Wann ist die rote Linie erreicht?

Die Nachricht schlug im Frühjahr ein wie eine Bombe. War die vom Gesundheitsministerium geplante Gesetzesnovelle zur Neuregelung des Erstattungskodex zuerst noch am Widerstand der ÖVP gescheitert und auf weitere Gespräche gesetzt worden, ging es Ende März sehr rasch: SPÖ und ÖVP nutzten eine rein technische Änderung im ASVG dazu, um das Vorhaben mittels Abänderungsantrag im Schnellverfahren durch das Hohe Haus zu bringen – zum Entsetzen der gesamten Arzneimittelbranche, die seit einem Jahr einen neuen Erstattungskodex ergebnislos verhandelt hatte. Kern des Gesetzes: Künftig wird es in Österreich auch für Medikamente, die nicht im Erstattungskodex der Krankenkassen gelistet sind, eine Preisobergrenze geben. Neue teure Medikamente dürfen in Österreich grundsätzlich nicht mehr als im EU-Schnitt kosten. Zudem werden die Preisregelungen für Generika adaptiert und ähnliche Regelungen für Biosimilars fixiert.

Der Hintergrund: Nach Abschluss des Rahmenvertrages im Vorjahr hat es laufende Gespräche zwischen den Kassen und der Pharmaindustrie gegeben. Beide Seiten haben damals definiert, dass die Reform „angemessen und in beiderseitigem Einvernehmen“ erfolgen soll. Davon scheint nun keine Rede mehr zu sein. „Wir sehen die Einigung zwischen SPÖ und ÖVP zur ASVG-Novelle äußerst kritisch. Eine derart wichtige Gesetzesmaterie ohne fundierte Diskussion durchzupeitschen, ist ein Tiefpunkt des österreichischen Parlamentarismus“, kommentierte Dipl.-Kfm. Manuel Reiberg, Präsident des Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI) im Frühjahr die Beschlussfassung im Nationalrat. Ergänzend zum Solidarbeitrag in Höhe von 125 Millionen Euro, den die Industrie auf Basis des Pharma-Rahmenvertrages für 2016 freiwillig an die Krankenkassen leistet, entstehe nun zusätzlicher Preisdruck. Reiberg: „Das könnte eine Preisspirale nach unten in Gang setzen, die langfristig die Versorgungssicherheit und den Zugang zu innovativen Arzneimitteln gefährdet.“

Ähnlich argumentierte Dr. Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig: „Die Krankenkassen leben in einer Welt der alternativen Fakten, und leider finden sie mit ihren überzogenen Forderungen immer wieder Gehör bei der Politik.“ Derartige massive Eingriffe in das bestehende Erstattungswesen seien für die Krankenkassen keineswegs erforderlich. „Die Arzneimittelausgaben sind 2016 gerade einmal um 2,9 Prozent gestiegen und liegen damit im politisch akkordierten Korridor von drei bis vier Prozent.“ Der Hauptverband bestelle sich bei der Politik ein Gesetz, ohne dass auch nur im Geringsten eine Notwendigkeit dafür bestünde.

Dr. Josef Probst, Generaldirektor im Hauptverband der Sozialversicherungsträger wies die Kritik zurück. Er sieht die Lösung als „vernünftigen Kompromiss“, man müsse aber die Entwicklungen immer kritisch verfolgen, sagte er im Interview mit der Apotheker Krone. Der EKO habe seit 2005 gut gedient, in der Zwischenzeit hätten sich aber die Dinge verändert, und man habe im Rahmen-Pharmavertrag vereinbart, die Erstattung bis Mitte 2016 neu zu regeln. Die Frist sei verstrichen. Probst: „Es gibt Studien, dass wir zwischen sechs und 16 Prozent über dem europäischen Listenpreis bezahlen. Es ist unsere Pflicht gegenüber den Versicherten, dass wir mit den Geldern sorgsam umgehen und dazu gehört, dass wir keine Fantasiepreise bezahlen.“ Die Pharmaindustrie sei die profitabelste Branche weltweit und durch viele legistische Regelungen wie etwa Patente geschützt. „Wo es uns erlaubt ist, Marktmechanismen einzusetzen, werden wir das auch im Sinne der Patienten tun“, sagt Probst.

Protest kam auch von der PHAGO, dem Verband der österreichischen Arzneimittel-Vollgroßhändler: „Wir sind somit das Rückgrat der Arzneimittelversorgung. Die Neuregelung der Preise für erstattungsfähige Medikamente bedeutet in der Realität, dass ein derzeit gut funktionierendes Versorgungsnetz auf Kosten der Patienten gefährdet wird“, sagte PHAGO-Präsident Dr. Andreas Windischbauer. Bereits jetzt liege die Großhandelsspanne für die Hälfte aller ausgelieferten Krankenkassenpackungen unter den Portokosten eines Standardbriefes von 68 Cent. Der Arzneimittel-Vollgroßhandel könne seinen gesetzlich auferlegten Versorgungsauftrag nicht mehr aufrechterhalten, wenn seine Spannen noch weiter sinken, warnt Windischbauer.

Betroffen sind auch die Apotheker, die nun mit 1. Oktober mit Preissenkungen auf rund 1.000 Medikamente konfrontiert sind. Denn mit diesem Datum müssen alle Medikamente, die bereits alle Generikapreisstufen durchlaufen haben, preislich in einem Korridor platziert werden, dessen Obergrenze maximal 30 Prozent über dem Preis des billigsten Generikums liegt. In den vergangenen Tagen haben nun Apotheken die schlechten Nachrichten auch in Form von neuen Preislisten diverser Pharmafirmen erhalten: Rund 13 Prozent aller im EKO gelisteten Produkte werden preisgesenkt.

„Um die Auswirkungen der Preisreduktionen auf Ihr Jahresergebnis so gering wie möglich zu halten, empfehlen wir in Bezug auf die betroffenen Arzneimittel folgende Vorgangsweise: Bestmögliche Reduktion und Abverkauf des vorhandenen Lagerbestandes vor dem 1. Oktober. Bei großem Lagerbestand: Kontaktaufnahme mit Herstellerfirma, um eine Vergütung zu vereinbaren“, schreibt der Apothekerverband in einem Rundschreiben. Verbandspräsident Mag. pharm. Jürgen Rehak ärgert sich auch wie die Industrie über die Vorgangsweise – die Apotheker seien zudem nicht in die Gespräche eingebunden gewesen. „Zu guter Letzt dauerte es Monate, bis wir über den tatsächlichen Umfang der Preissenkungen informiert wurden. Damit werden die Apotheken – trotz gleichbleibender, hoch qualitativer Leistung im Rahmen der Arzneimittelabgabe und steigender Betriebskosten – wieder einmal als Kollateralschaden zur Melkkuh der Nation gemacht!“, schreibt er in einem Rundschreiben und formuliert: „Real ist jetzt die rote Linie erreicht!“

Die aktuellen Preissenkungen seien nur der letzte von zahlreichen wirtschaftlichen Angriffen auf die Apotheken in den vergangenen Jahren. „Diese permanente Schwächung können wir als wesentlicher und verlässlicher Partner in der Arzneimittelversorgung nicht mehr wortlos hinnehmen. Nach jahrelanger nobler Zurückhaltung ist es jetzt an der Zeit, eine rote Linie zu ziehen: Jede weitere Verschlechterung der Ertragslage für die Apotheke wird zwingend zu Einschränkungen der vielen von der Apotheke selbstverständlich erbrachten Leistungen führen.“

Der Verband will zudem neue Lösungen mit den Kassen verhandeln: „Da das Aufschlagssystem für Arzneimittel, welches über viele Jahre sehr gute Dienste geleistet hat, einen wesentlichen Beitrag an der aktuellen Misere der Finanzierung der Apotheken hat, ist es in Teilen in Frage zu stellen.“ Entsprechende Verhandlungen mit Sozialversicherung und Gesundheitsministerium müssten folgen. Rückendeckung kommt von der Industrie: Falsches Sparen bei Arzneimitteln sei ungesund, argumentiert Huber: „Derzeit ist Österreich ein Land, in dem die Patienten die bestmögliche Versorgung zur Verfügung haben.“ Das unausgewogene Gesetz gefährde diese sehr gute Versorgung.