Kombinationspräparate und Triptane nicht öfter als an 10 Tagen im Monat.

Weitere Optionen und Prophylaxe-Maßnahmen

  • Phytotherapie ⇒ Mutterkraut (Migräneprophylaxe)
  • Omega-3-Fettsäuren haben einen positiven Effekt auf die Blutgefäßwand, evtl. Verminderung von Häufigkeit und Schweregrad von Migräneattacken.
  • Pfefferminzöl ⇒ erregt bei lokaler Anwendung (Stirnpartie und Schläfen) bereits in geringen Mengen die Kälte- und Druckrezeptoren; stimuliert die Menthol-Rezeptoren, steigert die Durch­blutung, sorgt für Entspannung und kühlt die betroffenen Regionen, vor allem beim Spannungskopfschmerz.
  • Mikronährstoffe ⇒ Migränepatient:innen weisen häufig eine suboptimale Versorgung an Vitamin B2, Magnesium und Coenzym Q10 auf.

Epilog

Apps und internetbasierte Angebote können die Diagnostik und Therapie der Migräne unterstützen, indem sie den Verlauf der Migräne und Kopfschmerzen dokumentieren.

Zur besseren Diagnose, für eine optimale Therapie und als Richtlinie über die Notwendigkeit einer medikamentösen Prophylaxe wird das Führen eines Schmerztagebuchs empfohlen.
Dokumentiert werden sollten vor allem solche entscheidenden Angaben wie Lokalisation, Dauer, Häufigkeit und Stärke der Schmerzen. Die Intensität der Schmerzen kann zum Beispiel in leicht, mittelstark und stark eingeteilt werden. Natürlich ist es auch notwendig, die Art und Menge der eingenommenen Medikamente und das Ausmaß der erzielten Linderung zu dokumentieren (Schmerztagebuch, digitale Kopfschmerztagebücher, Apps mit Tagebuchfunktion bei Kopfschmerzen).

Migräneprophylaxe in der Selbstmedikation

Bei mehr als zwei Attacken pro Monat wird eine medikamentöse Vorbeugung empfohlen. Neben synthetischen Medikamenten wie Betablockern, Antidepressiva, CGRP-Inhibitoren und CGRP-Antagonisten werden in den offiziellen Leitlinien2 der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) auch die drei Mikronährstoffe Magnesium, Vitamin B2 und Coenzym Q10 empfohlen.

  • Magnesium beeinflusst verschiedene Mechanismen, die bei der Entstehung eines Migräneanfalls eine wichtige Rolle spielen. Es weist unter anderem eine entspannende Wirkung auf die Gefäßwände der Blutgefäße auf.
  • Vitamin B2 (Riboflavin, 400 mg/Tag) kann die Häufigkeit von ­Kopfschmerzen vermindern. Es wird vermutet, dass Vitamin B2 die mitochondriale Energieproduktion verbessert.
  • Coenzym Q10 (100 bis 300 mg) spielt eine wichtige Rolle in der mitochondrialen ATP-Synthese und hat einen günstigen Effekt bei der Prävention von Migräneanfällen.
  • Mutterkraut kann die Häufigkeit und Schwere von Migräneattacken deutlich verringern. Für die Wirkung verantwortlich ist Parthenolid, ein Sesquiterpenlacton, das schmerzlindernde, entzündungshemmende und antimikrobielle Wirkung zeigt. Wie bei allen pflanzlichen Arzneimitteln müssen auch Zubereitungen aus Mutterkraut über einen längeren Zeitraum eingenommen werden.
  • Auch nichtmedikamentöse Maßnahmen wie regelmäßiger aerober Ausdauersport, Entspannungstechniken, kognitive Verhaltenstherapie oder Biofeedbacktherapie sind laut Leitlinie empfehlenswert.

Schmerzmittel-Kopfschmerzen

Schmerzmittel-Kopfschmerzen stellen in der Migräne- und Kopfschmerztherapie ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Die weltweite Prävalenz liegt zwischen 0,7 % und 1 %. Laut der Leitlinie1 der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft liegt die Schwelle für die Entstehung von Medikamenten-Übergebrauch-Kopfschmerz nach ICHD-3 für Kombinationsanalgetika bei ≥ 10 Einnahmetagen/Monat, für Monoanalgetika bei ≥ 15 Einnahmetagen/Monat. Weitere wichtige Risikofaktoren für Schmerzmittel-Kopfschmerzen sind unter anderem primäre Kopfschmerzen, weibliches Geschlecht, niedriger sozialer Status, andere chronische Schmerzerkrankungen, Stress, Übergewicht und Depressionen.

Es ist interessant, dass es dabei überhaupt keine Rolle spielt, ob Mono- oder Kombinationspräparate eingenommen wurden. Eine viel ­größere Bedeutung hat dabei die Häufigkeit der Einnahme und die Dosierung der Präparate.

Der chronische medikamenteninduzierte Kopfschmerz besteht ­täglich oder fast täglich, ist meist beidseitig, dumpf, bohrend oder pulsierend und wird von leichter Übelkeit und leichter Lärm- und Lichtempfindlichkeit sowie unter Umständen von Schleier- oder Flimmer­sehen begleitet.

Beratungstipp

Zur besseren Diagnose, für eine optimale Therapie und als Richtlinie über die Notwendigkeit einer medikamentösen Prophylaxe empfiehlt sich das Führen eines Schmerztagebuchs.