„EuGH-Entscheid gefährdet Bonität der Apotheken“

Apotheker Krone: Herr Professor Krammer, Sie treten nach 32 Jahren an der Spitze des Großhandelsverbandes PHAGO in den Ruhestand. Was sind die aktuellen Herausforderungen für die Branche?

Heinz Krammer: Der Großhandel kämpft seit mehreren Jahren mit drei Kernproblemen. Zum einen ist da die Umsatzentwicklung, die sich durch die Struktur der Umsätze verändert. Billige Generika einerseits und teure Spezialprodukte andererseits nehmen zu. In beiden Fällen sind die Margen mager – das gilt auch für die Apotheken. Bei den neuen Hepatitis-C-Produkten hatte der Großhandel pro Packung gerade einmal eine Spanne von 0,17 Prozent. Hier geht es künftig darum, eine vernünftige Mischkalkulation zu finden. Dann kommt dazu, dass immer mehr Pharmaunternehmen Apotheken direkt beliefern, wodurch uns Deckungsbeiträge wegfallen. Und dann steigen noch die Anforderungen in allen Bereichen. Ein Beispiel ist etwa die Umsetzung der Fälschungsrichtlinie. Natürlich schaffen wir das, aber der Aufwand ist groß, und damit entstehen Kosten.

Frau Dr. Vögele, Sie kommen aus der Apothekerkammer, kennen die Branche also genau. Wo liegen Ihre Schwerpunkte?

Monika Vögele: Die Schwerpunkte liegen wie beschrieben auf dem Tisch. Mir ist wichtig, dass wir eine nahtlose Übergabe machen. Wichtig erscheint mir, dass auch mehr auf die Leistungen hingewiesen wird, die der Großhandel im Hintergrund erbringt. Es gibt etwa täglich rund 15.000 Anrufe bei den Hotlines. Die Leistungen der sechs Unternehmen und ihrer rund 2.000 Beschäftigten haben es sich verdient, mehr in den Vordergrund gestellt zu werden.

Und wie beurteilen Sie die von Ihrem Vorgänger skizzierten Problembereiche?

Vögele: Der Großhandel muss weiter in der Lage sein, seine Leistungen zu bringen. Wir können in zwei Stunden jeden Ort und jede Apotheke in Österreich erreichen und beliefern. Das ist für die Versorgung mit Arzneimitteln extrem wichtig. Wenn etwa die Industrie Apotheken direkt beliefert, kann es sein, dass man auf Produkte ein bis zwei Tage wartet. Besonders schwer wird es, wenn ein Produkt am Freitagnachmittag benötigt wird. Die Umsetzung der Fälschungsrichtlinie wird wie schon erwähnt mit hohen Investitionen verbunden sein und fordert die gesamte Branche. Hier muss immerhin ein eingespieltes Netzwerk verändert werden.

Wo liegen hier die Herausforderungen, und was wird die Umstellung kosten?

Vögele: Der Großhandel muss die gesamte Technik umstellen. Es dürfen nur rezeptpflichtige Produkte abgegeben werden, die über definierte Sicherheitsmerkmale verfügen und erkennbar unversehrt sind. Für jedes Produkt müssen wir zudem die Chargennummer aufzeichnen. Wenn wie jetzt 50 Prozent der Kommissionierung vollautomatisch erfolgt, ist das eine enorme Herausforderung. Das Ziel ist, dass man bei Problemen ganze Chargen zurückrufen kann.
Krammer: Die Kosten sind derzeit noch schwer abschätzbar. Das hängt sehr von den Automatenherstellern ab.

Ganz aktuell beherrscht die Apotheken gerade die Entscheidung des EuGH zur Bedarfsprüfung. Welche Auswirkungen hat das für den Großhandel, sollte der Gebietsschutz wegfallen? Es gibt ja auch Beteiligungen von Großhändlern an Apotheken. Würde da nicht der unternehmerische Wert von Apotheken sinken?

Krammer: Es geht hier nicht nur um Beteiligungen, sondern auch um Lieferforderungen. Wenn sich die Rahmenbedingungen verändern, würde das auch die Bonität der Apotheken verschlechtern. Manche Großhändler beteiligen sich nicht, geben Apotheken aber Darlehen und Bürgschaften für Banken.
Vögele: Niemand hat ein Interesse, dass sich die Landschaft völlig verändert. Ich bin überzeugt, dass dem Gesetzgeber eine entsprechende Adaptierung in diesem Sinne gelingen wird. Die Problematik ist allen Beteiligten klar. Sollte sich das System tatsächlich grundsätzlich ändern und die Bedarfsprüfung fallen, bleibt kein Stein auf dem anderen.
Krammer: Das ist ein Szenario, das ich mir gar nicht vorstellen will.

Es gibt auch noch andere Entwicklungen, die die Apotheken mitbetreffen, wie die von Ihnen skizzierten Direktbelieferungen durch die Industrie.

Vögele: Bei der Direktbelieferung durch die Industrie fordern wir ähnlich wie in Deutschland eine Verpflichtung, dass auch jeder Großhändler von der Industrie beliefert werden muss. Das Ministerium kennt das Problem, betont aber, dass man das Arzneimittelgesetz erst ändert, wenn die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu groß wird. Das Problem spitzt sich aber schon jetzt zu, weil immer mehr Produzenten kein Lager mehr in Österreich haben.
Krammer: Der Versandhandel ist dabei sicherlich auch ein Thema. Nimmt er zu, wird er auch eine Gefahr für den Großhandel, weil die Apotheken in größeren Mengen bei der Industrie einkaufen.

Wie sehen Sie die Preissituation bei Medikamenten? Derzeit verhandeln Hauptverband und Industrie ja über einen neuen Erstattungskodex.

Vögele: Hier gilt, was ich schon über die Spannen gesagt habe: Die Leistungsfähigkeit der Unternehmen muss im Sinne der Versorgung erhalten bleiben. Der Großhandel leistet schon jetzt über den Pharma-Rahmenvertrag einen großen Beitrag.
Krammer: Ziel der Gespräche über die Neuordnung des Erstattungskodex sind unter anderem Preissenkungen im generischen Bereich. Das wird aber zu einem Problem für den Großhandel und auch die Apotheken. Wir müssen darauf achten, dass nicht jeder Anreiz für einen Preiswettbewerb vorbei sind. Passiert das, was man jetzt hört, nämlich, dass alle Produkte den Preis des niedrigsten Generikums haben müssen, würde das allein den Großhandel bis zu zehn Millionen Euro kosten. Die Apotheken noch mehr. Das würde auch unsere Mischkalkulation ruinieren. Ich denke, wir sollten für die Logistik und den Transport zumindest so viel bekommen wie die Post für einen Brief. Wir liegen aber schon jetzt darunter.

Zu Gast in der Apotheker Krone

Die ausgebildete Juristin Mag. Dr. Monika Vögele war bis Herbst 2016 stellvertretende Leiterin der Präsidial-, Personal- und Verwaltungsabteilung der Österreichischen Apothekerkammer und ist ab Oktober Generalsekretärin des Großhandelsverbandes PHAGO.
Der gelernte Steuer- und Unternehmensberater Prof. Mag. Heinz Krammer war von 1984 bis 2016 Generalsekretär des Großhandelsverbandes PHAGO.