Phytotherapeutika bei ­rezidivierenden Harnwegsinfekten

Der akute unkomplizierte Harnwegsinfekt (HWI) der nichtschwangeren Frau ohne Komorbidität oder funktionelle/anatomische Anomalien innerhalb des Harntraktes dauert üblicherweise weniger als eine Woche und ist zumeist selbstlimitierend. Bei Patientinnen mit leichten bis mittelgradigen Symptomen kann laut der interdisziplinären S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie bei einem unkomplizierten HWI neben der Antibiose auch eine symptomatische Therapie in Erwägung gezogen werden.

Viele Frauen leiden wiederholt an einem HWI. Definitionsgemäß liegt ein rezidivierender HWI (rHWI) vor, wenn eine Rezidivrate von ≥ 2 symptomatischen Episoden innerhalb von 6 Monaten oder ≥ 3 symptomatischen Episoden innerhalb von 12 Monaten vorliegt. Diese Definition eines rHWI gilt sowohl bei prämenopausalen als auch bei postmenopausalen Frauen ohne relevante Komorbidität bzw. Einschränkungen. Bei Schwangeren, Männern und Kindern wird jeder HWI als kompliziert eingestuft.

Therapieoptionen und allgemeine Maßnahmen

Aufgrund der aktuellen Resistenzsituation für Antibiotika (AB) ist die Therapie der Zystitis komplexer geworden. Die seit geraumer Zeit bestehende Problematik der Lieferschwierigkeiten erschwert die Therapie noch zusätzlich, da verfügbare AB einbehalten werden sollten, um für Notfälle zur Verfügung zu stehen.
Eine Alternative zur Antibiose stellt die AB-freie Therapie der akuten sowie rezidivierenden unkomplizierten Zystitis dar, die auch durch die Leitlinien-Empfehlungen unterstützt wird. Dazu zählt die phytotherapeutische Behandlung vor allem bei prämenopausalen Frauen mit häufigem rHWI. Die Vorteile AB-freier Therapiemaßnahmen sind, dass es hierbei weder zur Resistenzbildung noch zur Schädigung des Mikrobioms kommt.

Zur Infektionsprävention können allgemeine Maßnahmen wie Immunstimulation, ausreichende Trink- sowie Urinmenge von ca. 1,5 l/d, Ansäuerung des Harns, Probiotika, Vermeidung von Unterkühlung v. a. der Füße, Miktions-, Genital- und Sexualhygiene, Meidung von Diaphragmen und Spermiziden, vaginale Vorsorgemaßnahmen und Phytotherapeutika empfohlen werden.

Pflanzen haben im Unterschied zu chemisch hergestellten Arzneimitteln eine Vielzahl an Inhaltsstoffen. Arzneipflanzen, die aufgrund ihres Inhaltsstoffspektrums z. B. eine aquaretische Hauptwirkung aufweisen, zeigen meist noch weitere Wirkungen:
Je nach Spezies kommt eine spasmolytische, analgetische, antiphlogistische oder antibakterielle Komponente hinzu. Durch die Kombination mehrerer Arzneipflanzen entstehen Vielstoffgemische, die einen Multi-Target-Effekt bei der effektiven Therapie der Beschwerden eines akuten unkomplizierten HWI erzielen. AB hingegen haben rein bakterizide bzw. bakteriostatische Wirkung.

Phytotherapeutika

Die in der Leitlinie angeführten pflanzlichen Therapiealternativen zur Behandlung des rHWI werden entsprechend ihrer Wirkweise in Hemmstoffe der bakteriellen Adhäsion, Desinfizienzien und Aquaretika unterteilt.

Hemmung der bakteriellen Adhäsion: Cranberrys oder Moosbeeren (Vaccinium macrocarpon, V. oxycoccus) sind die prominentesten Vertreter in dieser Gruppe. Sie enthalten Proanthocyanidine, Polyphenole, Xyloglucan sowie Vitamin C, und in vitro konnte für Cranberrys die Hemmung der bakteriellen Adhäsion sowie der Biofilmbildung gezeigt werden. Zudem haben sie eine antiinvasive Wirkung, verhindern die P-Fimbrien-Expression von pathogenen E. coli und führen zur Stimulation des körpereigenen, immunmodulierenden Uromodulins. Die Studienergebnisse sind allerdings sehr widersprüchlich. Eine aktuelle Studie sieht den Einsatz von Cranberry-Produkten bei Frauen mit rHWI als sinnvoll an. In Österreich sind alle im Handel befindlichen Produkte ausschließlich als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen, was die schlechte Studienlage widerspiegelt.

Desinfizienzien: Vertreter dieser Gruppe von Phytotherapeutika sind z. B. Präparate aus Bärentraubenblättern, Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel. Diese können laut S3-Leitlinie bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau für die Therapie erwogen werden.Der wichtigste Inhaltsstoff der Bärentraubenblätter (Uvae ursi folium) ist Arbutin, ein Hydrochinon-Glucosid, das durch Metabolisierung als freies Hydrochinon seine bakterielle Wirkung in der Blase entfaltet. In Österreich ist auch ein Mischpräparat aus Trockenextrakten von Bärentraubenblättern, Birkenblättern (Betulae folium) und Goldrutenkraut (Solidaginis herba) als registriertes Arzneimittel im Handel.

Weiters werden Kapuzinerkressenkraut (Tropaeolium majus) und Kren- oder Meerrettichwurzel (Armoracia rusticana) empfohlen. Die enthaltenen Senföle, sogenannte Isothiocyanate, wirken antibakteriell, virustatisch und antimykotisch. In einer prospektiven, randomisierten, verblindeten Studie bei Patient:innen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen konnte bei einem Präparat aus Kapuzinerkressenkraut- und Meerrettichwurzel-Pulver eine Senkung der Rezidivrate gezeigt werden.
Da Kapuzinerkressenkraut Vitamin K enthält, ist als wichtige Wechselwirkung jene mit Vitamin-K-Antagonisten zu beachten. Häufige unerwünschte Nebenwirkungen sind Schleimhautreizungen und damit verbundene gastrointestinale Beschwerden.

Aquaretika: Sie fördern die Wasserausscheidung und führen damit zu einer Durchspülung der ableitenden Harnwege (Tab.).

Die Anwendung der Aquaretika erfolgt meist in Form von Tees. Die Trinkmenge von ca. 1,5 l/d sollte nicht überschritten werden, da sonst eine zu starke Verdünnung der körpereigenen bakteriostatisch wirkenden Substanzen wie des Tamm-Horsfall-Proteins oder Cathelicidins in der Blase stattfindet.

Voraussetzungen für den gewünschten Wirkerfolg von Phytotherapeutika sind die Konzentration und Zusammensetzung der wirksamen Inhaltsstoffe. Bei Verwendung von nach dem entsprechenden gültigen Arzneibuch geprüften Teedrogen sind die Qualität und Reinheit sichergestellt.
Zu beachten ist, dass Aquaretika bei Ödemen auf Grund von Herz- oder Nierenerkrankungen kontraindiziert sind. Neben Tees sind in Österreich auch zugelassene bzw. registrierte Aquaretika-Arzneispezialitäten wie z. B. eine Trockenextraktmischung aus Hauhechelwurzel (Ononidis radix), Orthosiphonblättern (Orthosiphonis folium) und Goldrutenkraut im Handel. Es liegen jedoch nur Studien zur Anwendung beim akuten unkomplizierten HWI vor.
Ein weiteres registriertes Arzneimittel enthält die Pulvermischung „BNO 1045“ aus Liebstöckelwurzel/Rosmarin/Tausendgüldenkraut (Levistici radix/Rosmarini folium/Centaurii herba). In einer Nichtunterlegenheitsstudie zeigte BNO 1045 bei der Behandlung des akuten unkomplizierten HWI im Vergleich zu Fosfomycin-Trometamol (3 g) keine relevanten Unterschiede (p = 0,0014). Episoden von Pyelonephritis waren etwas höher als bei AB-Gabe. Bezüglich des Auftretens von Pyelonephritis ist die Studienlage widersprüchlich, da eine retrospektive Kohortenstudie in Deutschland keinen Unterschied beim Auftreten von Pyelonephritis zeigte. Ein deutlicher Vorteil des Phytotherapeutikums zeigte sich in dieser Studie allerdings bei rHWI: Die Rezidivrate bei Gabe des Phytotherapeutikums war signifikant geringer (OR: 0,61, 95%-KI: 0,49–0,88; p > 0,001).