Cannabinoide erleben Renaissance

Die Hanfpflanze Cannabis sativa ist aktuell wieder in die politische Debatte geraten und eher als psychotrope Droge denn als Heilmittel bekannt. Erst Anfang der 1990er-Jahre wurde die Einzelsubstanz Delta-9-Tetrahydrocannabinol (Dronabinol) von der WHO entschärft und mit einem geringen Abhängigkeitspotenzial – ähnlich Codein – angeführt. Um Missbrauch zu verhindern, obliegt die Verschreibung strengen Regeln. Erstaunlicherweise zeigen sich die Sozialversicherungsträger der Therapie gegenüber relativ kulant – vermutlich vor allem wegen geringer Kosten. Die Erstattung muss zwar chefärztlich bewilligt werden, doch Österreich ist hier sogar gegenüber den Niederlanden Vorreiter. In Zukunft wird das Einsatzgebiet wohl noch größer werden.
Cannabinoide haben sich vor allem in der Palliativmedizin etabliert. Ihr Wirkprofil mit einer coanalgetischen, antiemetischen und appetitsteigernden Wirkung ist bei vielen Patienten erwünscht. Die analgetische Potenz der Cannabinoide ist hingegen recht schwach. Der stimmungsaufhellende und schlafverbessernde Effekt erhöht hingegen die Akzeptanz der Cannabinoide.
Daneben wird die untypische Therapie auch bei MS-Patienten zur Linderung spastischer Schmerzen eingesetzt. Im Gegensatz zu anderen muskelrelaxierenden Medikamenten, wie Tizanidin oder Baclofen, wird eine Schwäche der Muskulatur unter Cannabinoiden kaum beschrieben. Strittig ist der Einsatz bei Migräne- und Clusterpatienten.1 Dronabinol sollte hier wegen der Nebenwirkungen, die bei einer Akuttherapie auftreten können, nur als Ultima Ratio eingesetzt werden. Eine sehr gute Indikationsmöglichkeit stellen entzündliche Darmerkrankungen dar. Im Tierversuch hemmten Cannabinoide die Darmbeweglichkeit und die Entzündungsphase der Schmerzen.2
Dronabinol eignet sich auch sehr gut gegen die chemotherapieinduzierte Emesis, allerdings werden hier initial höhere Dosen eingesetzt. Begonnen werden sollte bereits zwei bis drei Stunden vor der Chemotherapie; die Dosis sollte dann alle vier bis sechs Stunden wiederholt werden. Die Pharmakokinetik oraler Cannabinoide unterscheidet sich stark vom Cannabisrauchen. Die gastrointestinale Resorption ist aufgrund der ausgeprägten Lipophilie der Substanzen sehr langsam, weshalb die magistrale Zubereitung in öliger Form erfolgt. Dronabinol unterliegt außerdem einem erheblichen First-Pass-Effekt in der Leber, woraus eine orale Bioverfügbarkeit von nur etwa 20 % resultiert. Langsames Auftitrieren bis zur wirksamen und tolerierten Dosis vermindert unerwünschte Nebenwirkungen und erhöht die Compliance. Da Dronabinol-Tropfen eine feinere Titration bei der Verabreichung ermöglichen, ist zu Therapiebeginn diese Darreichungsform besonders geeignet. Nach Erreichen der Erhaltungsdosis ist ein Umstieg auf Kapseln möglich.
Wegen der möglichen Müdigkeit als Nebenwirkung sollte die Therapie immer am Abend begonnen werden. Der Wirkeintritt ist nach 0,5–1 Stunde zu erwarten, das Wirkungsmaximum nach zwei bis vier Stunden. Die Wirkung selbst hält acht bis zwölf Stunden an. Da die Tropfen eine ölige Lösung sind, sollte die Einnahme nicht mit Wasser, sondern mit einem fetthaltigen Nahrungsmittel erfolgen. Kälte verringert die Viskosität und die Tropfengröße. Die Tropfen sollten nicht im Kühlschrank aufbewahrt werden. Die ideale Dosis muss individuell erstellt werden. Begonnen wird in der Regel mit zwei Tropfen abends, die dann gesteigert werden können. Eine mittlere Dosis liegt etwa bei 6–20 Tropfen täglich; die maximale Dosis von 90 mg/m2/KOF/d sollte jedoch nicht überschritten werden. Bei Auftreten von starker Müdigkeit oder psychotropen Nebenwirkungen ist eine Dosisreduktion nötig.

Tipp: Metaboliten von Dronabinol können bis zu drei Wochen nach der Einnahme im Harn nachgewiesen werden. Ein Patient sollte im Falle einer polizeilichen Kontrolle eine Therapiebestätigung vorweisen können.