Beratungsleitfaden: Reizdarmsyndrom

Der „Reizdarm“ gehört zur Gruppe der funktionellen Darmerkrankungen und wird heute als eine Störung der Darm-Hirn-Achse betrachtet. Das Reizdarmsyndrom (RDS) gehört mit einer Prävalenz von 10–15 % (vermutlich ist die Dunkelziffer noch viel höher) zu den häufigsten Erkrankungen des Gastrointestinal-Traktes. 90 % der Betroffenen sind unter 50, und jede:r zweite ist sogar jünger als 35 Jahre. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren und gegenseitigen Beeinflussungen, wie Veränderungen im Mikrobiom, Barrierestörungen („leaky gut“), unterschwellige Entzündungsprozesse, eine neuronale Dysregulation des Darmnervensystems, chronischer Stress, Ängstlichkeit und Depressionen, die für das RDS verantwortlich gemacht werden.

Auf den ersten Blick – Wirksames für die Selbstmedikation

Je nach dominierendem Leitsymptom:

  • Schmerzen und Krämpfe
    Spasmolytika (Hyoscin-N-Butylbromid), Pfefferminzöl, Karminativa, pflanzliche Prokinetika, Probiotika
  • Obstipation
    Füll- und Quellstoffe, laxierende Suppositorien bzw. Klysmen, osmotische Laxanzien
  • Diarrhö
    kurzfristig Loperamid, Flohsamen(schalen), Probiotika, Pfefferminzöl, Spasmolytika
  • Flatulenz
    Probiotika, Spasmolytika, Entschäumer (Simeticon, Dimeticon)

Empfehlungen für das Gespräch an der Tara

Wichtige Fragen zu Beginn der Beratung

  • Um welche Art von Beschwerden handelt es sich?
  • Seit wann bestehen die Beschwerden? Was verschlimmert den Zustand (Ernährung, Tagesablauf, Stressfaktoren)?
  • Wurde schon eine ärztliche Diagnose gestellt?
  • Welche Mittel bzw. Maßnahmen wurden bisher ausprobiert und mit welchem Erfolg?

Das RDS hat oft einen chronisch rezidivierenden Verlauf, wobei die Intensität und Häufigkeit der Beschwerden individuell sehr unterschiedlich empfunden werden; typisch ist, dass jeder Patient bzw. jede Patientin ein anderes Beschwerdebild erlebt und die Symptome oft wechseln ⇒ aus Durchfall kann Verstopfung werden und umgekehrt; an einem Tag sind die Schmerzen im Oberbauch im Vordergrund, an anderen Tagen wieder Meteorismus und Flatulenz.

Der chronische Bauchschmerz ist häufig das dominante Symptom. Die Schmerzen sind krampfartig, schwer zu lokalisieren und können den gesamten Unterbauch betreffen. Der Schmerz ist selten das einzige Symptom, meist besteht ein Symptomenkomplex:

  • Stuhlunregelmäßigkeiten (Obstipation, Diarrhö)
  • Meteorismus/Flatulenz
  • Spannungsgefühl/Völlegefühl
  • Oberbauch- und/oder Unterbauchschmerzen
  • abdominale Krämpfe
  • Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung

Zusätzlich reagieren Reizdarm-Patient:innen durch eine viszerale Überempfindlichkeit äußerst sensibel auf Dehnungsreize, die während der Verdauung auf den Darm wirken.

Abhängig von den dominierenden Einzelsymptomen wird in Subtypen unterteilt:

  • Obstipationstyp
  • Diarrhö-Typ
  • Mischtyp ⇒ Diarrhö und Obstipation im Wechsel
  • Schmerz- und/oder Bläh-Typ
    ⇒ Eine Zuordnung ist wichtig für das diagnostische und therapeutische Management der Erkrankung.

Funktionelle Darmbeschwerden können negativ beeinflusst werden durch:

  • vorangegangene Darminfektionen (bei ca. ¼ der Betroffenen = postinflammatorische RDS)
  • Überempfindlichkeit auf bestimmte Lebensmittel
  • Stress kann der Auslöser von Schmerzepisoden sein, aber auch bei schon bestehender Erkrankung die Symptome verschlechtern.

Ausschlussdiagnose

Die Diagnose „Reizdarmsyndrom“ wird rein klinisch mit Hilfe von ganz klar definierten Ausschlusskriterien erstellt, das heißt, es gibt weder einen typischen Laborwert noch eine typische Endoskopie.
Die diagnostischen Standards werden von der S3-Leitlinie Reizdarm festgelegt ⇒ es bestehen chronische, d. h. länger als drei Monate anhaltende Beschwerden (z. B. Bauchschmerzen, Blähungen), die von Patient:innen und ärztlicherseits auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.


Selbstmedikation

Es gibt keine standardisierte Therapie ⇒ diese orientiert sich an den dominanten Symptomen bzw. an folgenden vier Leitsymptomen:

  • Schmerzen, Obstipation, Diarrhö und/oder Flatulenz
    Durch Erfragen der gehäuft auftretenden Symptome können die entsprechenden Arzneimittel empfohlen werden.

Basistherapie

  • Ernährungsumstellung (Low-FODMAP-Diät), Psychotherapie, Stressmanagement, Entspannungstechniken lernen

Schmerzen und Krämpfe

  • Spasmolytika ⇒ Hyoscin-N-Butylbromid bei schmerzhafter Symptomatik mit Bauchkrämpfen: Entspannung der Darmmuskulatur
  • Pfefferminzöl ⇒ spasmolytische Wirkung
  • Karminativa ⇒ Teezubereitungen aus Kümmel, Fenchel oder Anis
  • pflanzliche Prokinetika (alkoholische Frischpflanzenauszüge)
  • Probiotika ⇒ Beeinflussung der intestinalen Mikroflora

Wichtig! Eine Schmerztherapie mit peripheren Analgetika (NSAR) wird aufgrund der möglichen gastrointestinalen Nebenwirkungen nicht empfohlen.

Obstipation

Laxanzien werden vorwiegend in Kombination mit Ballaststoffen eingesetzt, wenn diese zur Stuhlregulierung nicht ausreichen:

  • Füll- und Quellstoffe (z. B. Flohsamen, Flohsamenschalen) immer mit einer entsprechend großen Flüssigkeitsmenge einnehmen.
  • laxierende Suppositorien, Klysmen ⇒ sehr physiologisch, auch als Dauertherapie zu empfehlen (z. B. Glycerin, CO2-freisetzende Suppositorien)
  • osmotische und salinische Laxanzien ⇒ z. B. Macrogol (osmotisch)

Zu beachten: lösliche Ballaststoffe (Zuckeraustauschstoffe, Inulin, Laktose) enthalten FODMAP und sollten bei einer angestrebten Reduktion von FODMAP nicht eingesetzt werden.

Diarrhö

Zur Behandlung einer Diarrhö empfiehlt die Leitlinie den kurzfristigen Einsatz (2 Tage) von Loperamid; empfohlen werden auch Flohsamen und Flohsamenschalen (gute Wasserbindungskapazität), Probiotika, Pfefferminzöl oder Spasmolytika.

Flatulenz

Blähungen werden von RDS-Patient:innen oft als das am meisten beeinträchtigende Symptom beschrieben ⇒ Probiotika, Spasmolytika und Entschäumer wie Simeticon oder Dimeticon können eine Erleichterung bringen.

Weitere Maßnahmen bzw. Optionen

  • Papayamus ⇒ wirkt verdauungsregulierend, unterstützt die natürliche Darmtätigkeit und fördert einen regelmäßigen Stuhlgang; hilft dank seiner Enzyme und Polysaccharide sowohl bei Verstopfung als auch bei Durchfall und entzündlichen Prozessen.
  • pflanzliche Sedativa bei stressbedingten Beschwerden, z. B. Baldrian, Passionsblume, Hopfen, Melisse, Johanniskraut
  • Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente ⇒ bei chronischem Durchfall kann mit einem Mikronährstoffmangel gerechnet werden.
  • nach ärztlicher Absprache Einsatz niedrigdosierter Antidepressiva ⇒ Dämpfung afferenter Signale

Beratungstipps

  • Reizdarm-Therapie mit FODMAP-Ernährung (siehe Epilog)
  • Ernährungstagebuch führen ⇒ Evaluierung auslösender Faktoren.
  • Tagesablauf und besondere Vorkommnisse (Stress) im Tagebuch berücksichtigen und notieren.
  • Meiden von Speisen und Getränken, die Beschwerden auslösen können. Nahrungsmittel mit künstlichen Zusatzstoffen meiden.
  • keine Rohkost am Abend
  • ausreichend trinken
  • langsam und in Ruhe essen ⇒ die Verdauung beginnt im Mund.
  • Stress und Hektik vermeiden oder möglichst auf ein Minimum reduzieren.
  • Sportliche Aktivität regt die Darmmotorik an und hilft beim Stressabbau ⇒ optimal sind Ausdauersportarten wie Schwimmen, Nordic Walking, Laufen oder auch Radfahren; auch Yoga, autogenes Training.
  • Entspannungstechniken lernen.
  • psychotherapeutische Betreuung

Unverzüglich zur/zum Ärzt:in

  • bei chronischen Beschwerden und/oder hohem Leidensdruck• Erstmanifestation der Symptome > 50
  • Leitsymptom Durchfall
  • spontaner Gewichtsverlust > 10 % bei unveränderter Nahrungszufuhr
  • Blut im Stuhl
  • monotones, aber progredientes Beschwerdebild
  • keine Verschlimmerung unter Stress, keine Besserung in Entlastungssituationen
  • Störung der Nachtruhe durch die Symptome (RDS zeigt meist keine nächtlichen Symptome)

Epilog

In der Vergangenheit gab es so gut wie keine Ernährungsempfehlungen für Reizdarmpatient:innen. In der aktualisierten Leitlinie empfehlen die Expert:innen ganz klar die Low-FODMAP-Diät.

Diese Abkürzung steht für Fermentierbare Oligosaccharide (z. B. Fruktane, Galaktane), Disaccharide (z. B. Laktose), Monosaccharide (z. B. Fruktose) und Polyole (Sorbit, Maltit, Xylit). Welche FODMAP Beschwerden bereiten und wie stark, ist individuell sehr unterschiedlich.

Reizdarm-Therapie mit FODMAP-Ernährung

Bei der in Australien entwickelten Diät werden im Ausschlussverfahren Lebensmittel weggelassen, die durch einen hohen FODMAP-Gehalt zu Verdauungsproblemen führen können. Mehrere Wochen lang wird auf diese „potenziell reizenden“ Kohlenhydrate verzichtet. Studien haben gezeigt, dass diese spezielle Diät den Reizdarm sehr effektiv beruhigen kann. Wichtig ist, dass in einem Tagebuch genau festgehalten wird, bei welchen Lebensmitteln Symptome auftreten. Es gibt hilfreiche FODMAP-Listen, die zeigen, welche Lebensmittel einen hohen FODMAP-Gehalt haben und welche einen niedrigen.

Der Einsatz von Probiotika wird in der aktualisierten Leitlinie bei RDS empfohlen.

Probiotika haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Bei Reizdarm-Patient:innen ist die Darmflora anders aufgebaut als bei Gesunden. Bakterienpräparate in Kombination mit Präbiotika helfen, die natürliche Darmflora wiederherzustellen. Eine besonders gute Datenlage zur Therapie des Reizdarms gibt es für den hitzeinaktivierten Bakterienstamm B. bifidum HI-MIMBb75.

Pfefferminzöl, eine therapeutische Alternative

Laut S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms kann Pfefferminzöl im Sinne einer evidenzbasierten Selbstmedikation beim Reizdarmsyndrom empfohlen werden. Durch eine Blockierung der Kalzium-Kanäle in der glatten Muskulatur (L-Menthol) kommt es zu spasmolytischen Effekten im Gastrointestinaltrakt. Zusätzlich hat Pfefferminzöl antimikrobielle, antioxidative und lokalanästhetische Eigenschaften. Es sind keine Nebenwirkungen bekannt, manchmal wird beim Aufstoßen der Geruch nach Pfefferminze als störend empfunden.