Beratungsleitfaden: Ohrenschmerzen

Ohrenschmerzen stellen kein eigenes Krankheitsbild dar, sondern sind meist das Symptom einer Erkrankung.
Am häufigsten werden Ohrenschmerzen durch virale oder bakterielle Infektionen ausgelöst. Otalgien können aber auch verletzungsbedingte, neurogene oder neoplastische Ursachen haben. Daher steht bei der Beratung die Abklärung der möglichen Ursache an erster Stelle.

Vor allem bei Kindern sind Ohrenschmerzen ein häufiges Symptom. Es ist davon auszugehen, dass bis zum ­4. Lebensjahr ungefähr 60 Prozent aller Kinder zumindest einmal an einer Otitis media erkrankt sind. Häufig ist diese die Folge eines banalen Schnupfens oder einer anderen Atemwegserkrankung. Sie äußert sich in der Regel mit heftigen, pulsierenden Ohrenschmerzen, die auch als Leitsymptom gelten und sehr plötzlich auftreten. In den meisten Fällen verlaufen akute Mittelohrentzündungen harmlos. Laut DEGAM-Leitlinien (Deutsche ­Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) heilen sie bei vier von fünf Patient:innen innerhalb von 7 bis 14 Tagen von selbst aus. Die Otitis media betrifft natürlich auch Erwachsene, aber die häufigste Ursache von Ohrenschmerzen bei Erwachsenen sind Entzündungen des äußeren Gehörgans (Otitis externa).

Auf den ersten Blick / Wirksames für die Selbstmedikation

Leichte Ohrenschmerzen können in der Selbstmedikation mit NSAR behandelt werden:

  • Acetylsalicylsäure (nicht bei Kindern < 12 Jahren)
  • Ibuprofen
  • Naproxen
  • Paracetamol

Bei Ohrenschmerzen aufgrund einer banalen Erkältung können abschwellende Nasentropfen eingesetzt werden.
Eine Therapie mit Ohrentropfen ist nur in bestimmten Fällen sinnvoll (z. B. Otitis externa).


Wichtige Fragen zu Beginn der Beratung

  • Alter ⇒ Kind, Jugendlicher, Erwachsener?
  • Allgemeinzustand, Beginn, Dauer, Stärke und Verlauf der Beschwerden?
  • Beschreibung des Schmerzes, Lokalisation und Intensität, z. B. Ohrenschmerzen bei Kaubewegungen ⇒ Verdacht auf Otitis externa; akute, heftige, pulsierende Schmerzen ⇒ Verdacht auf Mittelohrentzündung
  • Sind Begleitsymptome vorhanden, z. B. Fieber, Erkältungssymptome, Kopfschmerzen?
  • Hörminderung, Ohrgeräusche, Schwindel, Ausfluss aus dem Ohr?
  • vorhergehende Infektionen der Atemwege, vorhergehende Behandlungen, frühere Ohrbeschwerden?
  • bekannte Begleit- und Grunderkrankungen, z. B. der Zähne, Nasennebenhöhlen u. a.?
  • Welche Medikamente werden eingenommen? Ototoxische Substanzen?

Je nach Lokalisation unterscheidet man Erkrankungen des äußeren Ohrs, des Mittel- und des Innenohrs. Ohrenschmerzen sind meist recht stark, können einseitig oder beidseitig auftreten und einen drückenden oder stechenden Schmerzcharakter haben.

Primäre Otalgie ⇒ Ursache der Schmerzen beim Ohr selbst (Ohrmuschel, Gehörgang, Trommelfell, Innenohr), z. B. Mittelohrentzündung, Entzündung des äußeren Gehörganges (Otitis externa), Entzündung der Ohrmuschel (ausgelöst z. B. durch Bakterien, Pilze, Insektenstiche, Sonnenbrand), übertriebene oder falsche Ohrenreinigung (z. B. mit Wattestäbchen), Furunkel im Gehörgang, Herpes Zoster des Ohrs, verhärtetes Ohrenschmalz (Zeruminalpfropf), Trommelfellentzündung, Trommelfellverletzung.

Sekundäre Otalgie ⇒ ausgelöst durch Erkrankungen in der Umgebung der Ohren; die Schmerzen werden über sensorische Fasern verschiedener Nerven in die Ohrregion weitergeleitet, z. B. akute Tonsillitis, Kehlkopfentzündung, Erkrankungen der Kiefergelenke oder Zähne, Erkrankungen des Nasen-Rachen-Raumes oder des Kehlkopfes, Nervenentzündungen im Gesicht (Trigeminusneuralgie), Probleme an der Halswirbelsäule, Entzündungen der Ohrspeichel­drüse, Luftdruckveränderungen (z. B. beim Tauchen und Fliegen).

Welche Arzneimittel werden eingenommen?

Ototoxische Substanzen ⇒ Störung der Funktion des Innenohrs durch Einwirkung von chemischen Noxen; reversibel oder irreversibel; kann sowohl das Hörorgan als auch das Gleichgewichtsorgan betreffen, z. B.:

  • Salicylatüberdosierung (reversibel nach dem Absetzen)
  • Antibiotika, z. B. Aminoglykoside
  • Diuretika, z. B. Furosemid
  • Malariamittel, z. B. Chinin, Chloroquin
  • Zytostatika, z. B. Carboplatin

Otitis media

In ungefähr 70 Prozent der Fälle liegen Mischinfektionen mit Bakterien und Viren vor ⇒ vor allem Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, daneben findet man auch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A und Staphylococcus aureus, manchmal auch Mykoplasmen; ein Drittel wird vermutlich durch respiratorische Viren ausgelöst.
Rezidivierende Otitis media ⇒ wenn 3 oder mehr Episoden innerhalb von 6 Monaten oder 4 oder mehr Episoden pro Jahr auftreten; Ursachen sind meist prädisponierende Faktoren wie Belüftungsstörung des Mittelohrs und Immundefekte.

Häufigste Ursachen von Ohrenschmerzen bei Kindern

Die Anatomie der Ohrtrompete, die bei Säuglingen und Kleinkindern kürzer und weiter ist und flacher verläuft als bei Erwachsenen, begünstigt die Ausbreitung der Erreger. ⇒ schmerzhafte Entzündung der Schleimhäute des Mittelohrs mit eitrigem Exsudat

  • heftige Ohrenschmerzen (stechende oder klopfende Schmerzen)
  • reduzierter Allgemeinzustand
  • oft verbunden mit Fieber und Reizbarkeit
  • Säuglinge und Kleinkinder sind unruhig und greifen häufig zum Ohr.
  • unspezifische Symptome wie Durchfall oder Erbrechen
  • Plötzlich nachlassender Schmerz weist auf eine ­Spontanperforation des Trommelfells hin.

Tipps

  • Wärmeauflagen (Kirschkernkissen)
  • Rotlicht, Infrarot
  • Auf eine richtige Ohrhygiene achten: Wattestäbchen sind zur Reinigung des äußeren Gehörganges nicht geeignet, da Zerumen auf das Trommelfell gedrückt werden kann und sich dadurch die „Pfropfbildung“ verstärkt; besser sind schonende Alternativen wie pflegende Ohrentropfen, Ohrenöle und Ohrensprays.

Beratungstipps Kinder

  • körperliche Schonung
  • Wärme (Kirschkernkissen)
  • ausreichende Flüssigkeitszufuhr
  • viel Zuwendung

Unverzüglich zum/zur Ärzt:in

Generell gilt, dass eine ärztliche Abklärung notwendig ist, wenn Ohrenschmerzen länger als ein bis zwei Tage anhalten, mit hohem Fieber, Otorrhö (Ohrenfluss) oder deutlicher Hörminderung einhergehen oder häufig wiederkehren.

  • Säuglinge und Kleinkinder
  • rezidivierende Ohrenschmerzen
  • anhaltende Ohrenschmerzen > 24 Stunden
  • starke Schmerzen bei Druck auf den äußeren Gehörgang
  • eitrig-schleimiger und/oder blutiger Ausfluss
  • Einschränkung des Hörvermögens > 7 Tage
  • Schmerzen im Kiefergelenk
  • Zahnschmerzen (Zahnärzt:in)
  • Fieber > 39 °C
  • heftiger Schwindel
  • Nackensteifheit
  • Erbrechen

Wichtig! Bei akutem Hörverlust ­sofortigen Arztbesuch empfehlen!


SELBSTmedikation

Eine Selbstmedikation ist bei leichten, akuten ­Ohrenschmerzen vertretbar, wenn die Ursache,z. B. Erkältung, bekannt ist. Auch wenn eine akute Mittelohrentzündung meist von selbst wieder ­ausheilt, ist es wichtig, dass der/die Ärzt:in durch entsprechende Untersuchungen andere mögliche Ursachen ausschließt (z. B. Fremdkörper im Ohr). Weiters sollte der Verlauf der Erkrankung beobachtet werden, um rechtzeitig möglichen Komplikationen entgegenzuwirken.

Die Spontanheilungsrate bei einer akuten Otitis ­media innerhalb von 24 Stunden liegt bei ca. 65 Prozent; „wait and watch“ – d. h., der/die Ärzt:in der/die Ärzt:in verschreibt ein Antibiotikum, aber erst wenn die Beschwerden länger als 48 Stunden bestehen, ist dieses auch indiziert.

Leichte Ohrenschmerzen sind mit einem systemisch wirksamen Analgetikum bzw. NSAR therapierbar:

  • Acetylsalicylsäure (nicht bei Kindern < 12 Jahren)
  • Ibuprofen
  • Naproxen
  • Paracetamol

Bei Ohrenschmerzen aufgrund einer banalen ­Erkältung können abschwellende Nasentropfen eingesetzt werden ⇒ Abschwellung der Nasenschleimhaut und der Mündung der Ohrtrompete im Nasenrachen ⇒ Verbesserung der Mittelohr­belüftung und des Sekretabflusses.

Eine Therapie mit Ohrentropfen ist nur in bestimmten Fällen sinnvoll (z. B. Otitis externa). Außerdem können sie eine eventuell notwendige otoskopische Untersuchung des Trommelfells behindern; bei perforiertem Trommelfell sind Ohrentropfen kontraindiziert.


Epilog

Das Beratungsthema „Ohrenschmerzen“ an der Tara stellt sich meist im Zusammenhang mit Kindern

Die akute Mittelohrentzündung gehört zu den häufigsten Erkrankungen im Kindesalter.
Die Ursache ist meist eine Infektion, die vom Nasenrachen über die Tube in das Mittelohr aufsteigt. Die betroffenen Kinder reagieren mit einem sogenannten „Ohrzwang“, d. h., dass sie die schmerzende Stelle ständig berühren. Besondere Verlaufsformen ergeben sich, wenn ein ­Mischinfekt mit Virenbeteiligung (Scharlach, Masern, Mumps und Grippe) vorliegt. Wiederholt auftretende Mittelohrentzündungen bei Kindern beruhen vorwiegend auf einer durch Adenoide (vergrößerte Rachenmandeln) gestörten Tubenfunktion. Die Symptome sind Fieber, Ohrenschmerzen, Rötung und Vorwölbung des Trommelfells. Die Beschwerden werden durch entzündliche Vorgänge an den Rachenmandeln ausgelöst, die auf die Tube übergreifen und ihre Funktion beeinträchtigen. Durch die natürliche Rückbildung des Rachenmandelgewebes während der Pubertät treten pathologische Veränderungen in der Regel nur im Kindesalter auf. Bei Erwachsenen können krankhafte Veränderungen von Nase, Nasenrachenraum und Nasennebenhöhlen (Sinusitis) zum wiederholten Auftreten einer Otitis führen.

Sonderform Otitis externa

Eine Otitis externa kommt besonders häufig nach Schwimmbad­besuchen (feucht-warmes Milieu) und bei Personen, die regelmäßig In-Ear-Kopfhörer, Ohrenstöpsel oder Hörgeräte tragen, vor. Ein ­typisches Symptom sind starke Ohrenschmerzen, die durch Kau­bewegungen oder durch Ziehen an der Ohrmuschel zunehmen ­(wichtiges Unterscheidungskriterium zur Otitis media). Der äußere Gehörgang ist gerötet und berührungsempfindlich, teils auch zugeschwollen. Die Entzündung des äußeren Gehörganges wird vor allem durch Bakterien, Pilze und Allergien (z. B. gegen Haarwaschmittel) hervorgerufen.

Wenn eine Otitis externa unbehandelt bleibt, kann die Infektion auf das Mittelohr übergreifen, daher muss der/die Patient:in bei Verdacht auf eine Infektion der äußeren Gehörgänge eine:n entsprechende:n Fachärzt:in konsultieren. Das äußere Ohr wird gereinigt, Sekret und Hautschuppen werden abgesaugt, und anschließend werden antibiotika- oder kortisonhaltige Streifen eingelegt. Als weiterführende Therapie werden meist Ohrentropfen mit entsprechender Zusammensetzung verordnet.