Update Mikrobiom

Das Mikrobiom des Menschen kann man getrost als Wunderwerk der Natur bezeichnen. Besonders in der intestinalen Flora stecken noch viele unerforschte Geheimnisse, aber immer mehr werden gelüftet. Die Gesamtorganismenzahl der intestinalen Mikrobiota liegt Schätzungen zufolge bei etwa 1014 Mikroorganismen. Sie übersteigt damit die Zahl der Körperzellen um das Zehnfache. Der Darm ist somit ein wunderbares Habitat für Bakterien. Rund 400–500 Arten werden darin beherbergt, wobei 30–40 Spezies bis zu 99 % der bakteriellen Zellmasse ausmachen. Im Magen und im Duodenum ist die bakterielle Besiedelung mit 103 KBE/ml noch verhältnismäßig gering. Im Jejunum und im Ileum nehmen Besiedelung und Artenvielfalt bereits zu (104–108 KBE/ml). Die höchste Dichte wird schließlich im Kolon erreicht.1
In der Dickdarmflora findet man hauptsächlich anaerobe Bakterien der Gattung Bacteroidetes. Weitere Anaerobier sind Bifidobakterien, Laktobazillen, Eubakterien und verschiedene Kokkenarten. Maximal ein Prozent des Darmmikrobioms sollte aus aeroben und fakultativ anaeroben Arten bestehen. Lediglich 0,01 % und weniger entfallen in der Regel auf Clostridien, Staphylokokken, Proteusarten und Pseudomonaden sowie einige Hefen.1

Erstbesiedelung bei Geburt

Der Fötus kommt bereits im Mutterleib erstmals mit Bakterien in Kontakt.2 Die eigentliche Besiedelung des Darms beginnt dann aber erst mit der Geburt. Bei der Passage der Geburtswege schluckt das Neugeborene Keime aus der mütterlichen Vaginal- und Fäkalflora. Die ersten nachweisbaren Mikroorganismen sind Escherichia coli, Enterobakterien und Streptokokken. Die aeroben Keime verursachen ein sauerstoffreiches Milieu. Dieses ist die Voraussetzung für die nachfolgende Ansiedlung von obligat anaeroben Mikroben. Dieser Prozess entfällt für Kinder, die per Kaiserschnitt geboren werden. Daher erhalten sie zunächst eine unnatürliche Darmflora, die der mütterlichen Hautflora entspricht. Im Säuglingsalter kommt den Nahrungsfaktoren eine wichtige Rolle bei der bakteriellen Besiedelung zu. Mittlerweile lässt sich aufgrund des Besiedelungsmusters feststellen, ob ein Kind mit Muttermilch gestillt oder mit Ersatzprodukten gefüttert wird. Gestillte Kinder weisen im Dickdarm nach den ersten Wochen hauptsächlich Bifidobakterien und Laktobazillen auf. Die produzierte Milchsäure führt zu einer Senkung des intestinalen pH-Werts, die es pathogenen Bakterien erschwert, sich anzusiedeln. Im Gegensatz dazu weisen mit Fläschchen gefütterte Kinder eine Darmflora auf, die bereits jener von Erwachsenen recht ähnlich ist. Das junge Darmmikrobiom wird auch zum ersten „Trainingsplatz“ für das Immunsystem, weil der Organismus an den ersten Darmkeimen seine Abwehrfunktionen gleichsam üben kann.3 Eine Stabilisierung der intestinalen Flora wird erst mit dem Erwachsenenalter erreicht. Obwohl es immer wieder zu kleinen Verschiebungen kommt – mit teilweise erheblichen Auswirkungen –, ist die Mikroflora als stabil zu bezeichnen.1

Mittlerweile wurde eine Vielzahl an gesundheitsrelevanten Funktionen der Wechselwirkungen zwischen Wirtsorganismus und dem intestinalen Mikrobiom nachgewiesen.

Ein interessantes Forschungsgebiet ist beispielsweise die Darm-Hirn-Achse. Der Verdauungstrakt sendet enorm viele Signale an das Gehirn. Im Vordergrund des Forschungsinteresses stehen dabei aber nicht nur bewusste Empfindungen wie Hunger, Sättigung, Schmerz und Stuhldrang, sondern auch emotionale, affektive und kognitive Vorgänge. Psychosozialer Stress führt über autonome und neuroendokrine Signalwege unter anderem zu einer Erhöhung der Darmpermeabilität und zu einer Störung des Darmmikrobioms. Veränderungen in der Konnektivität und Funktion von Gehirnregionen, Bauchschmerzen, Reizdarm, Anorexie und sogar Depressionen können die Folge sein. Es existiert umgekehrt auch eine Hirn-Darm-Achse, ein Informationsaustausch erfolgt also in beide Richtungen.4 Diese bidirektionale Verbindung unterliegt mehreren Einflussfaktoren, etwa der täglichen Ernährung, aber auch der Zufuhr von probiotischen Produkten.

Achsen zu Gehirn und Leber

Für die Funktionen des Immunsystems – auch außerhalb des Darmes – dürften Darmbakterien eine wichtigere Rolle spielen, als man dachte. Sie stehen nämlich in enger Wechselwirkung mit dem mukosalen Immunsystem. Dieses sorgt dafür, dass das Immunsystem nicht mit einer systemischen Entzündung auf Darmbakterien reagiert, solange diese nicht die Darmbarriere überwinden.2 Weiters existiert ein funktioneller Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und der Leber durch den Übertritt von bakteriellen Produkten und anderen Signalmolekülen über die Pfortader in die Leber. Man spricht dabei auch von der Darm-Leber-Achse.5 Auch hinsichtlich Gewichtskontrolle haben Darmbakterien einen entscheidenden Einfluss. Im Idealfall sollten sich Bacteroidetes und Firmicutes im Darmmikrobiom quantitativ die Waage halten. Bei übergewichtigen und adipösen Menschen ist dieses Gleichgewicht jedoch zugunsten der Firmicutes verschoben. Als Folge davon werden nichtverwertbare Nahrungsbestandteile nunmehr energetisch verwertet, zum Beispiel Ballaststoffe.6 Man vermutet mittlerweile, dass Menschen in nördlichen Regionen prinzipiell mehr Firmicutes in sich tragen als Menschen im Süden. Je nördlicher der Breitengrad, desto stärker nimmt Untersuchungen zufolge der Anteil an Bacteroidetes ab.7 Aus Sicht der Natur macht dies durchaus Sinn, um Menschen in polaren Regionen besser vor der Kälte zu schützen. Darmbakterien wissen eben noch nichts von Holzöfen und Heizungen.

 

 Literatur:

1 Hahn A et al., Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2016

2 Blaut M, Ernährungs Umschau 2015

3 Mörixbauer A, ernährung heute 2016

4 Holzer P, UIM 2015

5 Stadlbauer-Köllner V, UIM 2015

6 DiBaise JK et al., Am J Gastroenterol Suppl 2012

7 Suzuki TA et al., Biol Lett 2014