Versandhandelskrieg droht jetzt zu eskalieren

Mit dem neuen Versandangebot „Amazon Pharmacy“ für verschreibungspflichtige Medikamente heizt der weltgrößte Onlinehändler den Wettbewerb im Pharmabereich massiv an und bringt auch Pharmakonzerne unter Druck.
Amazon bietet seit Dienstag in den USA beim Kauf von Medikamenten über die Website oder App Preisvergleiche an. Zudem können Kunden zwischen einer Zuzahlungsoption für Versicherte sowie einem für Prime-Mitglieder rabattierten Angebot wählen, wenn die Medikamente privat ohne Versicherung bezahlt werden sollen. Amazon hatte 2018 die Online-Apotheke Pillpack übernommen und sich in den vergangenen zwei Jahren mehr staatliche Lizenzen für den Versand von ärztlichen Verordnungen in den USA gesichert. Die Apotheker Krone sprach dazu mit dem Handelsexperten Dr. Anton ­Salesny.

Wie sehen Sie die jüngste Gründung einer eigenen Versandapotheke durch Amazon?

Hon.-Prof. (FH) Dr. Anton Salesny: Amazon steht für professionelle und optimierte Prozesse und verfügt über hohe Logistikkompetenz – was zweifelsohne für Medikamente von höchster Relevanz ist. Bereits die am österreichischen Markt befindlichen Versandhändler wie etwa Shop Apotheke agieren sehr professionell und wachsen stark. Amazon ist aber noch einmal eine andere Liga. Wenn ich heute in bestimmten Regionen Österreichs bis 20.00 Uhr bestelle, ist die Lieferung am nächsten Tag da. Auch wenn die Umsätze von Onlineapotheken steigen, ist die stationäre Apotheke weiterhin erste Anlaufadresse. Aber Achtung: Es ist kurz vor 12! Antworten auf die Entwicklung dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden, und große Player besetzen wesentliche Marktanteile schneller, als man denkt.

Die Standesvertretung der Apotheker diskutiert seit Jahren mögliche Antworten auf die Versandkonkurrenz. Gemeinsame Lösungen gibt es trotz mehrerer Anläufe nicht. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Gerade Kooperationen sind hier besonders wichtig, denn wenn große Player einmal den Markt beherrschen, wird es für kleinere Anbieter immer schwieriger, sich am Markt zu etablieren. Zentral ist, dass es eine ganzheitliche Lösung braucht, die man auch mit Zahlen belegen kann – nicht nur mit Bauchgefühl. Oft fehlen aber valide Daten. Shop Apotheke etwa hat schon jetzt einen gewichtigen Onlineanteil für sich besetzt. Eines ist klar: wenn ich online Produkte anbiete, setze ich mich auch einer erhöhten Preistransparenz aus. So muss man sich daher die Frage stellen, ob und unter welchen Rahmenbedingungen es sinnvoll ist, online zu verkaufen. Zweifelsohne ist eine Differenzierung, etwa durch eigene Produktlinien, eine Möglichkeit, dem Preisdruck entgegenzuwirken.
Die echte Konkurrenz ist hier nicht die Apotheke von nebenan, sondern der internationale Anbieter. Bezogen auf Amazon Pharmacy denke ich nicht, dass demnächst mit einem Markteintritt zu rechnen ist. Amazon ist gerade in den USA gestartet und hat hier ausreichend Potenzial, um zu wachsen. Wir sehen aber schon heute eine hohe Anzahl internationaler Anbieter, die versuchen, sich am österreichischen Markt zu etablieren. Und wir haben schon in anderen Bereichen gesehen, wie schnell sich ein Marktumfeld verändern kann. So fließt etwa heute ein Großteil der Internetausgaben im B2C-Bereich ins Ausland ab.

Der Apothekerverband plant eine Plattform mit Minishops mit etwa 300 der insgesamt 1.400 Apotheken und diskutiert, Hauszustellung im Umkreis von 20 km für Apotheken zu ermöglichen. Was sagt der Handelsexperte dazu?

Das flächendeckende Netz der Apotheken vor Ort ist ein großer USP – sie sind stationär und nahe am Kunden. Eine Hauszustellung rezeptpflichtiger Medikamente bietet aus Sicht des Kunden sicher einen Mehrwert. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die logistische Herausforderung nicht unterschätzt werden darf. Zusätzlich ist zu bedenken, inwiefern so eine Entscheidung unter Umständen anderen Unternehmen – die nicht vor Ort sind – ebenfalls die Möglichkeit bietet, diese Serviceleistung anzubieten und so die stationären Apotheken damit unter Druck geraten. Man sollte sich als Branche nicht streiten – denn über einem sitzt ein Gegner, der in anderen Dimensionen denkt und sich darüber freut. Man muss deshalb aufpassen, dass man sich nicht gegenseitig im kleinen Markt wehtut und übersieht, dass es einen größeren Gegner gibt.

Was raten Sie den Apothekern und ihren Standesvertretern?

Wichtig ist, die Nähe zum Kunden nicht zu verlieren, sondern auszubauen. Wenn es nur um den Preis geht, hat der Onlinehandel schon gewonnen. Es gibt in diesem Setting zwei unterschiedliche Typen von Kunden: Kunden, denen persönliche Beratung wichtig ist, und Kunden, die Wiederkäufer sind und genau wissen, was sie möchten. Bei Wiederkäufern spielt zweifelsohne neben Sicherheit – Stichwort: mögliche gefälschte Medikamente – der Preis eine wesentliche Rolle. Eine Herausforderung für Onlineapotheken sind vor allem jene Kunden, denen Beratung wichtig ist. Medikamente zählen zu jenen Produkten, bei denen Konsumenten tendenziell weniger auf den Preis achten. Es geht vor allem um ­Sicherheit und Wirkung. Die Chance besteht also in der Intensivierung der bereits vorhandenen Kundenbeziehung. Das heißt: Mehrwerte schaffen, indem auf die Bedürfnisse der Konsumenten eingegangen wird. Zusätzliche Serviceleistungen anbieten. Differenzierung durch eigene Produktlinien – Tees, Salben, aber auch magistrale Zubereitung – und kontinuierliche Erweiterung mit Warengruppen, die Konsumenten nachfragen; wobei hier Trends wie Regionalität, Nachhaltigkeit und „Bio“ zusätzlich den Preisdruck senken und daher besonders relevant sind. Auch die Gestaltung des Verkaufsraumes ist wichtig. Modernes und ansprechendes Design der Verkaufsräume – offene Gestaltung und Einsatz natürlicher Materialien – sind hier zu nennen. Gerade die Stärken müssen kommuniziert werden. Dazu gehört die Expertise des Personals, die Nähe zum Kunden und die 24/7-Verfügbarkeit. Wenn Apotheker nur standardisierte Produkte verkaufen, werden sie austauschbar. Der Mehrwert muss für den Kunden leicht erkennbar sein, und da ist oftmals auch Kreativität gefragt.