Lieferengpässe nehmen deutlich zu

Knapp 100 Meldungen über Lieferprobleme bei Arzneimittel gab es im Vorjahr bei der AGES Medizinmarktaufsicht im Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Miteingerechnet die Probleme um den Blutdrucksenker Valsartan. Heuer liegt die Zahl der Meldungen im ersten Halbjahr bis Ende Juni schon bei 80, zeigt eine Recherche der Apotheker Krone. Engpässe bei Arzneimittellieferungen werden für Apotheker und Ärzte zunehmend zum Problem. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Newsletters „RELATUS PHARM“ in Zusammenarbeit mit der Apotheker Krone. Dabei gaben 72 % der Online-User des Newsletters an, dass sie regelmäßig damit konfrontiert sind. Die EU-Kommission und Hersteller sehen das Problem und haben eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet.

Preisdruck steigt

„Der Hauptgrund für die Entwicklungen bei Lieferengpässen liegt in den Preisen. Sie sind derzeit massiv unter Druck und niedrig. Also wird dort produziert, wo es am billigsten ist. Das führt dazu, dass die Produktionskette heute für alles globalisiert und damit viel anfälliger ist“, sagte zuletzt Mag. Bernd Grabner, der neue aus Österreich stammende Präsident der europäischen Dachorganisation von 750 Vollgroßhändlern. Zuletzt forderte auch PHAGO-Präsident Dr. Andreas Windischbauer Rücksicht der Kassen im Hinblick auf die Preisgestaltung bei Medikamenten: „Gesundheit geht jeden Österreicher etwas an. Wir erleben gerade herausfordernde Zeiten in der Arzneimittelversorgung. Die Lieferengpässe sind ein Problem für uns alle und für den Patienten.“

Bessere Rahmenbedingungen

Auch die Apothekerkammer fordert anlässlich der EU-Wahl die Schaffung von Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene, die eine Stärkung der Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion innerhalb Europas ermöglichen. Damit sollen Liefer- und Versorgungsengpässe weitestgehend verhindert werden. „Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln müssen Maßnahmen gesetzt werden, die Lieferengpässe möglichst verhindern. Derartige Engpässe werden häufig durch Produktionsausfälle, Rohstoffprobleme oder das niedrige Arzneimittelpreisniveau in Österreich verursacht und entwickeln sich immer mehr zu einem europäischen und innerstaatlichen Problem. Eine der Ursachen ist die Verlagerung der Herstellung von Arzneimitteln und Ausgangsstoffen in Drittländer. Hier muss man ansetzen. Die Produktion muss zurück nach Europa“, betonte Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer.

EU ist gefordert

Eine weitere Forderung der Apotheker für die Bildung einer neuen EU-Kommission ist jene nach Aufrechterhaltung einer „Generaldirektion Gesundheit“ innerhalb der EU-Kommission mit Zuständigkeitsbereich Arzneimittelrecht, Berufsrecht der Gesundheitsberufe sowie Medizinprodukterecht. „Das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit stellen das höchste Schutzgut im Wertesystem der Europäischen Union dar. Die Gesundheitspolitik, die Verwaltung des Gesundheitssystems und der medizinischen Versorgung liegen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Die Europäische Union soll die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten fördern und ihre Tätigkeit unterstützen“, führt Kammeramtsdirektor Dr. Hans Steindl aus. Dieser Subsidiaritätsgrundsatz dürfe aber nicht durch Binnenmarktaspekte abgeschwächt werden. Österreich sei der Problematik besonders ausgesetzt, weil es ein kleiner Markt mit tiefen Preisen sei und dieser bei einem globalen Engpass einfach nicht vorrangig versorgt werde, betonte Grabner.

Industrie sucht Lösungen

„Jedes einzelne Medikament, das fehlt, ist eines zu viel“, betont auch Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär des Industrieverbandes Pharmig, im Interview mit der Apotheker Krone. Daher begrüße die Pharmig die von der ehemaligen Gesundheitsministerin angestoßene Initiative des runden Tisches mit dem BASG, an dem alle Partner der Lieferkette zusammenkommen, um Lösungen für Lieferengpässe zu finden. Herzog: „Das Problem ist multifaktoriell und daher komplex. Es geht jedenfalls darum, mehr Transparenz in die Lieferkette zu bekommen, die Meldungen über Nichtlieferfähigkeit auszubauen und insgesamt die Prozesse in der Vertriebskette zu analysieren, da ist auch das Thema des Parallelhandels zu bearbeiten.“ Die pharmazeutischen Unternehmen hätten größtes Interesse, alle zugelassenen Arzneimittel der Bevölkerung immer so rasch als möglich zur Verfügung zu stellen. „In diesem Sinne arbeiten wir in enger Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden an entsprechenden Maßnahmen mit dem Ziel, die hohe Qualität der Versorgung mit Arzneimitteln für die Patientinnen und Patienten sicherzustellen, wobei wir jedenfalls eine gemeinsame Lösung, die von allen Vertriebspartnern getragen wird, bevorzugen“, sagt Herzog.

AUSTROMED fürchtet Brexit

Doch nicht nur der Arzneimittelsektor ist betroffen, sondern auch der Bereich der Medizinprodukte. Hier könnte der Brexit zum Problem werden. Rund 30 % aller Medizinprodukte, die in der EU gehandelt werden – darunter Implantate, Herzschrittmacher und In-vitro-Diagnostika (IVDR) – werden derzeit in Großbritannien zertifiziert. Tritt Großbritannien ohne entsprechendes Abkommen aus der EU aus, verlieren diese Produkte ihre Zulassung und stehen somit nicht mehr auf dem europäischen Markt zur Verfügung. Hinzu kommt die Tatsache, dass das derzeit geltende Regulierungssystem aktualisiert wird und die neue EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR) sowie die neue EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) stufenweise eingeführt werden; sie müssen bis zum 26. Mai 2020 (im Falle der MDR) beziehungsweise bis zum 26. Mai 2022 (im Falle der IVDR) EU-weit vollständig angewendet werden, vermeldet der Branchenverband AUSTROMED. Unterschiede bei den Regulierungssystemen würden die Umsetzung der MDR- sowie der IVDR-Verordnung beeinträchtigen, und die Unternehmen würden sich potenziell mit zwei unterschiedlichen Systemen konfrontiert sehen, was die Versorgungssituation zusätzlich verschärfen würde.

Die AUSTROMED warnt daher vor Versorgungsengpässen und fordert rasche Lösungen auf EU-Ebene. Im Idealfall übernimmt das Vereinigte Königreich das EU-27-Regulierungssystem für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika, einschließlich der entsprechenden sekundären Gesetzgebung und Leitlinien – eine vollständige Konvergenz des Regulierungsrahmens wäre dadurch gewährleistet. „Zentrales Anliegen der AUSTROMED ist die Patienten- und Produktsicherheit“, betont Präsident Mag. Gerald Gschlössl. „An den Produkten selbst ändert sich ja durch den Brexit nichts, lediglich die Bürokratie kommt der Medizinproduktebranche hier in die Quere. Hier ist die Politik gefragt, vor allem im Sinne der Patienten, die sich auf hochqualitative Medizinprodukte verlassen.“