Zentrale Fortbildungsveranstaltung 2012: Neues am Markt

Hepatitis-C-Therapie: ein Update

„Seit 2011 sind nun zwei neue Substanzen am Markt, welche eine chemische Meisterleistung darstellen“, betonte Spreitzer. Dies rechtfertige auch den hohen Preis. Die Wirkstoffe Boceprevir und Telaprevir hemmen die Hepatitis- C-Virus-Replikase (NS3/4A-Protease) und erhöhen laut groß angelegter Phase-III-Zulassungsstudien die Heilungsrate signifi kant. Die ADVANCE-Studie zeigte Ergebnisse von 79 % Heilungsrate bei Verabreichung von Telaprevir vs. 46 % Heilungsrate in der Placebogruppe. Kombiniert wurden hierbei PEG-Interferone mit Ribavirin und Telaprevir beziehungsweise einem Placebo. Studien mit Boceprevir zeigen ähnliche Erfolge. „Die Nebenwirkungen wie Anämie, Müdigkeit und Geschmacksstörungen sind nicht zu unterschätzen“, erklärte Spreitzer. Boceprevir ist ein Zytochrom-P3A4/5-Hemmer und könne zu Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln führen. Eine Therapie des Hepatitis-C-Virus ohne Interferone sei eine Zukunftsvision.

Diabetesoptimierte Behandlungen

Insulin und Glukagon werden durch Inkretine reguliert. Der Inkretineffekt beschreibt das Phänomen der erhöhten Insulinausschüttung bei peroral verabreichter Glukose im Vergleich zu intravenös verabreichten Zuckerlösungen. Da die Inkretinfreisetzung beim Diabetiker gestört ist und es somit zu postprandial ungebremsten Blutzuckerspiegeln kommt, macht der Einsatz von Inkretinmimetika durchaus Sinn. Die Inaktivierung der Inkretine erfolgt durch die Dipeptidylpeptidase. So entwickelte man Dipeptidylpeptidase- 4-Hemmer (DPP-4-Hemmer), welche den enzymatischen Abbau des GLP-1 inhibieren. Das Glucagon-like peptid-1 (GLP-1) kann therapeutisch nicht genutzt werden, da die Halbwertszeit lediglich wenige Minuten beträgt.

Exenatid und Exendin

Das 2007 erstmals auf den Markt gebrachte Inkretinmimetikum Exenatid musste 2-mal pro Tag verabreicht werden. 2011 kam nun ein Derivat auf den Markt, das nur mehr einmal pro Woche verabreicht werden musste. Die galenische Modifi kation erfolgte durch Einbau in biologisch abbaubare Polymere, so genannte Microspheres. Somit gelang ein subkutanes Depot mit einer kontrollierten Freisetzung über eine Woche hinweg.
In den nächsten Jahren werden vermutlich Substanzen mit einer erforderlichen Applikation von nur mehr einmal pro Monat zur Verfügung stehen. Exenatid wurde analog zum Exendin-4 designt. Exendin-4 ist ein Peptid, das erstmals in der Gila-Krustenechse Heloderma suspectum, einer Echse, die nur 4-mal pro Jahr Nahrung zu sich nimmt, entdeckt wurde. Der stillgelegte Pankreas müsse dafür schnell angeworfen werden, erklärt Spreitzer.
Wenn durch eine orale Therapie mit Exenatid keine ausreichende Blutzuckerkontrolle nötig ist, wird es als orale Kombinationstherapie gemeinsam mit Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen therapeutisch eingesetzt.
DPP-4-Inhibitoren. Drei DPP-4-Inhibitoren erlangten bisher Marktreife: Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin. „Mit Linagliptin steht nun ein neuer potenter DPP-4-Hemmer mit guter gastrointestinaler Verträglichkeit und geringem Hypoglykämierisiko zur Verfügung“, schilderte Spreitzer. Große Vorteile sind die unveränderte Ausscheidung über Galle und Darm. Da die Metabolisierung sehr gering ist, sind auch die unerwünschten Wirkungen minimal. Auch eine Dosisanpassung bei Leber- und Nierenerkrankungen ist nicht mehr nötig. Das Pankreatitisrisiko ist noch nicht vollständig geklärt.

Multiple Sklerose – neue therapeutische Möglichkeiten

1997 kam das Interferon-β erstmals bei MS zum Einsatz, gefolgt von einem Aminosäurenpolymer, dem Glatiramerazetat. Seit 2006 werden monoklonale Antikörper therapeutisch eingesetzt. Der humanisierte Maus-Mensch-Antikörper Natalizumab verhindert die Migration der T-Zellen ins ZNS, indem die BHS-Gängigkeit durch Hemmung der Adhäsion der T-Zellen an die Endothelzellen verhindert wird. Dadurch wird die Demyelinisierung unterbunden und folglich die Schubrate reduziert. Nachteil dieser Therapie ist das erhöhte Infektionsrisiko. Der Arzneistoff Fingolimod blockiert, laut Prof. Spreitzer, das Sphingosin-1-phosphat. Das Austrittssignal verhindert somit die Bindung an den Lymphozyten und den Austritt aus der Lymphknotenkapsel. „Man kann sich den Vorgang so vorstellen, dass der Lymphozyt im Lymphknoten ‚eingesperrt‘ wird“, erklärte Spreitzer.

Fampridin und Cannabisextrakt

Zu den größten Problemen bei MS gehören die Spastik und Gehstörungen. Durch die Zerstörung der Myelinscheiden tritt Kalium aus und führt zur schlechten Weiterleitung von Aktionspotenzialen. Hiergegen sind nun zwei neue Arzneimittel auf dem Markt. Der neuronale K+-Kanalblocker Fampridin wurde bereits in den 1990er-Jahren getestet und im Jahre 2011 als Retardform in Europa zugelassen. Dieser kommt zur Verhinderung der Gehstörungen zum therapeutischen Einsatz.
Gegen die MS-assoziierte Spastik steht seit 2012 erstmals ein Cannabisextrakt zur Verfügung. Appliziert wird es mittels Inhalationssprays. Grundlage der Wirkung ist einerseits die Mitwirkung der Cannabinoidrezeptoren bei der Regulation der synaptischen Funktion, anderseits die Verbesserung der Steifigkeit und Motorik der Gliedmaßen durch Cannabinoide. „Weiters vermutet man einen Mangel an Endocannabinoiden bei MS und eine Veränderung des körpereigenen Cannabinoidsystems bei spastischen Störungen“, berichtete Spreitzer.

Personalisierte Therapie der Mukoviszidose

„Die Mukoviszidose beziehungsweise zystische Fibrose beschreibt eine autosomal rezessiv vererbbare Fehlfunktion schleimbildender Drüsen, die vor allem bei hellhäutigen Menschen auftritt“, erzählte Spreitzer. Diese Stoffwechselerkrankung wird durch ein defektes Cystic Fibrosis Transmembran Conductance Regulator(CFTR)- Protein, das als Chloridkanal fungiert, ausgelöst. Hauptsächlich in Lunge, Bauchspeicheldrüse und Leber wird zu wenig Chlorid aus den Zellen transportiert, was einen niedrigen Wassergehalt und die zähflüssige Konsistenz des Schleimes zur Folge hat.
Mit Ivacaftor kann die Chloridkanaldeformation teilweise geöffnet werden, jedoch nur die bei ca. 5 % der Patienten vorkommende G551D-Mutation. Pulmonale Exazerbationen können hingegen um 55 % gesenkt werden. „Die Lebenserwartung bei Kindern mit Mukoviszidose konnte in den letzten Jahren von ca. 10 Jahren auf 40 bis 50 Jahre angehoben werden“, betonte Spreitzer.

Innovationen bei Lupus erythematodes

Lupus erythematodes zählt zu den Kollagenosen und ist eine Autoimmunerkrankung des rheumatischen Formenkreises. „Das Schmetterlingserythem, eine typische Hauterscheinung im Gesichtsbereich, ist unter anderem ein Leitsymptom dieser Erkrankung“, erklärte Spreitzer.
Da man eine Korrelation des B-Lymphozyten-Stimulationsproteins mit der Krankheitsaktivität entdeckte, setzt man neuerdings bei Versagen der Standardtherapie den humanen, monoklonalen IgG-Antikörper Belimumab ein, welcher das Stimulationsprotein inhibiert und die Lymphozyten in die Apoptose treibt. Je höher die Krankheitsaktivität, umso ausgeprägter die klinische Verbesserung. „Der Zusatznutzen ist gegeben, doch die langfristige Sicherheit ist noch nicht geklärt“, schränkte Spreitzer ein.

News bei metastasierten Melanomen

Bisher wurde als First-Line-Therapie Dacarbazin mit einer Ansprechrate von 11 bis 25 % eingesetzt. Mit 1.300 Neuerkrankungen/Jahr in Österreich und einer 1-JahresÜberlebensrate von nur 25 % beim metastasierenden Melanom ist der therapeutische Nutzen neuer Arzneistoffe durchaus gegeben. „Ipilimumab, ein vollständig humaner Antikörper, richtet sich gegen das Protein CTLA-4 auf den T-Lymphozyten und erhöht die Aktivität der T-Zellen. Obwohl die immunologischen Nebenwirkungen drastisch sind“, so Spreitzer, „steigt die Überlebensrate nach einem Jahr von 25 % auf 46 %.“
In ca. 50 % aller Melanome ist das B-RAF-Protein nachweisbar, das an der Weiterleitung von Teilungssignalen beteiligt ist und hyperaktives Zellwachstum induziert. Der neue B-RAF-Protein-Inhibitor Vemurafenib wirkt den proonkogenen B-RAF-Protein-Mutationen entgegen. Die Pharmakovigilanz wird Aufschluss über therapeutische Langzeitnutzen und -risiken geben.

 

Quelle: Zentrale Fortbildung der Österreichischen Apothekerkammer, Salzburg/Wien 2012