EuGH kippt Bedarfsprüfung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem aktuellen Erkenntnis die Apothekenbedarfsprüfung in Österreich gekippt und sorgt damit für einen Knalleffekt: Denn dadurch fällt die Existenzgefährdungsgrenze von 5.500 zu versorgenden Personen ab sofort teilweise weg. „Diese Entscheidung ist ein schwerer Schlag für die österreichischen Apotheken und damit für das gesamte Gesundheitssystem“, betont der Präsident des Apothekerverbandes Mag. pharm. Dr. Christian Müller-Uri in einem Rundschreiben an die Apotheker. Und sorgt damit für zahlreiche Debatten.

Nicht zuletzt deshalb, weil die Frage wie das Urteil zu interpretieren ist, zu heftigen Diskussionen führt. „Die Auswirkungen auf das Apothekensystem sind durch dieses völlig überraschende Ergebnis in seiner vollen Tragweite noch gar nicht abschätzbar. Fest steht jedenfalls, dass nach derzeitigem Stand bei allen laufenden und künftigen Verfahren die 5.500-Personen-Grenze keine Anwendung findet“, schreibt Müller-Uri in einer ersten Reaktion: „Wir werden uns daher mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln für eine Neuregelung der Bedarfsprüfung einsetzen. Unser Ziel ist es, eine möglichst bedarfsorientierte Verteilung der Apotheken sicherzustellen.“

Ähnlich argumentiert auch Apothekerkammerpräsident Mag. pharm. Max Wellan in einem Rundbrief: „Wir sind uns des Ernstes der Situation bewusst und arbeiten bereits intensiv mit Verfassungs- und Europarechtsexperten an konkreten Vorschlägen für eine Neuregelung. Vom Gesundheitsministerium wurde uns dazu bereits Unterstützung signalisiert.“ Zwei Tage später dann vorsichtige Entwarnung: die Situation sei doch nicht ganz so dramatisch. Wellan in einem zweiten Schreiben: „Die Bedarfsprüfung für Apotheken bleibt weiterhin aufrecht, die Behörden haben aber nun mehr Flexibilität darin, in bestimmten Fällen Ausnahmen zuzulassen, wenn dies der Versorgung der Bevölkerung dienlich ist.“

Hintergrund der Unklarheit ist eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2014. Damals entschieden die Richter, dass die Bedarfsregelung rechtswidrig sei, weil die Konzessionsvoraussetzung der starren Grenze von 5.500 durch Nachbarapotheken weiterhin zu versorgende Personen keine Unterschreitungsmöglichkeit im Fall örtlicher Besonderheiten vor allem im ländlichen Bereich vorsehe. Die Begründung des Urteils legte den Schluss nahe, dass unter örtlichen Besonderheiten ländliche und abgelegene Gebiete außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken zu verstehen sind, aber die Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen auf städtische Gebiete mit vorhandenen Apotheken weiterhin Anwendung finden kann.

Deshalb hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den EuGH allerdings erneut befasst und um Klarstellung ersucht, ob die Entscheidung auch für städtische Gebiete anzuwenden ist. Der EuGH stellte nun klar, dass es generell und nicht nur auf ländliche und abgelegene Gebiete beschränkt möglich sein muss, von der starren Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen abzugehen.

Weil es dabei lediglich um eine Präzisierung eines Urteils ging, hat der EuGH, anders als sonst üblich, die Republik Österreich zu keiner Stellungnahme eingeladen und keine mündliche Verhandlung abgehalten. Wellan: „Dadurch hatte die Republik Österreich und im Wege der Republik die Österreichische Apothekerkammer auch nicht die Möglichkeit, Klarstellungen, Hintergrundinformationen und Argumente beim EuGH vorzubringen.“ Sein Argument jetzt: Die Richter haben nicht die Grenze als solche aufgehoben, sondern lediglich ermöglicht, dass sie unter besonderen Bedingungen unterschritten werden kann. Das Problem dabei: es ist nicht klar, nach welchen Kriterien die Grenze unterschritten werden darf. Wellan ortet deshalb auch die Gefahr, dass jede Bedarfsprüfung angefochten wird. „Wir versuchen mit dem Ministerium hier rasch Kriterien zu erarbeiten und eine Gesetzesnovelle zu erreichen.“ Erstes Ziel: Ein Erlass des Ministeriums an die Bezirsverwaltungsbehörden als Handlungsanleitung was nun zu tun ist.

Bis zu einer Gesetzesänderung fürchten aber bestehende Apotheken um den durch den Gebietsschutz gesicherten Wert ihres Unternehmens. „Wir brauchen stabile gesetzliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit. Dazu wird es notwendig sein, umgehend einen von Top-Rechtsexperten erarbeiteten und durchdachten Vorschlag für eine Gesetzesänderung vorzulegen und in der Politik durchzusetzen“, fordert der Wiener Apotheker Mag. pharm. Christian Wurstbauer. Die Oberösterreichische-Apothekerkammer-Präsidentin Mag. pharm. Ulrike Mursch-Edlmayr stuft die Situation ebenfalls als „bedrohlich“ ein, begrüßt den Maßnahmenplan der Apothekerspitze und lässt gleichzeitig Kritik anklingen: „Die ursprüngliche EuGH-Entscheidung ist bereits Anfang 2014 gefallen – alle waren korrekt eingebunden.“ Dass nicht nur Landapotheken und abgelegene Regionen betroffenen sind, habe man nicht erkannt. Besorgt zeigt sich auch der Vorarlberger Präsident Mag. pharm. Jürgen Rehak: „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen, dessen Auswirkungen völlig unabsehbar sind.“ Ähnlich der Ybbser Apotheker Werner Luks: „Das ist die heikelste Situation, die ich je erlebt habe. Wir müssen der Politik nun zeigen, was die Apotheken leisten und wie wichtig sie sind.“