Neustart für Reform

Die lange diskutierte und umstrittene Reform der Primärversorgung könnte wieder in weite Ferne rücken – nicht nur wegen des Koalitionsendes durch die ÖVP, sondern auch weil in der Begutachtung ­erneut massive Kritik am Gesetz laut wurde. Multiprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Medizinern und nichtärztlichen Gesundheitsberufen in der Primärversorgung forderten etwa Vertreter der österreichischen Verbände für Psychotherapie, Krankenpflege und der gehobenen medizinisch-technischen Dienste. Das ist zwar eines der Ziele des Gesetzes, aber dort zu wenig verankert.

Die Ärztekammer wiederum hält den Entwurf für „absolut entbehrlich“. Während die Standesvertretung zunächst von wesentlichen Verbesserungen gesprochen hatte, als der Entwurf in die Begutachtung ging, findet sie es nun „zielführender“, den Entwurf „nicht umzusetzen“. Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) kündigte nach den negativen Stellungnahmen neue Gespräche an. Den Schwenk der Ärztekammer führt sie auch darauf zurück, dass sich die Rahmenbedingungen auf Regierungsebene geändert hätten. Die ersten Gespräche bleiben allerdings bereits ohne Erfolge. Die Fronten zeigten sich erneut verhärtet. Rendi-Wagner möchte das Gesetz jedoch noch vor der Wahl beschlossen haben und macht entsprechend Druck.

Abwartend gibt sich hier die Apothekerschaft, die aber Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Um das gute österreichische Gesundheitssystem auf internationalem Spitzenniveau zu halten, seien gut durchdachte Reformen unausweichlich, betont der Präsident des Apothekerverbandes, Mag. pharm. Jürgen Rehak. Der Weg in Richtung Stärkung der Primärversorgung sei richtig – der aktuelle Gesetzesentwurf aber an vielen Stellen mangelhaft. Der Apothekerverband appelliert deshalb an die Politik, Gesundheitsfragen und damit den aktuellen Gesetzesentwurf aus dem Wahlkampf zu nehmen, um ohne Zeitdruck wirklich alle Beteiligten des Gesundheitssystems einzubinden – damit aus einem gut gemeinten Gesetzesentwurf eine gut gemachte und gut durchdachte Gesetzesvorlage entstehen kann. Rehak: „Der vorliegende Gesetzesentwurf hat das richtige Ziel des Ausbaus der Primärversorgung. Es wäre aber schade, wenn das gute Ziel durch eine mangelhafte Umsetzung Schaden erleiden würde. Denn in Fragen des Gesundheitssystems gilt, was auch für Medizin und Pharmazie oberste Priorität hat: Qualität geht vor Geschwindigkeit.“

Die offenbar vielen eingelangten negativen Stellungnahmen sind für den Apothekerverband allerdings ein Ausrufezeichen, dass das PHC-Gesetz gerade in der aktuellen schwierigen politischen Phase nicht als „Hauruckaktion“ beschlossen werden sollte. „Für uns Apotheker steht fest: Die Gesundheit und das Gesundheitssystem eignen sich nicht als Wahlkampfthema. Daher sollte die Entscheidung über das PHC-Gesetz nicht in dieser unsicheren politischen Situation übers Knie gebrochen werden. Die beste Alternative wäre, sämtliche Beteiligten des Gesundheitssystems an einen Tisch zu bekommen, um gemeinsam aus einem gut gemeinten Gesetzesentwurf eine gut gemachte und gut durchdachte Gesetzesvorlage zu entwickeln. Wichtig ist einzig und allein eine Lösung im Sinne der Gesundheit der Österreicher“, sagt Rehak.

Ein zentraler Kritikpunkt des Apothekerverbandes ist, dass das vorliegende Primärversorgungsgesetz die Apotheken als wichtige Partner des österreichischen Gesundheitssystems in Österreich nicht berücksichtigt. „Wir sind überrascht über die Außerachtlassung der Apotheken, denn es sind gerade die Apotheker in Österreich, die in mehr als 1.400 Apotheken mit mehr als 300.000 Kunden täglich wichtige Aufgaben in der Primärversorgung in Österreich übernehmen“, betont Rehak. Die erstklassige und wohnortnahe Gesundheitsberatung, Arzneimittelversorgung und Krankheitsprävention könnten nur die öffentlichen Apotheken leisten, die damit einer der wichtigsten Partner für ein gesundes Leben der Österreicher sind.

Konkret fordert der Apothekerverband eine strukturierte Zusammenarbeit der Primärversorgungszentren mit der oder den örtlichen öffentlichen Apotheken als verpflichtende Anforderung – zum Beispiel auch bei der Teilnahme an Vorsorge-, Screening-Aktionen und integrierten Versorgungsprogrammen. Weiters eine Gewährleistung der Arzneimittelversorgung und des Medikationsmanagements in den Primärversorgungseinrichtungen durch eine oder mehrere örtliche öffentliche Apotheken. Für die Standortplanung der Primärversorgungszentren sollten zudem die Standorte der öffentlichen Apotheken als Orientierung herangezogen werden, denn durch das Bedarfsprüfungssystem seien die Apotheken bereits dort angesiedelt, wo der Bedarf an einer wohnortnahen Versorgung von Bevölkerungsgruppen gegeben ist.