Beratungsleitfaden: Neurodermitis

Laut S2k-Leitlinie1 „Guideline on diagnosis and treatment of atopic dermatitis“ schwankt die kumulative Inzidenz der Neurodermitis je nach Alter und Region zwischen 11 und 21 % in Nordeuropa. Bei Kindern (10–15 % bis zur Einschulung) ist die Neurodermitis die häufigste chronische Erkrankung überhaupt.
Sowohl für die Erstmanifestation als auch für das Auftreten von Erkrankungsschüben spielen die genetische Prädisposition und viele andere mögliche Auslösefaktoren eine Rolle. Laut Leitlinie1 manifestiert sich die Erkrankung bei der Hälfte der ­Patientinnen und Patienten in den ersten sechs Lebensmonaten, in 60 % der Fälle im ersten Lebensjahr und in über 70–85 % der Fälle vor dem fünften Lebensjahr. Bis zum frühen ­Erwachsenenalter sind ungefähr 60 % der erkrankten Kinder symptomfrei.

Auf den ersten Blick – Wirksames für die Selbstmedikation

  • Hautveränderungen, eingenommene Medikamente und ärztliche Therapien abfragen
  • Kinder mit Hautveränderungen, die auf eine Neurodermitis hinweisen, sollten zum Arzt weiterverwiesen werden.
  • Geeignete Wirkstoffe: Urea, Allantoin, Glycerin, Phanthenol, Zink, Polidocanol, Vitamine, Nachtkerzenöl etc.
  • Medikamentöse Therapie: richtet sich nach dem Verlauf und den betroffenen Körperstellen

Empfehlungen für das Gespräch an der Tara

Fragen zum Einstieg in das Gespräch

  • An welchen Körperstellen befinden sich die Hautveränderungen, und wie äußern sich diese? Weitere Merkmale der Erkrankung?
  • Welche Arzneimittel werden derzeit eingenommen?
  • Ärztliche Behandlung?

Krankheitsbild individuell und altersabhängig

  • Säuglinge ⇒ Gesicht, Kopfhaut („Milchschorf“), Streckseiten der Gliedmaßen
  • Kinder ⇒ Beugeseiten der Arme und Beine („Beugeekzem“), Hand- und Fußgelenke
  • Jugendliche und Erwachsene ⇒ Gesicht (Augenlider), Hände
  • Senioren ⇒ häufig ist der gesamte Körper betroffen; Exsikkationsekzem (Austrocknung der Haut) begünstigt Neurodermitis
  • leichte Ausprägungsformen (Sonder- und Minimalformen in allen Altersgruppen), bei denen die Symptome auf einzelne Körperteile begrenzt sind ⇒ Lippenentzündungen, Mundwinkel- und Ohrläppchen-Rhagaden, Brustwarzenekzem, trockene Haut mit schuppenden Rötungen und Einrissen im Bereich der Finger- und/oder Zehenkuppen

Mögliche Symptome

  • Die wichtigsten Symptome (Leitsymptome) der Neurodermitis sind die extrem trockene Haut, Juckreiz und Hautrötung.
  • Hautentzündungen; Kinder ⇒ eher nässende Ekzeme; Erwachsene ⇒ eher trockene Ekzeme
  • Weißer Dermografismus ⇒ Haut reagiert beim Kratzen nicht mit roten, sondern mit weißen Striemen.
  • vermehrte Furchung der Handflächen und Fußsohlen
  • blasser, leicht grauer Teint
  • doppelte Lidfalte unter dem Auge (Infraorbitalfalte)
  • dunkle Ränder um die Augenhöhlen
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Zu beachten!
Chronischer, immer wiederkehrender Verlauf möglich

Die Leitlinie1 empfiehlt, dass auch die bei für die Neurodermitis typischen Komorbiditäten, wie z. B. Nahrungsmittelallergie, Asthma und Rhinitis allergica, beachtet werden.

Häufige Auslösefaktoren

  • IgE-vermittelte Allergien auf z. B. Hausstaubmilbe, ­Tierepithelien, Pollen, Nahrungsmittel (bei Kindern v. a. Milch, Ei, Soja, Weizen), Nüsse, Fisch; bei Erwachsenen auch pollenassoziierte Nahrungsmittelallergene wie Obst (roh) und Gemüse
  • Hautirritationen und mechanische Reizung der Haut, z. B. Schwitzen, Kontakt mit Wolle
  • Infektionen
  • klimatische Bedingungen, z. B. Hitze, Kälte
  • psychische Faktoren, z. B. Stress
  • hormonelle Einflüsse (Schwangerschaft, Menstruation)

Laut Leitlinie1 wird eine Identifizierung der Provokationsfaktoren für deren Vermeidung bzw. Reduktion empfohlen und soll Teil eines individuellen Therapieplans sein ⇒ individuelle Allergiediagnostik.

Zu beachten!
Differenzierung zu anderen entzündlichen Hauterkrankungen, z. B.

  • allergische Kontaktekzeme
  • toxische Kontaktekzeme
  • seborrhoische Ekzeme
  • Skabies bei Kindern
  • Psoriasis (vor allem, wenn beide Krankheiten gleichzeitig vorliegen)

Wichtig!
Mögliche Komplikationen ⇒ Sekundärinfektionen mit Bakterien, Viren, Pilzen

ARZTBESUCH EMPFEHLEN:

  • Hautveränderungen (vor allem bei Kindern), die auf eine Neurodermitis hinweisen

Selbstmedikation

Es gibt kein einheitliches Therapieschema; Anpassung an die unterschiedlichen individuellen Phasen der Erkrankung; Behandlung je nach Alter, Verlauf, Lokalisation und Leidensdruck der Patient:innen; setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:

  • Basistherapie zur Verbesserung der gestörten Barrierefunktion der Haut
  • Therapie der Hautentzündungen

Basistherapie2 ⇒ konsequente Pflege der Haut; Pflegepräparate werden großzügig aufgetragen, um die Haut mit Feuchtigkeit zu versorgen und/oder einzufetten.

  • Urea, Allantoin, Glycerin, Panthenol, Zink, Polidocanol, Vitamine, Nachtkerzenöl u. a.
  • Bakterienlysat aus Aquaphilus dolomiae ⇒ multikompetenter Wirkstoff, der Entzündungen mildert, Juckreiz lindert, gegen Entzündungen und Rötungen wirkt und bakterielle Superinfektionen bekämpft

Medikamentöse Therapie

richtet sich nach dem Verlauf und den betroffenen Körperstellen

Topische Therapie

  • Glukokortikoide (First-Line-Therapie) ⇒ unterdrücken die überschießende Immunreaktion und dämmen die Entzündung ein.
  • Calcineurin-Inhibitoren ⇒ Immunmodulatoren Tacrolimus und Pimecrolimus; hemmen die Aktivität bestimmter Immunzellen.
  • Antibiotika ⇒ mit Vorsicht
  • desinfizierende und antiseptische Substanzen, z. b. Chlorhexidin, PVP-Jod, Gerbstoffe u. a.

Systemische Therapie (Rezeptpflicht)

  • Orale Glukokortikoide hemmen die Entzündungsreaktion; nur kurzfristig aufgrund möglicher Nebenwirkungen (z. B. Haut- und Muskelatrophie, Osteoporose, Anstieg des Blutzuckerspiegels).
  • Immunsuppressiva dämpfen die überschießende Immunreaktion, z. B. Cyclosporin A, Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat-Mofetil (MMF); Cyclosporin A ist nicht zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen zugelassen, aber im Falle einer sehr schweren Neurodermitis kann der Arzt bzw. die Ärztin eine Off-Label-Therapie mit Cyclosporin in Erwägung ziehen.
  • Biologika werden bei mittelschwerer bis schwerer Neuro­dermitis bei erwachsenen Patient:innen eingesetzt, z. B. Dupilumab.
  • Antihistaminika gegen Juckreiz
  • Mastzellenstabilisatoren, z. B. Cromoglicinsäure
  • Antibiotika ⇒ bei schweren bakteriellen Infektionen

Nichtmedikamentöse Verfahren

  • Phototherapie, Klimatherapie
  • Eliminationsdiäten, essenzielle Fettsäuren
  • Hausstaubmilben-Reduktion
  • psychologische Begleitung ⇒ Der oft unerträgliche Juckreiz kann zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität, der Schul- oder Arbeitsleistung und auch zu Problemen im sozialen Umfeld führen.
  • Neurodermitis-Schulungen ⇒ verbessern die Lebensqualität.

Beratungstipps

  • Ermittlung der Provokationsfaktoren (Allergietests)
  • Erkennen und Vermeiden der auslösenden Faktoren
  • kratzende und zu warme Kleidung, z. B. Wolle, meiden
  • längere Aufenthalte am Meer oder im Hochgebirge (allergenarme Zone)
  • wegen der hohen Belastung durch Haare und Schuppen ⇒ keine Haustiere
  • Stress und psychische Belastungen meiden, Entspannungstechniken erlernen
  • Pflege als fester Bestandteil im Tagesablauf ⇒ Spezialprodukte zur Hautreinigung und -pflege; individuelle Hautpflege; rückfettende Duschöle oder Badezusätze verwenden, evtl. mit juckreizstillenden Zusätzen
  • kurzes, lauwarmes Duschen ⇒ Jeden Kontakt mit Wasser auf ein Minimum reduzieren.
  • bei Salbentiegeln ⇒ Entnahme der Creme mit einem Spatel oder Esslöffel; Vermeidung von Keimen
  • Auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung achten.