Kammerwahl 2017: „Wir brauchen ein Vernetzungsmodell“

Arzt mit Leib und Seele

Dr. Mansour Kamaleyan ist Allgemeinmediziner aus Leidenschaft. Er kam in der 1970er-Jahren aus Persien nach Österreich, um hier Medizin zu studieren, und ist damit einer von 267 Ärzten in Wien mit iranischen Wurzeln – von insgesamt 2.594 Wiener Ärzten, die aus anderen Ländern stammen. Damit stellen persische Ärzte übrigens nach deutschen Kollegen mit 541 Personen bereits die zweitgrößte Gruppe dar. In Persien ist der Arztberuf seit jeher hoch angesehen, er bietet Sicherheit, ist gut bezahlt und erfreut sich hoher Wertschätzung. Dass das Medizinstudium so beliebt ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass im Iran nur die „Besten“ Medizin studieren dürfen. Von klein auf werden Kinder erzogen, einmal Arzt oder Ärztin zu werden. Einmal im Jahr gibt es für alle, die studieren wollen, eine Aufnahmeprüfung. Je nach erreichter Punkteanzahl werden die Maturanten für die jeweiligen Studienrichtungen zugelassen. Für Humanmedizin sind die meisten Punkte notwendig, gefolgt von Zahnmedizin.
Das große Interesse der Iraner an der Medizin ist aber vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass sich mit den beiden persischen Gelehrten und berühmten Ärzten Ibn Sina und Zakarīyā ar-Rāzī die „Wiege der Medizin“ in dieser Region befindet.
Jeder 13. Austro-Iraner ist übrigens Absolvent des Medizinstudiums, viele davon arbeiten im Bereich Allgemeinmedizin. Alle sind sehr gut vernetzt, viele sind äußerst erfolgreich. Zurück zu Dr. Kamaleyan: Mittlerweile im Pensionsalter, sieht er pessimistisch in die Zukunft – wie lange darf er noch tätig sein? Wer wird seine Kassenordination in Wien übernehmen? Kann er als Vertreter tätig sein? Wird sein Nachfolger sich auch so um die Patienten kümmern wie er? Er, der auch an seinen freien Tagen Hausbesuche macht?
Wie viele seiner Kollegen in ähnlicher Situation macht er sich Gedanken um die Zukunft – um ELGA, um die Abhängigkeit von EDV und Computer und die Kosten, die dadurch entstehen werden. Kamaleyan: „Die EDV treibt einen in den Wahnsinn, vor allem das Arzneimittel-Bewilligungs-Service ABS. Man hat nicht das Gefühl, selbst Entscheidungen treffen zu können, und ist damit auch nicht mehr selbstbestimmt.“
Gerade um die Pensionierung fallen viele in ein Loch, weil sie fürchten, die Anerkennung und Wertschätzung der Patienten zu verlieren. Die Ordination ist ja für viele Kollegen ein Lebenswerk; die Patienten schon fast wie eine zweite Familie, viele kennt man schon von Kindesbeinen an, bei manchen kannte man noch die Großeltern.
Finanzielle Sorgen macht man sich natürlich auch – kann man den gewohnten Lebensstandard halten? Wie hoch wird die Pension sein? Da die älteren Kollegen viel Geld in den Wohlfahrtsfond eingezahlt haben, wird es mit der ASVG-Pension keine großen Veränderungen der Lebensqualität geben.
Weiters bekommt man ein Drittel seines Jahresumsatzes von der WGKK falls keiner die Ordination übernehmen will, das beruhigt viele Kollegen, die wie er vor der Pension stehen
.Dr. Kamaleyan sieht die Existenzängste der nächsten Generation, er kann sich vorstellen, dass die kommenden Zeiten nicht besser werden. „Das neue PHC-Gesetz wird wieder viele Kollegen dazu bringen, früher in Pension zu gehen, wie zuvor auch die e-card-Einführung und zuletzt die Hygienerichtlinie.“

15a-Vereinbarung: Gefahr im Verzug

Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied ist in die Fußstapfen ihres Vaters getreten, auch sie hat aus Leidenschaft Medizin studiert und führt seit über sechs Jahren eine Kassenordination für Allgemeinmedizin in Wien-Floridsdorf. Bereits im Turnus, den sie in der Krankenanstalt Rudolfstiftung absolvierte, war sie sehr engagiert und organisierte Fortbildungen und Veranstaltungen für ihre Kollegen, bis sie begann, politisch für die „Vereinigung“ aktiv zu werden – und ihr Einsatz für die Belange der Allgemeinmedizin wurde immer größer. „Eigentlich hatte ich großes Glück mit meiner Ordination, die Scheinzahlen stiegen kontinuierlich, die Patienten waren zufrieden. Größere Räumlichkeiten wurden notwendig, und ich zog mit der Ordination um. Aufgrund der neuen Hygienerichtlinien musste ich mehr Geld als geplant in die Ordination investieren und saß nun auf einem Berg voll Schulden.“ Plötzlich – so Kamaleyan-Schmied – wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die 15a-Vereinbarung unterschrieben. „Nicht nur meine Existenz stand auf dem Spiel, sondern die Existenzen vieler Kollegen! Wir alle hatten viel Geld, Zeit, Energie und Herzblut in unsere Ordinationen gesteckt! Unser aller Plan war es, bis zur Pension unserem Beruf und unserer Berufung nachzugehen, einem Beruf, der in der Gesellschaft hochangesehen und hochgeschätzt ist, wie Studien zeigen.“
„Die Österreicher haben das Privileg, eine sehr gute niederschwellige Gesundheitsversorgung zu haben. Wer einen Arzt braucht, kann sich den Arzt sogar aussuchen.“ Speziell jetzt, in Zeiten der 15a-Vereinbarung und des geplanten PHC-Gesetzes fühlt sie sich verpflichtet, „große Gefahren für die Existenz der Kollegen abzuwenden“. Denn: „Den Hausarzt soll es nicht mehr geben, er ist aber die einzige Möglichkeit einer wohnortnahen, familiären Patientenversorgung. Wir machen Zuwendungsmedizin, deren Benefit man nicht absprechen kann. Zuwendungsmedizin, die nicht honoriert wird, die genau wie unser Berufstand nicht wertgeschätzt wird.
„Die große Gefahr, die die 15a-Vereinbarung bringt ist, dass man uns ohne vorherige Bedarfsprüfung durch die Ärztekammer ein PHC mit Massenabfertigung vor die Nase setzt. Und das wäre für viele Kollegen wahrlich existenzgefährdend.“
Im Klartext: Wenn die Scheinzahl sinkt, könnte es so weit kommen, dass sich ein Kollege die Fixkosten seiner Praxis nicht mehr leisten kann. Fixkosten, die durch die Hygieneverordnung, gesteigerte Personalkosten, teure ÖQUASTA-Rundversuche, teure Ordinationssoftware ohnehin schon gestiegen sind.

Ihre Lösungsmodelle?

„Meiner Meinung nach haben wir ein gutes, gewachsenes System, das gute Leistungen bringt. Natürlich müssen wir uns verändern und mit der Zeit gehen, aber das heißt nicht, dass Altes schlecht ist, im Gegenteil – ich finde es wichtig, alte Strukturen zu erhalten und auf Bestehendem aufzubauen und ein wenig zu modernisieren. Es ist nicht notwendig, große Immobilien bauen zu lassen, um dort PHC zu gründen“, meint Kamaleyan-Schmied. Sie kann sich „Vernetzungsmodelle“ gut vorstellen, im Rahmen derer der Hausarzt im Vordergrund steht und mit anderen Allgemeinmedizinern in Fußgeh-Nähe vernetzt ist. Die Ordinationszeiten werden abgestimmt, damit auch die Tagesrandzeiten abgedeckt sind. Mithilfe moderner Kommunikationstechnologie (App) wird man zum jeweils ordinierenden Arzt weitergeleitet. Man könnte somit teure Ambulanzen ersetzen „Das würde auch für die Kostenträger eine deutliche Einsparung bringen. Mit geringem finanziellem und organisatorischem Aufwand könnten sich Ordinationen vernetzen. Somit bleibt die wohnortnahe Betreuung erhalten. Drei Pionier-Netzwerke in Wien wären schon startklar.
„Man müsste nur die Scheuklappen ablegen und etwas über den Tellerrand schauen und andere Konzepte zulassen und nicht vehement aus Ärztehass zu jedem Konzept nein sagen. Wie Studien aus Großbritannien* zeigen, müssen Patienten mit einem festen Hausarzt seltener ins Krankenhaus.“ Aus diesem Grund versucht man in Großbritannien den niedergelassenen Hausarzt zu stärken.
„In Österreich jedoch versucht man den Hausarzt durch Zentren zu ersetzen. Wo liegt da die Logik? Modernisierung und Service gehört von den Leistungsträgern bezahlt, genauso wie die Zuwendungsmedizin, die immer wie ein Stiefkind behandelt wird.
Es ist an der Zeit, in den niedergelassenen Bereich zu investieren, denn der Ärztemangel klopft schon vehement an unsere Türe! Nur durch eine längst überfällige leistungsgerechte finanzielle Aufwertung und die dringend notwendige Finanzierung der Lehrpraxis ist die Abwanderung der jungen Kollegen aufzuhalten …
Es gibt viel zu tun, denn wie mein Vater schon sagte: ‚Die Zeiten für uns Allgemeinmediziner werden nicht leichter.‘“

* http://m.aerzteblatt.de/news/72957.htm