Männerleiden mit 4 Buchstaben: LUTS

Das „Lower Urinary Tract Syndrome“ (LUTS) beschreibt das Beschwerdespektrum der gesamten unteren Harnwege. Man kann die Symptome zu zwei großen Gruppen zusammenfassen:

  • irritative Miktionsbeschwerden: Pollakisurie, Harndrang, vermehrte Nykturie und Dysurie
  • obstruktive Miktionsbeschwerden: schwacher Harnstrahl, verzögerter Miktionsbeginn, Pressen bei der Miktion, unterbrochener Harnstrahl, Nachträufeln, Restharngefühl

Als Auslöser solcher Beschwerden kommen folgende Erkrankungen in Betracht:

  • Krankheiten der Prostata
  • Krankheiten der Harnröhre
  • Krankheiten der Harnblase
  • weitere Ursachen: psychische Faktoren, Polyurie, kardiale Erkrankungen, Lungenerkrankungen

In der Männerwelt beginnen die Prostatabeschwerden ab dem 50. Lebensjahr zu dominieren. Mit dem Alter werden die Folgen des zunehmenden Prostatavolumens spürbarer und am Harnstrahl auch sichtbarer. Um keinen Fehler in der Beratung zu begehen, sollte die Abgabe eines entsprechenden Mittels zu Selbstmedikation nur an Kunden erfolgen, die wegen ihrer urologischen Beschwerden schon einmal beim Arzt waren. Er kann unter anderem den Schweregrad anhand des International Prostate Symptom Score (IPSS) objektivieren:

  • mild (IPSS < 8),
  • mittel (IPSS = 8–19) und
  • schwer (IPSS = 20–35)

Eine Besserung um 3 Punkte hat bereits klinische Relevanz, behandlungswürdig sind Werte > 7. Der Ausschluss eines Prostatakarzinoms ist die wichtigste Differenzialdiagnose, zumal sich die Beschwerdebilder von BPH und Prostatakarzinom überschneiden. Der typische Patient mit Anfangssymptomen ist zwischen 50 und 60 Jahre alt. Oft werden seine Probleme beim Apothekenbesuch erst erkennbar, wenn er sich nach Kürbiskernen erkundigt. Hier sind mit Fingerspitzengefühl der Grad der Obstruktion und die Vertretbarkeit einer Selbstmedikation zu hinterfragen. Spätestens wenn obstruktive Symptome dazukommen, ist die Verschreibung von Finasterid, Tamsulosin oder Alphablocker wie Terazosin oder Alfuzosin eine Notwendigkeit.

Bedeutung der Phytopharmaka

In frühen Stadien der Prostatahyperplasie weisen sie ein sehr gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis auf, denn sie können die irritativen Komponenten des LUTS verbessern. Geeignet sind Extrakte aus den Früchten der Sägezahnpalme (Serenoa repens), aus der Brennnesselwurzel (Urtica dioica radix) sowie Roggenpollen (Secale cereale) oder Kürbissamen (Cucurbita pepo). Allerdings gibt es bislang nur wenige aussagekräftige und ausreichend große Studien, die belegen, dass sich die Symptome dadurch stärker verbessern als unter Placebo. Als am besten belegt gelten Sägezahnpalme und Brennnessel.

Die Krux mit Placebo

Randomised Controlled Trials (RCT) gelten als Goldstandard in der Medizin und verwenden oft Placebogruppen als Vergleichsbasis. Placebo darf selbst keinen Therapieeffekt haben, um eine objektive Vergleichsbasis zu liefern. Stephan Madersbacher, Primarius im Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien, publizierte mit zwei Mitautoren in der Zeitschrift „Urology“ im August 2017 eine interessante Studie. Darin werteten sie 25 RCT mit 12 Monaten Laufzeit und 10.587 Patienten aus.*

Placeboergebnisse: Der IPSS-Wert verbesserte sich unter Placebo in den 12 Therapiemonaten im Mittel um 4,4 Punkte! Selbst nach 12 Monaten variierten die Placebowerte zwischen den 25 Studien erheblich. Die maximale Harnflussrate veränderte sich in den 12 Monaten nicht signifikant.
Verumergebnisse: In der Verumgruppe kam es zum Abfall des IPSS zwischen –0,7 und –6,8 Punkten. Die Einzelwerte sind hier aufgelistet:

  • Pflanzenextrakte (Kürbissamen, Sägepalmenfrüchte, Brennnesselwurzel): –3,6 Punkte
  • Reduktasehemmer (Finasterid): –3,4 Punkte
  • Alphablocker: –4,3 Punkte
  • Botulinumtoxin A: –3,9 Punkte
  • transurethrale Mikrowellen-Thermotherapie: –6,8 Punkte

Daraus folgt, dass die hohen Placeboraten den Nachweis eines Therapieeffektes bei Verum erschweren und Placebo mit 40–60 % zur symptomatischen Wirkung beiträgt. Daher sind Ergebnisse in Studien mit kleinen Behandlungsgruppen und kurzen Zeiträumen mit Vorsicht zu bewerten.

 

* „A Relevant Midterm (12 Months) Placebo Effect on Lower Urinary Tract Symptoms and Maximum Flow Rate in Male Lower Urinary Tract Symptom and Benign Prostatic Hyperplasia – A Meta-analysis“ (DOI: 10.1016/j.urology.2017.05.011).