Beratungsleitfaden: Nacken-, Kopf- und Schulterschmerzen

Der häufigste Grund für akute Nackenschmerzen sind verspannte und verhärtete Muskeln. Meist sind verschiedene Faktoren für das Entstehen unspezifischer Nackenschmerzen verantwortlich. So können körperliche Belastungen am Arbeitsplatz, stundenlanges und verkrampftes ­Sitzen in einer Position am Schreibtisch, aber auch Stress, familiäre oder berufliche Sorgen zu Verspannungen und Schmerzen im Nacken führen. Immer wieder treten Nackenschmerzen gemeinsam mit Spannungskopfschmerzen und schmerzhaften Muskelverspannungen in den Schultern und am oberen Rücken auf.

Jeder zweite Erwachsene hat mindestens einmal im Leben mit Schmerzen im ­Nacken-Kopf-Schulter-Bereich (steifer Nacken, steifer Hals, Steifhals, Schiefhals, Zervikalsyndrom oder HWS-Syndrom) und/oder mit Rückenschmerzen zu tun.1 Frauen sind von den Schmerzen im ­Nacken-Schulter-Bereich bzw. den Schmerzen an der Halswirbelsäule häufiger betroffen als Männer. Bei jungen Erwachsenen treten Nackenschmerzen meist akut auf. Ab einem Alter von 20 Jahren sind wiederholte Schmerzphasen nicht ­ungewöhnlich („Handy-Nacken“).

Auf den ersten Blick – Wirksames für die Selbstmedikation

  • kurzfristige und frühzeitige Behandlung mit oralen NSAR
    – Monotherapie: ASS, Ibuprofen, Naproxen, Dexketoprofen, Paracetamol
    – Kombinationstherapie: fixe Kombinationen aus ASS, Paracetamol und Koffein
  • topisch applizierte NSAR: Diclofenac, Ibuprofen, Diethylaminsalicylat
  • Phytotherapie mit schmerzstillenden, entzündungshemmenden, kühlenden, ­wärmenden und abschwellenden Wirkstoffen, z. B.: Beinwell, Arnika, Pfefferminzöl, Teufelskralle, Capsaicin, Wintergrünöl
  • Wärmetherapie
  • Magnesium

Empfehlungen für das Gespräch an der Tara

Folgende Fragen sollen helfen, die Beschwerden abzugrenzen:

  • Beschreibung des Schmerzes, Schmerzcharakter, Beginn, Dauer, Frequenz, Lokalisation, Intensität?
  • Strahlt der Schmerz in den Kopf, in die Schulter oder in den Arm aus?
  • Sind Begleitsymptome vorhanden? Taubheitsgefühl, Schwindel, Parästhesie?
  • Gibt es ein Trauma in der Vorgeschichte?
  • Systemerkrankungen, z. B. Osteoporose, rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew u. a.?
  • Risikofaktoren für chronische Verläufe, z. B. Stress, Übergewicht?
  • Wurde eine Selbstmedikation versucht? Welche Medikamente oder Therapien wurden angewandt?

Laut S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) „Nackenschmerzen“2 wird unterschieden zwischen:

  • unspezifischen Nackenschmerzen ⇒ verspannte Muskeln im Bereich des Genicks; keine körperliche Erkrankung als Ursache
  • spezifischen Nackenschmerzen ⇒ Vorerkrankungen, Systemerkrankungen; häufig auch mit Begleitsymptomen wie Taubheitsgefühl, Parästhesie, Schwindel.

Weitere wichtige Unterscheidung

  • akute Schmerzen ⇒ einige Tage bis drei Wochen; Ursache sind meist Muskelverspannungen, Überbelastungen und psychischer Stress
  • chronische Schmerzen ⇒ dauern länger als 12 Wochen an; Ursache meist körperliche Abnutzungserscheinungen

Zu beachten! Risikofaktoren für chronische Verläufe sind auch Computerarbeit und andere arbeitsbedingte Belastungen oder nackenbelastende Schlafbedingungen.

Symptome

Lokale Ausprägung im Bereich Nacken und in anschließenden Bereichen (Kopf, Schulter, Arm); jeder Betroffene ist unterschiedlich stark von den Symptomen betroffen:

  • harte Muskulatur im Nackenbereich; ein- oder beidseitig
  • brennende Schmerzen in der Nackenmuskulatur ⇒ Überlastung der Muskulatur, z. B. nach längerem nach vorne gebeugtem Sitzen
  • stechender Schmerz am Hinterkopf, eingeschränkte Beweglichkeit des Kopfes, Nackensteifigkeit
  • Schwindel, Tinnitus, Migräne, Augenschmerz ⇒ ausgelöst durch starke muskulär-fasziale Spannungen im Nacken
  • Kribbeln und Taubheitsgefühl in den Fingern

Häufige Ursachen

Oft resultieren unspezifische Nackenschmerzen aus alltäglichen Fehlhaltungen, die zu muskulär-faszialen Überspannungen (Muskelverspannungen) führen:

  • Muskelverspannung, z. B. Zugluft, Stress, Büro- bzw. Computerarbeit und Handy-Nutzung („Handy-Nacken“), können akute Schmerzen auslösen.
  • Überlastung bei Sport und/oder körperlicher Arbeit
  • Zervikalsyndrom oder Halswirbelsäulen-Syndrom ⇒ Funktionsstörungen und/oder degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule
  • degenerative Veränderungen, z. B. Bandscheibenvorfall, Arthrose, Spondylose, Chondrose, zervikozephales Syndrom, Osteoporose
  • Verletzungen wie Wirbelbrüche, Bänderrisse, Schädigung der Bandscheiben durch Krafteinwirkung, Muskelzerrungen oder Schleudertrauma
  • Fibromyalgie (chronische Schmerzerkrankung)
  • psychische Erkrankungen, z. B. Depressionen, dauerhafter Stress, Ängste
  • Mineralstoffmangel
  • Erkältungen und Virusinfektionen

Selbstmedikation

Die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) „Nackenschmerzen“2 empfiehlt bei akuten nichtspezifischen Nackenschmerzen vor allem Bewegung, deren Wirksamkeit sehr gut belegt ist.
Wichtig für die Beratung! Häufig wird aufgrund der Schmerzen eine Schon- bzw. Fehlhaltung eingenommen.

Allgemeine Maßnahmen

  • sanfte Mobilisierung ⇒ Schonhaltung und Ruhigstellung des Kopfes vermeiden; Muskulatur und Faszien, die nicht bewegt werden, „versteifen“ immer weiter.
  • Wärme ⇒ Wärmepflaster, durchblutungsfördernde Salben (z. B. Capsaicin), Wärmflasche, Rotlicht, Hotpacks, warme Bäder und Wärmekissen (z. B. mit Dinkel, Kirschkernen, Moor)
  • stressreduzierende Tätigkeiten
  • Physiotherapie, Akupunktur

Medikamentöse Therapie

Zur Vermeidung einer Schonhaltung und Chronifizierung der Schmerzen sollte frühzeitig mit NSAR behandelt werden ⇒ kurzfristiger Einsatz von NSAR; die Wirksamkeit ist für folgende Substanzen bzw. Substanzkombinationen belegt:

  • Monotherapie mit ASS, Ibuprofen, Naproxen, Dexketoprofen (kurzwirksames NSAR, Wirkung 2–3 Stunden), Paracetamol
  • fixe Kombinationen aus ASS, Paracetamol und Koffein ⇒ unterschiedliche Ansatzpunkte erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Arzneimittel bei einzelnen Anwender:innen wirksamer ist; Wirkungsverstärkung durch gegenseitige Unterstützung
  • topisch applizierte NSAR ⇒ Diclofenac, Ibuprofen, ­Diethylaminsalicylat
  • Magnesium ⇒ Magnesiummangel kann zu „angespannter“ Muskulatur führen.

Zu beachten! Analgetika-Kombinationen mit Koffein haben den Vorteil, dass Koffein als analgetisches Adjuvans den Effekt von ASS und Paracetamol um das 1,3- bis 1,7-Fache verstärkt ⇒ schnellerer Wirkungseintritt, stärkere analgetische Wirkung bzw. ist eine Reduktion der Analgetika-Dosis bei gleicher Wirksamkeit möglich.

Äußerliche Phytotherapie

Diverse Gele, Salben, flüssige Einreibungen und Sprays mit verschiedenen schmerzstillenden, entzündungshemmenden, kühlenden, wärmenden und abschwellenden Wirkstoffen (z. B. Beinwell, Arnika, Pfefferminzöl, Teufelskralle, Capsaicin, Wintergrünöl) sind eine beliebte Therapieoption bei Schmerzen im Nacken-, Schulter- und Rückenbereich; Anwendung aber nur auf intakter Haut.

Beratungstipps

  • Bewegung ⇒ Ausdauersport, Yoga, Schwimmen (Kraulen oder Rückenschwimmen)
  • aktiv entspannen ⇒ progressive Muskelentspannung nach Jacobson, autogenes Training, Massage
  • Rückenschule ⇒ gezielte Kräftigung der Nacken- und Rückenmuskulatur
  • Schlaf ⇒ Nackenstützkissen oder eine rückenschonende Matratze verwenden
  • Auf die Körperhaltung achten.
  • sitzende Tätigkeit ⇒ ergonomischer Arbeitsplatz, regelmäßige Bewegungspausen mit Lockerungsübungen.
  • Nicht dauerhaft nach unten schauen, z. B. am Computer und Handy, sondern wechselnde Kopfpositionen einnehmen oder auch nur die Augen senken, nicht den ganzen Kopf.
  • Dauerstress abbauen oder ausgleichen

Arztbesuch empfehlen:

  • bei plötzlich starken Schmerzen, insbesondere wenn sie in einen Arm ausstrahlen, aber auch in den Rücken oder in die Brust
  • Nackensteifigkeit in Kombination mit starken Kopfschmerzen
  • Nackenschmerzen mit allgemeinem Krankheitsgefühl
  • Nackenschmerzen mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen in Armen und Händen, evtl. auch leichten Lähmungen
  • anhaltende Beschwerden

Epilog

Zur Therapie von Nacken- und Schulterschmerzen werden neben medikamentösen und physiotherapeutischen Maßnahmen häufig auch physikalische Verfahren wie Wärmeanwendungen eingesetzt.

Als Wärmetherapie für „unterwegs“ sind Wärmepflaster für Schulter und Nacken praktisch, diese enthalten eine Mischung aus Aktivkohle und Eisenpulver: Nach dem Öffnen der Packung reagiert der Inhalt mit Sauerstoff und erzeugt eine kontinuierliche Wärmeabgabe bis zu acht Stunden.

Eine weitere Möglichkeit sind wirkstoffhaltige Pflaster oder Topika mit wärmender Wirkung. Gut belegt ist die Wirkung von Capsaicin aus Cayennepfeffer (Capsicum frutescens). Lokal aufgetragen stimuliert das Capsaicin die Wärme- und Schmerzrezeptoren der Haut, regt so die Durchblutung an und entspannt durch die entstehende Wärme die Muskulatur. Capsaicin wirkt zusätzlich auch neuromodulierend: Die Schmerzrezeptoren werden zunächst übererregt und dann dauerhaft desensibilisiert, wodurch die Weiterleitung von Schmerzreizen unterdrückt wird. Zu beachten ist, dass manche Menschen auf Capsaicin empfindlich reagieren, z. B. mit Juckreiz, Quaddel- oder Bläschenbildung. In diesem Fall muss die Therapie sofort abgebrochen werden. Wirkstoffhaltige Externa sollen nur auf intakter Haut und niemals in der Nähe von Augen und Schleimhäuten aufgetragen werden, nach der Anwendung sollen die Hände gründlich gereinigt werden. Bei Anzeichen einer akuten Entzündung (Rötung, Schwellung) sind diese Externa kontraindiziert. Zusätzliche Wärmequellen, wie z. B. Heizkissen, sollen vermieden werden.

Ungeachtet der eben beschriebenen, für leichtere Beschwerden sicherlich gut geeigneten Wärmetherapien muss das Hauptaugenmerk bei der Beratung darauf liegen, den Teufelskreis aus Schonhaltung und Chronifizierung der Nacken- und Schulterschmerzen (und ggfs. daraus resultierenden Spannungskopfschmerzen) zu durchbrechen. Daher sollte laut Leitlinie frühzeitig kurzfristig mit NSAR behandelt werden, die entsprechenden Substanzen und Kombinationen wurden im Mittelteil bereits beschrieben. Keinesfalls sollte Bettruhe und Ruhighaltung empfohlen werden, eine Beibehaltung der körperlichen Aktivität ist wichtig.