Beratungsleitfaden: Sicca-Syndrom (Keratokonjunktivitis sicca)

Die Erkrankung hat in den vergangenen Jahren, vermutlich aufgrund von Umweltfaktoren und modernen Lebens- und Arbeitsbedingungen, deutlich zugenommen. Das trockene Auge tritt vor allem mit zunehmendem Alter auf, in den meisten Fällen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Frauen sind durch die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren deutlich häufiger betroffen als Männer.

Die Definition des trockenen Auges der Tear Film and Ocular Surface Society (TFOS) erkennt die multifaktorielle Natur des trockenen Auges als Erkrankung der Augenoberfläche an, die durch ein gestörtes Gleichgewicht des Tränenfilms charakterisiert ist. Begleitet ist die Erkrankung von Augensymptomen, bei denen die Instabilität und Hyperosmolarität des Tränenfilms, eine Entzündung und Schädigung der Augenoberfläche sowie neurosensorische Besonderheiten eine Rolle spielen. Häufig werden die Beschwerden von den Betroffenen als nichtbehandlungsbedürftig angesehen, und es erfolgt keine oder nur eine unzureichende Therapie. Bei adäquater Therapie verläuft die Erkrankung ohne Komplikationen. Die Sehkraft der Augen ist durch die Keratokonjunktivitis sicca nicht vermindert.

Auf den ersten Blick / Wirksames für die Selbstmedikation

Selbstmedikation nur bei bekannter Ursache!

Eine Selbstmedikation ist nur empfehlenswert, wenn die Ursache für das trockene Auge bekannt ist.

Tränenersatzmittel: Mit Hilfe von Topfen, Gelen, Salben oder Sprays wird entweder die unzureichende Tränenflüssigkeit ersetzt („künstliche Tränen“) und/oder die Konsistenz des Tränenfilms verbessert. Die Zubereitungen werden bei Bedarf mehrmals täglich in den Bindehautsack appliziert. Das Ziel der Therapie ist eine bessere Benetzung der Augenoberfläche und dadurch eine Linderung der Symptome.

Weitere Optionen

  • Augentropfen und Augengele mit Dexpanthenol oder Vitamin A
  • Augensalben und Augengele für die Nacht
  • homöopathische Augentropfen

Gezielte Fragen für die Beratung:

  • Welche Beschwerden liegen vor?
  • Liegen Begleitumstände vor, welche die Entstehung von trockenen Augen fördern können?
  • Welche Medikamente werden eingenommen?
  • Allgemeinerkrankung? Benetzungsstörungen können auch in Verbindung mit Allgemeinerkrankungen auftreten.
  • Welche Mittel wurden bisher ausprobiert? Mit welchem Erfolg?
  • Gibt es schon ärztliche Empfehlungen?

Der Tränenfilm gewährleistet die Benetzung des Auges; wird von verschiedenen Drüsen produziert (in den Augenlidern, an den Lidrändern, in der Augenhöhle und der Bindehaut) ⇒ unerlässlich für beschwerdefreies Sehen.

Formen des trockenen Auges

  • hyperevaporative Form (ca. zwei Drittel) ⇒ zu wenig Lipidanteile im Tränenfilm; der Tränenfilm reißt auch bei ausreichender Flüssigkeitssekretion auf, und mehr Tränenflüssigkeit verdunstet; häufig läuft die Tränenflüssigkeit über den Lidrand ab, d. h., auch tränende Augen können ein Zeichen für trockene Augen sein.
  • hyposekretorische Form (ca. ein Drittel) ⇒ zu wenig wässrig-muzinöse Anteile im Tränenfilm, d. h., es liegt eine verminderte Tränenproduktion vor; geprägt vom Fremdkörpergefühl; stark beeinflusst durch Jahreszeit und Klima.
  • kombinierte Störungen

Mögliche Beschwerden

  • Trockenheitsgefühl, Augenbrennen, Fremdkörpergefühl („Sandkorngefühl“)
  • Sehstörungen
  • Entzündungen von Kornea und Konjunktiva (gestörte Tränenproduktion)
  • Bindehautrötung, Lidschwellung, Lidschlag wird als unangenehm empfunden.
  • Schleimabsonderung, verklebte Augenlider nach dem Aufwachen, Gefühl des Tränens
  • müde Augen – „möchte diese am liebsten geschlossen lassen“
  • Lichtempfindlichkeit
  • Unverträglichkeit von Kontaktlinsen
  • Probleme bei der Bildschirmarbeit
  • unangenehmes Gefühl bei Luftzug, rauchiger Luft oder in klimatisierten Räumen und im Flugzeug

Wichtig! Wenn die Beschwerden das erste Mal auftreten ⇒ Abklärung beim/bei der Augenärzt:in empfehlen.

Ursachen

  • Umweltfaktoren ⇒ Ozon (Kopiergeräte, Drucker), Abgase, Rauch/Zigarettenrauch, Klimaanlagen, trockene Heizungsluft, lange Computerarbeit (Office-Eye-Syndrom), Parfüm und Raumdüfte, unzureichende und/oder falsche Beleuchtung, Tragen von Kontaktlinsen, Konservierungsmittel (z. B. Benzalkoniumchlorid) in Augentropfen, die gegen andere Augenerkrankungen angewendet werden (z. B. gegen Glaukom), reizende Kosmetika bzw. falscher Gebrauch von Kosmetika
  • Sonstiges ⇒ altersbedingte Veränderungen der Schleimhäute, nachlassende Tränenproduktion im Alter, hormonell bedingte Veränderungen der Tränenflüssigkeit in der Schwangerschaft oder in den Wechseljahren, Erkrankungen der Tränendrüsen (z. B. Entzündungen), Verengungen (Stenosen) in den abführenden Tränenwegen, unzureichender Schlaf, Vitamin-A-Mangel
  • Grunderkrankungen ⇒ Diabetes mellitus, Androgenmangel, Schilddrüsenerkrankungen (Morbus Basedow, Hashimoto-Thyreoiditis, primäres Myxödem), Morbus Parkinson, multiple Sklerose, Angststörungen, Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie, Kollagenosen
  • Medikamente ⇒ können zu einer verminderten Tränenproduktion führen, z. B. orale Kontrazeptiva, postmenopausale Östrogentherapie, Betablocker, Psychopharmaka (Benzodiazepine, Antidepressiva, Neuroleptika), Antihistaminika, Diuretika, Anticholinergika, Isotretinoin u. a.

Sonderform: Dysfunktion der Meibom-Drüsen

Häufigster Risikofaktor für die Entstehung eines trockenen Auges ist die Meibom-Drüsen-Dysfunktion ⇒ chronische Störung, die als hypo- und hypersekretorische Form auftreten kann; Meibom-Drüsen ⇒ sitzen am inneren Rand des Augenlids und sondern eine ölige Flüssigkeit ab, die sich mit dem Tränenfilm vermischt und verhindert, dass dieser zu schnell verdunstet. Meist liegt die hyposekretorische Form vor ⇒ Obstruktion der Ausführungsgänge und qualitative sowie quantitative Veränderung der Drüsensekretion mit Störungen des Tränenfilms, Symptome einer okulären Reizung, eine klinisch sichtbare Entzündung und Erkrankung der Augenoberfläche.


Wichtig für die Beratung! Die Tränenproduktion unterliegt Tagesschwankungen ⇒ die Produktion der Tränenflüssigkeit wird auf sehr komplizierte Weise neurovegetativ gesteuert; auch bei Gesunden unterliegt diese erheblichen Tagesschwankungen in der Menge und Zusammensetzung; vor allem am Abend kann die Tränenproduktion vermindert sein; wichtig für Kontaktlinsenträger:innen ⇒ abends so bald wie möglich die Linsen rausnehmen und auf die Brille umsteigen.

Unbedingt beachten! Vasokonstriktoren verengen die Gefäße und lindern die Rötung; aber ⇒ Auslösung oder Verstärkung des Sicca-Syndroms möglich.

Erste Maßnahmen:

  • Erfassung der Erkrankung, der Unterform und des Schweregrades durch eine:n Ärzt:in
  • Linderung der Beschwerden
  • Erhalt der intakten Augenoberfläche und Verhinderung von Langzeitschäden
  • Reduktion einer vorhandenen Entzündung
  • Verminderung der beeinflussbaren Risikofaktoren

SELBSTmedikation

Die Empfehlung zur Selbstmedikation ist dann vertretbar, wenn die Ursachen für das Symptom des trockenen Auges bekannt sind.

Wichtig! Auch wenn die Betroffenen nur gelegentlich unter trockenen Augen leiden, sollte ein:e Ärzt:in aufgesucht werden, schon allein um sicherzugehen, dass keine Grunderkrankung hinter den Beschwerden steckt ⇒ Untersuchung der Menge und Zusammensetzung des Tränenfilms.

Wird das trockene Auge nicht oder nicht ausreichend behandelt, kann es zu dauerhaften Schädigungen der Hornhaut kommen, die unter Umständen sogar die Sehkraft (Visusverlust ⇒ ein- oder beidseitiger kompletter Verlust der Sehschärfe mit oder ohne Schmerzen) beeinträchtigen.

Tränenersatzmittel

Mit Hilfe von Tropfen, Gelen, Salben oder Sprays wird die unzureichende Tränenflüssigkeit ersetzt („künstliche Tränen“) und/oder die Konsistenz des Tränenfilms verbessert. Die Zubereitungen werden bei Bedarf mehrmals täglich in den Bindehautsack appliziert. Das Ziel der Therapie ist eine bessere Benetzung der Augenoberfläche und dadurch eine Linderung der Symptome.

Wichtiger Beratungstipp: Oft müssen verschiedene Präparate ausprobiert werden, um das ideale Produkt zu finden. Deshalb sind vor allem am Beginn der Therapie regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim/bei der Augenärzt:in wichtig.Bei längerfristiger Behandlung ist es wichtig, konservierungs­mittelfreie Präparate zu verwenden.

Weitere Optionen

  • Augentropfen und Augengele mit Dexpanthenol oder Vitamin A

Allgemeine Maßnahmen

  • Optimierung des Raumklimas, z. B. 40–60 % Luftfeuchtigkeit, Stoßlüften, Luftbefeuchter
  • Meiden von Zugluft, verrauchten und klimatisierten Räumen
  • regelmäßige Pausen bei der Bildschirmarbeit, bewusstes Blinzeln
  • physikalischer Schutz der Augen mit Brillen

Tipps für die Kund:innen

  • Bei Anbruch das Datum auf dem Fläschchen vermerken, denn so verhindert man eine zu lange Anwendung und in der Folge Komplikationen am Auge; unbedingt die Hinweise bezüglich Haltbarkeit bei den verschiedenen Präparaten beachten.
  • Bei der Anwendung von unterschiedlichen Augentropfen muss ein Zeitraum von 15 Minuten zwischen den Anwendungen liegen. Zuerst werden Augentropfen mit Wirkstoffen und nach einem angemessenen Zeitabstand das Tränenersatzmittel eingetropft.
  • Kontaktlinsenträger:innen wird empfohlen, die Linsen erst 15 Minuten nach dem Eintropfen wieder einzusetzen.
  • Manche Augentropfen müssen vor der Anwendung geschüttelt werden.
  • Ein Tropfen pro Auge reicht, da das Auge einfach nicht mehr aufnehmen kann.
  • Um einen schnellen Abfluss des Tropfens in den Tränenkanal zu vermeiden, etwa 1 Minute auf den inneren Augenwinkel an der Nase drücken.

Epilog

Tränenersatzmittel sind ein wichtiger Bestandteil der Therapie des Sicca-Syndroms.

Der Tränenfilm hat viele für das Auge lebensnotwendige Funktionen. Er versorgt die Hornhaut mit Sauerstoff und Nährstoffen, ist gleichzeitig auch „Schmiermittel“, enthält bakteriostatische Stoffe, schwemmt Fremdstoffe aus dem Auge und sorgt für klares Sehen. Normalerweise werden pro Tag 1,5 bis 2 ml Tränenflüssigkeit produziert, aber durch eine Reizung der Augen (Weinen, Fremdkörper, Zwiebel-Schneiden etc.) kann sich die Produktion um ein Vielfaches erhöhen.

Für jedes Beschwerdebild den richtigen Tränenersatz

In den Präparaten (Tropfen, Salben, Gele) werden verschiedene Inhaltsstoffe verwendet, die sich hinsichtlich des Polymerisierungsgrades und der Viskosität unterscheiden.
Für leichte Beschwerden kommen vor allem niedrigviskose Tränenersatzmittel wie z. B. Polyvinylpyrrolidon (PVP), Polyvinylalkohol (PVA), Glycerol und kurzkettige Hyaluronsäure zum Einsatz. Diese dienen vor allem als Feuchthaltemittel und als Ergänzung des Tränenfilms.

Bei mittelstarken Beschwerden werden höherviskose Filmbildner eingesetzt wie z. B. Zellulosederivate wie Hypromellose oder Natriumcarboxymethylcellulose und Carbomere. Bei der Anwendung ist aber zu beachten, dass diese in höheren Konzentrationen die Sicht „verschleiern“ können.

Bei starken Beschwerden oder aber auch, wenn die Anwendung nicht so häufig erfolgen sollte, werden Verdickungsmittel oder Lipide verwendet wie z. B. höherkettige Hyaluronsäure, Sojalecithin, Propylenglykol und Polyethylenglykol. Vor allem Lipide (z. B. Triglyzeride oder Phospholipide) sind bei einer Störung der Lipidschicht, wie bei einer Meibom-Drüsen-Dysfunktion, besonders indiziert.

Osmoprotektiva binden Wasser

Da bei vielen Betroffenen mit Sicca-Syndrom nicht selten Mischformen der Erkrankung vorliegen, kann eine Kombinationstherapie aus wässrigen und fetthaltigen Präparaten empfohlen werden. Osmoprotektiva enthalten wasserbindende Substanzen wie z. B. das Disaccharid Trehalose, das die Horn- und Bindehaut vor Schädigungen durch eine Art Schutzfilm auf der Zelloberfläche schützt.

Lidrandhygiene

Bei einem Lipidmangel des Tränenfilms sollten auch die Lidränder behandelt werden, z. B. durch Auflegen von feuchtwarmen Kompressen (5 bis 10 Minuten) und /oder mit speziellen Produkten zur Reinigung der Lidränder.

Kontaktlinsen und Sicca-Syndrom

Mehr als die Hälfe aller Kontaktlinsenträger:innen sind vom Sicca-Syndrom betroffen, allein schon durch das „normale“ Tragen der Linsen. Bei weichen Linsen dürfen nur Tränenersatzmittel ohne Konservierungsstoffe verwendet werden, da sich diese in den Kontaktlinsen anreichern und zu Schäden am Auge führen können. Aus diesem Grund sollte immer auf die Angaben des Herstellers geachtet werden.

Beratungstipp

Eine Selbstmedikation ist nur empfehlenswert, wenn die Ursache für das trockene Auge bekannt ist.