Reflux an der Tara

Die Klassifikation der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) erfolgt nach der Montreal-Definition, wobei zwischen ösophagealen und extraösophagealen Syndromen unterschieden wird. Klassisches „unteres“ Symptom ist das Sodbrennen mit oder ohne saurem Aufstoßen, das täglich oder mehrmals pro Woche auftritt. Darüber hinaus können retrosternale Schmerzen (kardiologische Abklärung!) und Dysphagie auftreten. „Der ‚obere‘ Reflux kann Symptome wie saure und nicht saure Regurgitation, Brennen im Rachen, Refluxlaryngitis (Knödelgefühl im Hals, morgendliches Räuspern, belegte Stimme, Heiserkeit), Reizhusten sowie Asthmaanfälle verursachen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Martin Riegler, Chirurg am Wiener AKH und Leiter des Reflux Medical Diagnose- und Therapiezentrums in Wien. In der Regel treten die Beschwerden nach dem Essen oder in der Nacht auf und sind mit einer deutlich verminderten Lebensqualität vergesellschaftet.
Die Prävalenz von GERD wird in den Ländern der westlichen Welt mit 10–30 % angegeben. 7 % klagen täglich über Reflux-Symptome, 29 % wöchentlich und mehr als ein Drittel weist monatlich Beschwerden auf. Fast die Hälfte der westlichen Bevölkerung kennt Symptome wie Sodbrennen und Aufstoßen, und fast 42 % haben rezidivierende Episoden. 60 % der Betroffenen weisen keine endoskopisch sichtbaren Veränderungen (nichterosive Refluxkrankheit, NERD) auf. Bei 40 % der Fälle finden sich endoskopisch sichtbare Läsionen auf (erosive Refluxkrankheit, ERD). Die steigende Prävalenz der Refluxerkrankung scheint mit der raschen Zunahme der Adipositas (BMI > 25) assoziiert, aber auch ältere Personen sind häufig betroffen.

Komplexe Pathophysiologie

Der Refluxkrankheit liegt eine komplexe, multifaktorielle Pathophysiologie zugrunde, die unterschiedliche physikalische, chemische, immunologische und psychologische Faktoren umfasst. Zugrunde liegen können eine Fehlsteuerung des unteren Ösophagus (Anti-Reflux-Ventil ist undicht), ein erniedrigter Ösophagus-Tonus, eine transiente Relaxationsstörung, eine axiale Gleithernie bzw. eine Störung der propulsiven Peristaltik. Während der Schwangerschaft und bei Übergewichtigen kann ein erhöhter intraabdomineller Druck und bei einer Subgruppe von Patienten auch eine Hypersensitivität des Ösophagus zugrunde liegen. Eine verzögerte Magenentleerung begünstigt ebenso die Entstehung der Refluxbeschwerden.

Vom Barrett-Syndrom zum Karzinom

Circa 20–30 % der Patienten mit Reflux-Symptomatik entwickeln eine Barrett-Mukosa. Diese besitzt ein erhöhtes Krebsrisiko: 0,5 % bis 0,7 % pro Jahr. Also einer von 10 Betroffenen bekommt in 20 Jahren ein Karzinom der Speiseröhre. Dabei handelt es sich um einen äußerst aggressiven Tumor. Die 5-Jahres-Überlebensrate des Adenokarzinoms liegt bei etwa 10–15 %. Die Barrett-Mukosa ist der einzige anerkannte Risikofaktor für die Entstehung eines Adenokarzinoms im unteren Ösophagus. Während die Prävalenz der Refluxkrankheit zwischen den Geschlechtern in etwa gleich verteilt ist, ist beim Barrett-Karzinom ein deutliches Überwiegen des männlichen Geschlechts (ca. 70 %) zu beobachten. Weiters ist beim Barrett-Karzinom eine Zunahme der Häufigkeit mit dem Alter beschrieben.
„Wichtig anzumerken ist, dass 90 % aller Karzinome der Speiseröhre zuvor keine Refluxbeschwerden verursachen. Daher gilt die Empfehlung: Auch ohne Refluxbeschwerden sollen Frauen und Männer ab dem 40. Lebensjahr eine Gastroskopie durchführen lassen, um eine Krebsvorstufe in der Speiseröhre auszuschließen“, macht Riegler aufmerksam. Die Druck- und Reflux-Messung wiederum liefern den Nachweis, dass der Reflux tatsächlich die Ursache der Beschwerden ist. „Außerdem lassen sie erkennen, welche Behandlungsform die individuell zielführendste ist: Medikamente, Lebensstilintervention, Kostumstellung oder eine OP (Fundoplikatio oder magnetisches Band um den Ausgang der Speiseöhre)“, erklärt Riegler und ergänzt: „Liegt eine Krebsvorstufe in der Speiseröhre vor, können die betroffenen Stellen der Mukosa im Rahmen einer sanften Gastroskopie, bspw. mittels HALO-Radiofrequenzablation, entfernt werden. Die Dauer des in Narkose durchgeführten Eingriffs beträgt lediglich 10–15 Minuten.“

Wichtige Lebensstilinterventionen

Reflux entsteht aufgrund des abendländischen Lebensstils. Deshalb: bei unkomplizierter gastroösophagealer Reflux-Symptomatik ist häufig das Ausschalten der Risikofaktoren bzw. eine Ernährungsumstellung symptomlindernd. Als Allgemeinmaßnahmen gelten Nikotinkarenz, das Vermeiden von Alkohol, fettreichen und scharf gewürzten Speisen sowie von großen Nahrungsaufnahmen. „Nicht zu viel auf einmal essen, besser mehrere kleine Mahlzeiten (z. B. 6–8 kleine Mahlzeiten) über den Tag verteilen“, empfiehlt Riegler. Als sehr effizient habe sich das Anti-Reflux-Ernährungskonzept erwiesen, das einen vollständigen Verzicht auf Speisen und Getränke mit konzentriertem Zucker bedeutet und einen bestimmten Rhythmus der Speiseneinnahme vorsieht. „Nach Mahlzeiten ist Bewegung wichtig, etwa ein Spaziergang. Generell ist diesen Patienten regelmäßige Bewegung und Sport anzuraten“, so Riegler. Auch Basismaßnahmen wie schlafen mit erhöhtem Oberkörper (um 10–20 cm) und Gewichtsreduktion sind durch Studien gesichert und können jedem Patienten bzw. Apothekenkunden empfohlen werden. Hilfreich ist zudem das Meiden von enger Kleidung und von Spätmahlzeiten. Alarmsymptome, die zu einer Verweisung an den Arzt führen sollen, sind u. a. Gewichtsverlust, nächtliches Schwitzen, Kopfschmerzen, Durchfall, Lungen und Herzerkrankungen.

Medikamentöse Optionen

Aufgrund der hohen Rezidivrate von GERD benötigen viele Patienten eine medikamentöse Dauertherapie. „Diese sollte NIE ohne 1–2-jährliche endoskopische Überwachung durchgeführt werden“, macht Riegler aufmerksam.

Antazida und Schichtgitterantazida sorgen bei sporadischen Beschwerden für Beschwerdelinderung durch Neutralisation des Magensaftes und können zusätzlich einen Schutzfilm auf der Schleimhaut bilden. Die Einnahme soll eine Stunde nach den Hauptmahlzeiten und vor dem Zubettgehen erfolgen. Die Behandlung soll 14 Tage nicht überschreiten. Von Vorteil ist der rasche Wirkeintritt, nachteilig ist jedoch die kurze Wirkdauer von etwa 20–30 Minuten. Zur Verfügung stehen unter anderem die Wirkstoffe Magaldrat, Calciumcarbonat in Kombination mit Magnesiumcarbonat und Hydrotalcit. Natriumalginat wiederum wirkt physikalisch – wie ein Floß – als Säurebarriere. Die Wirkung ist ausschließlich auf den Magen beschränkt. Es kommen 2–4 Tabletten nach den Mahlzeiten und vor dem Schlafengehen zur Anwendung. Andere Medikamente sollen vorher oder 20 Minuten später eingenommen werden. Die Vorteile sind ein rascher Wirkbeginn nach 4 Minuten und eine Wirkdauer von 4 Stunden sowie die physikalische lokale Wirkweise ohne Resorption und die Einsetzbarkeit während Schwangerschaft und Stillzeit.

Alternativtherapeutisch und unterstützend kommen vor allem Schüßler Salze (Natrium phosphoricum) zum Einsatz. Großer Beliebtheit erfreut sich auch der unterstützende Ausgleich des Säure-Basen-Haushalts mit Basenpulver.
Mit den Basismaßnahmen, Antazida und Natriumalginat finden rund 80 % der Apothekenkunden das Auslangen.
Bleiben die Beschwerden bestehen, können Protonenpumpeninhibitoren oder H2-Rezeptor-Blocker effiziente Abhilfe schaffen. Die Dauer der Akuttherapie bei GERD beträgt meist 4–12 Wochen.

Protonenpumpeninhibitoren (PPI) führen zu einer wirksamen Hemmung der H+/K+-ATPase (Protonenpumpe) in den Belegzellen des Magens und dadurch zur effektiven Reduktion der Magensäureproduktion. Sie sind laut Leitlinien das Mittel der Wahl. Bei ERD kann nach 12 Wochen bei fast 90 % aller Patienten und bei NERD bei 40–50 % eine signifikante Symptomverbesserung erreicht werden. Die Einnahme soll in einfacher (ERD) bzw. doppelter Standarddosierung (NERD) einmal täglich auf leeren Magen (30 Minuten vor dem Frühstück) für zunächst 14 Tage erfolgen. Von Vorteil ist die lange Dauer der Suppression mit bis zu 24–48 Stunden. Nachteilig sind die Dauer des Wirkbeginns (nach etwa 1,5 Std.), Leberveränderungen nach Langzeiteinnahme und ein Vitamin-B12- sowie Mineralstoffmangel (v. a. Magnesium). Das Auftreten eines Rebound-Effekts nach Beendigung der Behandlung sowie die Assoziation mit einem erhöhten Hüftfrakturrisiko sind noch Gegenstand der Diskussion.
„WICHTIG: PPI ändert die Säurewert vom Reflux, nicht aber den Reflux per se“, so Riegler.

H2-Rezeptor-Blocker wie Ranitidin führen zu einer Säuresuppression um rund 70 % und zu einer guten Beschwerdekontrolle bei 80 % der Patienten. Die Einnahme von maximal zwei Tabletten pro Tag soll zwei Wochen nicht überschreiten. Von Vorteil ist die längere Wirkdauer im Vergleich zu Antazida, von Nachteil die Unterlegenheit hinsichtlich der Wirksamkeit gegenüber PPI.
„WICHTIG: H2-Rezeptor-Blocker ändert den Säurewert vom Reflux, nicht aber den Reflux per se“, so Riegler.

Quellen:
• Lenglinger J et al., Eur Surg 2008; 40/4:165–175
• Lenglinger J et al., Wien Klin Wochenschr 2013; 125(19–20):577–90
• Ringhofer C et al., Wien Klin Wochenschr 2008; 120/11–12:350–359
• Mesteri I et al., Eur Surg 2012; 44:366–382 und Eur Surg 2012; 44:304–313
• „Reflux-Ösophagitis und Barrett-Karzinom: Screening – Surveillance – Therapie“, Prim. Univ.-Doz. Dr. Andreas Püspök, Universum Innere Medizin 1/14
• „Zunahme der Reflux-Erkrankung: Beleuchtung der pathophysiologischen Hintergründe“, Priv.-Doz. Dr. Alexander R. Moschen PhD, Universum Innere Medizin 8/2013
• „Gastroösophageale Refluxerkrankung“, Univ.-Prof. Dr. Christian Madl, klinik 04/2012
Medikationsmanagement: Gründe für Therapieversagen
  • mangelnde Compliance
  • falscher Einnahmezeitpunkt
  • verzögerte Magenentleerung: intragastrale Akkumulation von Refluxat, Auflösung des Schutzmantels und Inaktivierung des PPI durch Säure
  • viszerale Hypersensibilität: Schmerzmodulation durch Gabe von Serotonin-Reuptake-Inhibitoren oder trizyklischen Antidepressiva
  • REFLUX IST NICHT DIE URSACHE FÜR DIE BESCHWERDEN, ergo: Druck- und Reflux-Messung durchführen lassen!