Mit Probiotika gegen Allergien

Die Mikrobiota ist in der frühen Phase des Lebens essenziell für die Entwicklung des mukosalen Immunsystems. Zu wenig Konfrontation mit Pathogenen beeinträchtigt den Aufbau des darmeigenen Abwehrsystems und kann Ausgangspunkt für spätere Allergien sein. Probiotische Bakterienstämme sind in der Lage, das fehlende Training des Systems zu ersetzen – und können somit für eine Balance zwischen schützenden Immunantworten gegen Pathogene und der Vermeidung von Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber harmlosen Antigenen sorgen.

Am Anfang war die Besiedelung

Die Akquisition der intestinalen Mikrobiota kann durch die mütterliche Mikrobiota, Stillen und genetische Faktoren beeinflusst werden. Mit dem Zeitpunkt der Geburt beginnt die Kolonisierung des Darms mit kommensalen Bakterien und setzt sich kontinuierlich im ersten Lebensjahr fort. Gerade in der frühen Phase des Lebens kann man also besonders viel Einfluss auf die Darmbesiedelung und damit auch auf die Entwicklung des Immunsystems nehmen.1
Bei Patienten mit Allergien wurde nachgewiesen, dass Störungen der Darmimmunologie sowie der intestinalen Mikroökologie vorliegen. Auch die Barrierefunktion in der Darmschleimhaut ist gestört, wodurch es zu einer erhöhten Darmpermeabilität kommt und eine größere Belastung des Immunsystems mit großmolekularen, allergenen Nahrungsbestandteilen und Mikroorganismen kommt.2
Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist es auch bereits möglich, das Allergierisiko aus der Zusammensetzung der Darmbakterien abzuleiten. Allergische Kinder weisen einen höheren Clostridiengehalt auf, dafür besteht die Darmflora aus weniger Bifidobakterien. Kinder mit atopischer Dermatitis weisen einen reiferen Typ der Bifidobakterien auf (B. adolescentis), während gesunde Kinder deutlich mehr B. bifidus in sich tragen. Auch bei den metabolischen Aktivitäten der Bakterien gibt es Unterschiede. Bifidobakterien in allergischen Kindern produzieren bspw. mehr proinflammatorische Zytokine.3

Probiotika kontra Western Lifestyle

Die Vorstellung, durch die Verabreichung von Probiotika die Manifestation allergischer Symptome bei Risikokindern zu verzögern oder ganz zu verhindern, beruht auf der „Hygiene-Hypothese“. Sie besagt, dass in hoch industrialisierten Ländern der Rückgang von Infektionskrankheiten in den letzten Jahrzehnten mit der Zunahme von Allergien assoziiert ist. Der „clean western lifestyle“ fördert die Entstehung von Allergien, weil ein Mangel an infektiologischer Konfrontation besteht (Tierversuche stützen diese Aussage: Keimfrei aufgezogene Labortiere weisen Defekte in der Entwicklung des GALT auf.). Es kommt zu einer Dysbalance zwischen verschiedenen Subtypen regulatorischer T-Lymphozyten. Sie ist durch eine TH2-Dominanz im Immunsystem gekennzeichnet – diese Immunitätslage ist typisch für Allergiker. Die Verabreichung von Probiotika an Kinder während der ersten Lebensmonate soll das Immunsystem anstoßen, eine Immunitätslage zu entwickeln, bei der es zu reduzierter Proliferation von TH2-Helferzellen kommt (was eine Dominanz der TH1-Lymphozyten zur Folge hat).2

Am besten schon in der Schwangerschaft

Je früher, desto besser, lautet das Motto! Klinische Studien zeigen starke Effekte von einigen Bakterienstämmen auf der präventiven Ebene. In einer placebokontrollierten Studie mit 241 Mutter-Kind-Paaren erhielten werdende Mütter, die allesamt an Allergien litten, die probiotischen Stämme L. rhamnosus LPR und B. longum BL999 (LPR+BL999) oder L. paracasei ST11 und B. longum BL999 (ST11+BL999). Die Einnahme erfolgte zwei Monate vor dem erwarteten Geburtstermin und danach während der ersten zwei Monate des Stillens. Beide Kombinationen senkten das Risiko der Kinder, ein Ekzem zu entwickeln, deutlich.4
Damit wurden Ergebnisse einer Studie bestätigt, in der das Risiko eines atopischen Ekzems innerhalb der ersten zwei Lebensjahre signifikant gesenkt werden konnte, nachdem 62 Schwangere 1010 KBE L. rhamnosus GG (LGG) erhalten hatten. Man stellte fest, dass die Menge des antiinflammatorischen Wachstumsfaktors TGF-beta2 in der Muttermilch auf mehr als das Doppelte gesteigert werden konnte.5
In einer anderen Studie erfolgte die Verabreichung von 2×1010 KBE LGG an Schwangere. Sie selbst oder ihre Partner litten an Neurodermitis, allergischer Rhinitis oder Asthma. Die Gabe der Probiotika erfolgte zwei bis vier Wochen vor dem erwarteten Geburtstermin bis sechs Monate nach der Geburt (sofern noch gestillt wurde). Die Follow-up-Phase dauerte bis zum 4. Lebensjahr, wobei einige Kinder die Studie nach zwei Jahren abschlossen. Im Vergleich erkrankten um fast 50 % weniger Kinder an einem atopischen Ekzem.2
Der Verzehr probiotischer Milchprodukte (Milch und Joghurt mit probiotischen Bifidobakterien und Laktobazillen) in der Schwangerschaft führte in der Norwegian Mother and Child Cohort Study zu einer reduzierten Inzidenz des atopischen Ekzems und der Rhinokonjunktivitis in der frühen Kindheit. Verglichen mit Müttern, die keine derartigen Produkte konsumierten (Erhebung mittels Food Frequency Questionnaire), ergab sich ein relatives Risiko (RR) von 0,94 beim Ekzem und von 0,87 bei Rhinokonjunktivitis in den Lebensmonaten 18–36.6

Effekte bei Kindern

Kinder von Allergikern haben ein erhöhtes Risiko, schon im frühen Kindesalter allergische Symptome zu entwickeln. Für diese Risikokinder ist es von Vorteil, wenn eine antiallergische Beeinflussung der Entwicklung des Darmimmunsystems durch Probiotikaverabreichung erfolgt.2 Ass.-Prof. Dr. Gregor Gorkiewicz vom Institut für Pathologie der MedUni Graz sieht im Aufbau des kindlichen Immunsystems durch Probiotika großes Zukunftspotenzial. „Ein derzeit wichtiger Forschungsfokus ist die Suche nach effektiven Probiotika. Denkbar wäre vor allem ein Einsatz nach Kaiserschnitt oder wiederholter bzw. lange dauernder Antibiotikatherapie bei Kindern, denn diese Konditionen sind mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer atopischen Erkrankung korreliert.“
Die Gabe von B. bifidum, B. lactis und L. lactis in der Schwangerschaft und an den Nachwuchs in den ersten zwölf Lebensmonaten senkte in der doppelt verblindeten placebokontrollierten PandA-Studie das Auftreten von Ekzemen. Vor allem die ersten drei Monate der Probiotikagabe dürften eine große Bedeutung für die Prävention haben7.
Eine Kombination von L. rhamnosus 197070-2 und L. reuteri DSM 122460 reduzierte den Score atopischer Dermatitis (SCORAD) bei 1–13-jährigen Kindern mit einem positiven Prick-Test signifikant.3
Erfolg versprechend dürfte auch die Kolonisationsprophylaxe sein. In einer Studie wurden Frühgeborene und Reifgeborene mit dem apathogenen E.-coli-Stamm 083 kolonisiert. 20 Jahre später litten in der Probiotikagruppe 16 % der ehemals Frühgeborenen an einer allergischen Erkrankung, in der Kontrollgruppe jedoch 60 %. Bei den Reifgeborenen litten 22 % der Kontrollgruppe an Allergien, aber nur 11 % aus dem E.-coli-Kollektiv.8

 

Literatur:

1 Quan Toh Z et al., Front Pharmacol 2012, DOI: 10.3389/fphar.2012.00171

2 Schulze J et al., Thieme Verlag 2008

3 Ouwehand AC, J Nutr 2007

4 Rautava S et al., J Allergy Clin Immunol 2012, DOI: 10.1016/j.jaci.2012.09.003

5 Rautava S et al., J Allergy Clin Immunol 2002

6 Bertelsen RJ et al., J Allergy Clin Immunol 2013

7 Niers L et al., Allergy 2009, DOI: 10.1111/j.1398-9995.2009.02021.x

8 Lodinova-Zadnikova R et al., Int Arch Allergy Immunol 2003, PMID: 12876412