Ein- und Ausblick in die Kardiologie

Herr Dozent Mörtl, 2021 wurden u. a. die neuen ESC-Guidelines zur Herzinsuffizienz publiziert. Können Sie kurz auf die wesentlichen praxisrelevanten Neuerungen eingehen?

Priv.-Doz. Dr. Deddo Mörtl: Die wesentlichen Neuerungen betreffen den Einzug zweier neuer Substanzklassen in die Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF, LVEF ≤ 40 %): Die SGLT-2-Inhibitoren Dapagliflozin und Empagliflozin erhielten aufgrund der erfolgreichen Herzinsuffizienz-Studien DAPA-HF und EMPEROR-Reduced in den neuen Herzinsuffizienz-Guidelines auf Anhieb eine IA-Empfehlung. Als optimale Therapie für alle HFrEF-Patienten gilt nun die Vierfachkombination aus Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI = Sacubitril/Valsartan), Betablocker, Mineralokortikoid-Antagonisten und SGLT-2-Inhibitor, idealerweise alle Substanzen in Zieldosis. Die zweite Substanzklasse sind die solublen Guanylat-Zyklase-Stimulatoren, deren Vertreter Vericiguat für alle HFrEF-Patienten, die trotz Herzinsuffizienztherapie kürzlich dekompensierten, vorgesehen ist.

Was bedeutet die empfohlene Abstimmung der Therapie auf den Herzinsuffizienz-Phänotyp für die Praxis?
Während die bereits erwähnte Vierfach-Kombinationstherapie bei allen Patienten mit HFrEF unabhängig von Ätiologie und Komorbiditäten angestrebt werden sollte, hängen weitere Therapieoptionen von diversen Patientencharakteristika und Komorbiditäten ab. Diese sind meist selbsterklärend wie die Bypassoperation bei wirksamer KHK, die Eiseninfusion bei Eisenmangel, die Klappenoperation oder kathetergeführte Klappenintervention bei Mitralinsuffizienz oder Aortenklappenstenose oder der If-Kanalblocker Ivabradin bei Sinusrhythmus und hohen Herzfrequenzen.
Ebenso nur für bestimmte Patienten geeignet sind die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) sowie implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICD). Letztere sind für Patienten vorgesehen, die trotz drei Monaten optimierter Therapie immer noch eine NYHA-Klasse II oder III und eine linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) von ≤ 35 % aufweisen, wobei hier für HFrEF mit ischämischer Ätiologie die Datenlage robuster ist als bei nicht-ischämischer Ätiologie. Eine CRT-Implantation wird bei Patienten empfohlen, die trotz drei Monaten optimierter Therapie immer noch eine NYHA-Klasse ≥ II, eine LVEF ≤ 35 % und breite Kammerkomplexe haben. Die größten Effekte im Sinne einer Mortalitätsreduktion und Besserung der LVEF werden bei Patienten im Sinusrhythmus, Linksschenkelblock und QRS-Breite ≥ 150 ms erzielt. Bei einer QRS-Breite < 130 ms ist eine CRT kontraindiziert, auch wenn echokardiografisch eine Asynchronie gesehen wird, da hier in einer Studie die Mortalität erhöht wurde.

Der Stellenwert des Belastungs-EKGs bzw. der Ergometrie zur Diagnosestellung eines chronischen Koronarsyndroms nimmt kontinuierlich ab, wie auch die diesbezügliche Einordnung der ESC verdeutlicht. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Die Ergometrie ist in ihrer diagnostischen Wertigkeit bildgebenden Verfahren unterlegen und hat eine eingeschränkte Aussagekraft in Bezug auf den diagnostischen Einschluss oder Ausschluss einer obstruktiven KHK. Dementsprechend empfehlen die 2019 ESC-Guidelines für Diagnostik und Management des chronischen Koronarsyndroms in erster Linie bildgebende Ischämietests wie Belastungsmyokardszintigrafie oder Belastungsechokardiografie oder das Koronar-CT.
Ischämie-Bildgebung wird eher bei Patienten mit höherer Wahrscheinlichkeit für eine wirksame KHK, die auch für eine Revaskularisation infrage kommen, empfohlen, während das Koronar-CT eher bei Patienten mit niedrigerer Vortestwahrscheinlichkeit, bei denen auch eine hohe Untersuchungsqualität (keine vorbekannte KHK, wenig Kalk, erfahrener Untersucher) zu erwarten ist, empfohlen wird. Patienten mit hoher Vortestwahrscheinlichkeit einer ob-
struktiven KHK und schweren Symptomen trotz antianginöser Therapie sollten direkt zur invasiven Koronarangiografie zugewiesen werden.
Die Ergometrie hat in dieser Empfehlungskonstellation eher komplementäre Bedeutung in ausgewählten Patienten zur Evaluierung von belastungsabhängigen Symptomen und Arrhythmien sowie von ST-Streckenveränderungen, der Leistungsfähigkeit und dem Blutdruckverhalten.

Apropos Koronarangiografie: Wann sollte dabei eine Druckdrahtmessung zur Bestimmung der fraktionellen Flussreserve (FFR) zum Einsatz kommen?
Die 2019 ESC-Guidelines zu Diagnose und Management des chronischen Koronarsyndroms empfehlen eine Ergänzung der invasiven Koronarangiografie durch eine invasive funktionelle Evaluierung bei Patienten mit Koronarstenosen mit einem Stenosegrad von 50–90 % oder bei einer Mehrgefäßerkrankung, da hier häufiger ein Mismatch zwischen angiografisch geschätztem und hämodynamischem Stenosegrad besteht. Eine systematische Anwendung der fraktionellen Flussreserve mittels Druckdrahtmessung im Rahmen von elektiven invasiven Koronarangiografien führt zu einer Änderung der Managementstrategien (üblicherweise perkutane Intervention vs. keine Intervention) bei 30–50 % der Patienten.

Wie beurteilen Sie die neue Ausbildungsordnung in Ihrem Fachbereich?
Die neue Ausbildungsordnung (ÄAO 2015) für das Fach Innere Medizin und Kardiologie hat mehr Struktur in die kardiologische Ausbildung gebracht, indem sie die Ausbildungsinhalte klar vorgibt und in Basisausbildung (9 Monate), Sonderfach-Grundausbildung (27 Monate) und Sonderfach-Schwerpunktausbildung (36 Monate) gliedert. Für viele der Fertigkeiten wurden Richtzahlen definiert, sodass hier Qualitätsstandards gesichert sind. Genau diese Richtzahlen werden im Detail jedoch oft auch kritisch gesehen. Insbesondere die Anzahl von durchzuführenden Koronarangiografien wurde viel diskutiert. Viele angehende Kardiologen streben keine Laufbahn als Interventionisten an, sondern sehen ihre Zukunft eher in nicht-invasiven Subspezialisierungen und/oder in der Niederlassung. Die geforderten 250 Koronarangiografien und 50 Koronarinterventionen erscheinen hoch für jemanden, der diese Fertigkeiten später nicht mehr anwenden wird. Gleichzeitig stoßen damit manche Abteilungen bei mehreren Auszubildenden an ihre Ausbildungsgrenzen und müssen dadurch den Caseload für diejenigen Kollegen, die tatsächlich eine Subspezialisierung in interventioneller Kardiologie anstreben, reduzieren.

Kommen wir von der Aus- zur Fortbildung. Was erwartet uns auf der ÖKG-Jahrestagung 2022?
Neben den bewährten wissenschaftlichen Sitzungen, die sich innovativen diagnostischen und therapeutischen Verfahren in der Kardiologie widmen, wurden dieses Jahr Programmpunkte, die das Basiswissen der Kardiologie vermitteln, weiter ausgebaut. Neben den bewährten GP-Tracks gibt es zusätzlich die sogenannten „Kardio-Ticker“-Sitzungen, die sich speziell an junge Kollegen vor der Facharztprüfung richten.
Die diesjährige Präsidentensitzung ist dem Thema „Umwelt – Klima – Stressoren“ gewidmet, wofür wir erfreulicherweise renommierte internationale Experten gewinnen konnten. Herr Prof. Formayer von der BOKU Wien wird über „Zukünftige Folgen des Klimawandels“ und Herr Prof. Münzel aus Mainz über „Umweltstressoren und Herzerkrankungen“ sprechen. Die österreichische Skispringerlegende Toni Innauer wird uns zum Thema „Resilienz durch Sport“ seine Gedanken mitteilen.
Darüber hinaus findet der Kongress nach zwei Jahren als Online-Kongress wieder zurück zu seinem ursprünglichen Konzept als Präsenzveranstaltung. Der für diesen Kongress so typische rege fachliche Austausch während und abseits der Sitzungen wird somit wieder in gewohnter Atmosphäre möglich sein.

Sie sind Fortbildungsreferent der ÖKG. Was hat sich in diesem Bereich in den
letzten Jahren getan?
Während der Pandemie ist das breite Spektrum der elektronischen Fortbildungsangebote gewachsen – von Webinaren und On-Demand-Vorträgen bis hin zu Online-Artikeln und -Videos. Viele Fortbildungsveranstaltungen kehren vom Online- wieder zu einem Präsenz- oder Hybrid-Format zurück, wodurch nun alles – von der von zu Hause aus genossenen Online-Fortbildung bis zum traditionellen Kongress mit Verreisen und „Socialising“ vor Ort – angeboten wird. Durch die DFP-Approbation werden gewisse Qualitätsstandards eingehalten und die Suche nach passenden Fortbildungen im DFP-Kalender wird erleichtert.

Vielen Dank für das Gespräch!