Zirkadiane Rhythmen wieder auf Gleich bringen

Die Zeitumstellung und vermehrte Helligkeit im Frühjahr führt bei vielen Menschen zu einem „biologischen Jetlag“. Dieser ist durch hormonelle Umstellungen bedingt. Es wird – und das ist die gute Nachricht – wieder mehr Serotonin produziert. Die Produktion von Melatonin ist dafür gedrosselt. Das kann den Schlaf-wach-Rhythmus ziemlich durcheinanderbringen.

Die Verabreichung von Melatonin bewährt sich sowohl bei primären Insomnien als auch bei Problemen mit der Zeitumstellung und den dadurch bedingten verschobenen Biorhythmen. Melatonin wird von der Zirbeldrüse produziert und ist strukturverwandt mit Serotonin. Es entsteht aus Tryptophan durch Hydroxylierung zu 5-Hydroxytryptamin, welches zu Serotonin dekarboxyliert wird. Die Synthese von Melatonin aus Serotonin wird von zwei Enzymen (Aryl-Alkyl-Amin-N-Acetyltransferase und Hydroxyindol-O-Methyltransferase) katalysiert.1

Nach Einsetzen der Dunkelheit steigt die körpereigene Produktion mit einem Gipfel zwischen zwei Uhr und vier Uhr nachts. Gegen morgen sinkt die Konzentration wieder. Damit ist Melatonin DER Taktgeber für unseren biologischen Rhythmus. Es fördert das Einschlafen, aber auch das Durchschlafen. Mit zunehmendem Alter produziert der Körper weniger von diesem Hormon. Damit ist auch erklärt, warum ältere Menschen sukzessive früher aufstehen und es sie nicht mehr im Bett hält. Auch bei Schichtarbeit kann die Produktion gestört sein. Die maximalen Melatoninkonzentrationen erreicht man im Kindesalter. Bei Säuglingen im Alter von bis zu drei Monaten wurden nur sehr geringe Konzentrationen gemessen. Eine zirkadiane Rhythmik gibt es in diesem Alter noch nicht.

Neben Melatonin helfen auch Baldrian, Melisse, Passionsblume und Hopfen beim Einschlafen. Auch Johanniskraut hat sich bewährt. Natürlich spielt auch die richtige „Schlafhygiene“ eine Rolle. Immer mehr Menschen haben einen Fernseher im Schlafzimmer, oder das Notebook beim Bett stehen. Dies mag aus subjektiver Sicht das Einschlafen erleichtern und vielleicht dabei helfen, quälende Gedanken zu vertreiben, jedoch gelangt man bei zu großer Helligkeit oder Hintergrundlärm nur schwer in die Tiefschlafphasen. Daher gilt es, elektrische Geräte im Schlafraum zu meiden, für kühle Temperaturen zu sorgen und den Raum entsprechend abzudunkeln. Das ist gerade für Menschen wichtig, die in der Großstadt leben. Luftaufnahmen zeigen, unter welcher Lichtglocke man sich in der Stadt nachts mittlerweile befindet. Das wirkt sich massiv auf die Schlafqualität aus, wobei hier wieder Melatonin ins Spiel kommt. Die Produktion wird gesteuert über den Lichteinfall auf die Netzhaut des Auges. In der Dunkelheit ist die Produktion erhöht, schläft man allerdings, während der Fernseher läuft, tut man sich nichts Gutes. Dazu ein paar interessante Zahlen: Ab einer Intensität von 2.500 Lux findet keine Melatoninproduktion mehr statt, wenn man sich für zwei Stunden dieser Helligkeit aussetzt. Zum Vergleich: Tageslicht kommt auf 10.000 Lux, eine helle Raumbeleuchtung entspricht 500 Lux.2 Dichte Vorhänge und Außenjalousien schaffen wirksame Abhilfe, um genügend Melatonin herzustellen, die Tiefschlafphasen zu erreichen und morgens fit und munter zu sein.

Gegenspieler des Melatonins sind Alkohol und Nikotin – beide führen zu einer Drosselung der Produktion. Auch wenn es manchen so vorkommt, als wäre Alkohol ein guter Schlaftrunk, ist vor dem Einsatz als Einschlafhilfe zu warnen. Abseits von Suchtproblematik ist das Durschlafen unter Alkoholeinfluss erschwert, und man kommt nicht in den Tiefschlaf.

 

Literatur:

1 Hing-Sing Y et al., CRC Press 1993

2 Trinder J et al., J Sleep Res 1996

Rhythmus heilt
„Kluge Menschen pflegen biologische Rhythmen und gehen damit anderen auf die Nerven. Dafür bleiben sie meist gesund, und die meisten von ­ihnen sind auch schon über 90 Jahre alt. Würden sie nicht nach Rhythmen leben, würden sie wahrscheinlich nicht mehr leben. Oder kennen sie einen 100-Jährigen, der sich regelmäßig die Nacht um die Ohren schlägt?“, fragt der Grazer Chronobiologe Univ.-Prof. Dr. Maximilian Moser und schneidet ein Thema an, das immer mehr in den Fokus der Medizin rückt – der Rhythmus.
Naturwissenschafter haben herausgefunden, dass Medikamente effektiver sind und weniger Nebenwirkungen haben, wenn man sie den Patienten nach dem individuellen Biorhythmus zur richtigen Tageszeit verabreicht, erklärte Francis Levi vom Hôpital Paul Brousse in Villejuif (Frankreich) am Rande eines Symposiums. Was Substanzen im Körper bewirken, kann demnach entscheidend von der Uhrzeit abhängen, zu der sie verabreicht werden.
Im Verlauf eines 24-Stunden-Tages folgen die meisten Funktionen unseres Körpers zyklischen Veränderungen. Blutdruck und Herzfrequenz ­fallen in der Nacht auf minimale Werte, zum Morgen hin steigen sie wieder an. Ähnlich verhält es sich mit der Körpertemperatur und dem Kortisonspiegel. Hingegen erreicht die Konzentration des Schlafhormons Melatonin nachts das Fünffache seines Wertes als am Tag. Auch viele Symptome zeigen einen tagesrhythmischen Verlauf: Herzanfälle treten am häufigsten morgens zwischen sechs und zwölf Uhr auf, Asthma-Attacken hin­gegen vor allem in der Nacht. Zähne reagieren in der Früh empfindlicher auf Schmerzreize als am Nachmittag.
Nicht zuletzt deshalb wäre es oft sinnvoller, zum Beispiel Asthma-Medikamente vor dem Schlafengehen zu schlucken. Verdauung, Reaktionszeit, Hormonspiegel, Blutdruck sind grundlegend verschieden, je nachdem, wann man sie untersucht. Mehr noch – die im Körper allgegenwärtigen Schwingungen im 24-Stunden-Takt äußern sich selbst auf molekularer Ebene: Bis zu zehn Prozent aller Gene der verschiedenen Körperzellen werden nach einem tagesrhythmischen Muster „an- und abgeschaltet“.
Aufgrund dieser Erkenntnisse sprachen sich im Vorjahr Experten bei einem Biotech-Symposium in Wien auch dafür aus, dass etwa Chronotherapie gerade bei Krebspatienten verstärkt eingesetzt wird. „Jede Zelle in unserem Körper hat eine eigene Uhr, die aus Genen und Eiweißstoffen aufgebaut ist und im 24-Stunden-Rhythmus Prozesse wie den Stoffwechsel und die Zellteilung regelt“, sagte Levi. Viele Medikamente in der Krebstherapie greifen Zellen an, die sich gerade teilen. Erwischt man sie zum richtigen Zeitpunkt, wenn sie zum Beispiel gerade ihr Erbgut verdoppeln, sind sie viel verletzlicher, und die Medikamente wirken besser, betonte der Forscher. „Wir haben beim Vergleich von klinischen Studien herausgefunden, dass die so genannte Chronotherapie im Vergleich zur Standard-Chemotherapie die Überlebensraten bei Männern mit Darmkrebs um das Dreifache erhöht“, betonte der Mediziner.