Österreichische Ärztetage – Fortbildung der Superlative

ARZT & PRAXIS: Herr Dr. Niedermoser, über 95 % der österreichischen Ärzte bilden sich regelmäßig fort, so das Ergebnis der ersten Überprüfung des Fortbildungsnachweises im September 2016. Wie geht es weiter?

Niedermoser: Die nächste Überprüfung wird es am 1. September 2019 geben – also genau 3 Jahre nach dem letzten Stichtag. Schon heute erfüllen ca. 56 % der Ärzte die Voraussetzungen für diesen Pflichttermin, d. h. ihr Fortbildungsdiplom ist zum Zeitpunkt der kommenden Überprüfung noch gültig. Die verbleibenden 44 % haben noch Zeit, die für das DFP-Diplom erforderliche Punktezahl zu erreichen: Insgesamt sind 150 DFP-Punkte (davon mindestens 120 medizinische DFP-Punkte und mindes­tens 50 DFP-Punkte aus Veranstaltungen) in 3 Jahren nachzuweisen. Mittelfristig möchten wir die Überprüfungsintervalle auf 5 Jahre ausdehnen, da ja auch die Diplome 5 Jahre gültig sind. Eine Gleichschaltung der Intervalle wäre sicherlich sinnvoll.

Hat sich der Fortbildungseifer der Ärzte gegenüber der Zeit vor der ersten Überprüfung verändert?

Niedermoser: Nein, davon kann keine Rede sein. Der von vielen erwartete große Rückgang bei den Fortbildungsaktivitäten nach der Überprüfung des Fortbildungsnachweises im Herbst 2016 ist ausgeblieben. Die meisten Kollegen haben erkannt, dass es wesentlich angenehmer ist, sich kontinuierlich fortzubilden, als erst kurz vor dem Stichtag aktiv zu werden.
Das Engagement der Ärzte, sich regelmäßig fortzubilden, war eigentlich immer vorhanden – nur bei der Dokumentation hat es in der Vergangenheit gehapert. Das hat sich erfreulicherweise sehr verbessert, nicht zuletzt dank der Bestrebungen der Akademie der Ärzte, die Dokumentation so einfach wie möglich zu gestalten, z. B. durch die Einrichtung des elektronischen Fortbildungskontos für jeden Arzt.

Die Akademie der Ärzte organisiert regelmäßig selbst Fortbildungen – mit am bekanntesten sind wohl die Ärztetage in Grado und Velden …

Niedermoser: Beide Veranstaltungen haben eine lange Tradition – so fanden die Ärztetage in Grado heuer bereits zum 27. Mal statt. Mit rund 1.500 Teilnehmern war die Veranstaltung wieder sehr gut besucht. Auch die Veranstaltung in Velden (19.–25. August 2018) verspricht ein Erfolg zu werden. Es gibt schon viele Anmeldungen!

Herr Primarius Schöfl, Sie sind Kongressleiter der diesjährigen Ärztetage in Grado und Velden. Welche Aufgaben übernehmen Sie in dieser Funktion?

Schöfl: Die organisatorische Abwicklung liegt zur Gänze bei der Akademie der Ärzte, während ich selbst für die wissenschaftliche Leitung verantwortlich bin. Für Grado mache ich das heuer zum zweiten, für Velden zum ersten Mal. Meine Aufgabe ist es, zu überlegen: Was bringen wir an neuen Themen und welche Themen haben sich ausgelaufen? Nützlich in diesem Zusammenhang ist das Feedback der Kongressteilnehmer: Da alle Vorträge, Workshops und Kurse evaluiert werden, können wir in der Programmplanung darauf eingehen, welche Themen gut und welche weniger gut bei den Kollegen ankommen. Was die Vortragenden betrifft, haben wir einen relativ großen und stabilen Grundstock von Experten, die uns oft über viele Jahre zur Verfügung stehen. Viele von ihnen haben bereits ihren eigenen „Fanklub“ unter den Kongressteilnehmern.
Generell sehe ich es als Aufgabe des wissenschaftlichen Leiters, die Themen langfristig zu steuern. Das ist bei diesem relativ großen „Schiff“ mit über 400 Einzelveranstaltungen in Grado und über 300 in Velden nicht ganz einfach – das bewegt sich eher langsam …

Das Angebot ist also ein sehr breites …

Schöfl: Absolut. Der Anspruch der Ärztetage ist es, das gesamte Tätigkeitsfeld des Allgemeinmediziners abzudecken. Dabei setzen wir auf Praxisrelevanz, nicht auf Mäuseforschung. In Grado gab es heuer beispielsweise einen Ernährungsschwerpunkt, bestehend aus Veranstaltungen, die sich zum einen mit der ernährungsphysiologischen Bedeutung verschiedener Nahrungsmittel auseinandersetzten, zum anderen mit daraus abgeleiteten Erkrankungen und Nahrungsmittelintoleranzen.

Niedermoser: Vielfalt und Angebot sind riesig: Für alle Vorträge, Kurse und Workshops wurden in Grado heuer insgesamt 475 DFP-Punkte gezählt. Jeder Teilnehmer kann sich sein Programm individuell zusammenstellen. Während die Vorträge für jedermann zugänglich sind, sollte man sich für Workshops und Kurse rechtzeitig anmelden – sonst kann es schon einmal vorkommen, dass man keinen Platz mehr bekommt.
DFP-Punkte werden pro Tag und pro besuchter Veranstaltung vergeben. In Grado sind bis zu 12 DFP-Punkte täglich möglich, in Velden sind es 7 DFP-Punkte. Mit dem Besuch der Ärztetage kann ein Arzt im Prinzip einen Großteil der jährlich für sein Diplom erforderlichen Fortbildungseinheiten absolvieren.

Für welche Zielgruppe eigenen sich die Ärztetage?

Niedermoser: Die Hauptzielgruppe sind sicherlich Allgemeinmediziner, daneben kommen aber auch viele Fachärzte nach Grado und Velden, um sich einen fundierten Überblick über ihres eigenes Fach hinaus zu verschaffen. Nimmt man die Zahlen vom Vorjahr, so zeigt sich, dass sowohl in Grado als auch in Velden die Frauen in der Überzahl sind (Grado: 55 %, Velden: 63 %). Die Statistiken zeigen weiters, dass auch viele junge Kollegen zu den Ärztetagen kommen: So bietet sich speziell Grado für einen Aufenthalt mit Familie an. Qualitativ hochwertige Fortbildung in einer Umgebung zum Wohlfühlen – das Package stimmt einfach! Das zeigt sich nicht zuletzt an den vielen „Wiederholungstätern“, zu denen ich mich auch selber zählen darf.

Schöfl: Das vielfältige Programm der Ärztetage lockt ein ebenso vielfältiges Publikum an. Und die Atmosphäre der Ärztetage ist wirklich eine ganz besondere: Wenn man sich eine Woche intensiv dem Thema Fortbildung widmet – natürlich mit den notwendigen und sinnvollen Erholungsphasen –, dann ist das schon etwas ganz anderes, als wenn man am Abend nach der Ordination noch zu einer zweistündigen Fortbildungsveranstaltung hastet.

Inwiefern unterscheiden sich die Veranstaltungen in Grado und Velden?

Niedermoser: Grado ist die wesentlich größere Veranstaltung – 2017 lagen die Teilnehmerzahlen bei 1.317 bzw. 586. Neben der Größe unterscheiden sich Grado und Velden vor allem hinsichtlich der angebotenen Fortbildungsformate: Während der Schwerpunkt in Grado auf Vorträgen liegt, betont Velden den Kurs- und Workshop-Charakter.

Schöfl: Unabhängig vom Format sind uns Interaktion und Diskussion zwischen den Vortragenden bzw. Kurs- oder Workshop-Leitern und den Teilnehmern wichtig. So können Fragen gerne auch während der Vorträge und nicht erst am Ende gestellt werden, denn dann sind sie entweder vergessen oder passen nicht mehr so gut. Die Fortbildung in Kleingruppen in Form von Workshops und Kursen fördert natürlich besonders die Interaktion und die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Diese Formate sind bei den Kollegen sehr beliebt, weshalb es sich empfiehlt, sich rechtzeitig anzumelden. Besonders gefragt sind Kurse, in denen praktische Fertigkeiten vermittelt werden, die man mit nach Hause nehmen und direkt in der Ordination einsetzen kann. Das Angebot reicht hier von chiropraktischen Techniken über Raucherhypnose bis zu fünftägigen Sonografie-Kursen. Auch Kurse mit für Ärzte nützlichen nicht-medizinischen Inhalten, wie Selbstorganisation, Zeitmanagement oder Entspannungstechniken, kommen sehr gut an.

Neben Ihrer organisatorischen Funktion sind Sie beide auch selbst als Referenten bei den Ärztetagen aktiv …

Niedermoser: Thema meines Vortrags in Grado war heuer die Ärzte-Ausbildungsreform 2015 inklusive deren Auswirkungen und sich daraus ergebender Probleme. Es ging mir vor allem darum, die Meinung jener zu hören, die im Krankenhaus Verantwortung für die Ausbildung tragen, bzw. um die Meinung der Auszubildenden selber: Welche Probleme/Schwachstellen gibt es in der Praxis? Was könnte man verbessern? Die Diskussion mit den Teilnehmern war sehr befruchtend.

Schöfl: Ich habe in den letzten fünf Jahren verschiedene Themen aus dem Bereich der Gastroenterologie – meinem Fachgebiet – abgedeckt. In Velden werde ich mich heuer u. a. dem Einfluss des Mikrobioms auf Durchfall und Obstipation, Bauchschmerzen und Fettleber, Körpergewicht und Insulinresistenz etc. widmen.
Ich versuche in meinen Vorträgen herauszuarbeiten, wie man mit den einfachsten Mitteln des Gesprächs, der Finger, der Ohren und Augen, mit einfachen Tests, die auch in einer allgemeinmedizinischen Praxis durchführbar sind, zu einer Diagnose kommen kann. Da lässt sich sehr viel machen und nicht jeder Patient muss gleich zum Facharzt oder in ein Spital geschickt werden. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat meinen früheren Hightech-Hype durchaus gedämpft. Während ich als im Bereich der Endoskopie spezialisierter Gastroenterologe natürlich an der neuesten Technik, an immer noch dünneren Endoskopen interessiert bin, soll es genau das in Grado und Velden nicht sein. Hier soll es in erster Linie um jene Aspekte gehen, die für den Allgemeinmediziner relevant sind.

Wie sollte moderne ärztliche Fortbildung in Ihren Augen aussehen?

Schöfl: Man kann sicherlich über neue Formate nachdenken. Ein gelungenes Beispiel ist die Veranstaltung „1 Symptom für 3 Köpfe“, die heuer in Grado bereits zum dritten Mal auf dem Programm stand: Ein Patientenfall wird präsentiert und von Experten am Podium gemeinsam mit einem Allgemeinmediziner aus dem Publikum diskutiert. Gemeinsam werden eine Diagnose und Therapievorschläge erarbeitet. Das Besondere dabei: Die Experten kennen das Fallbeispiel vorher nicht. Die interdisziplinäre Diskussion ist für das Publikum sehr spannend – meist noch spannender, wenn die vermutete Diagnose nicht richtig ist –, und auch für mich als Vortragenden war dieses neue Format sehr reizvoll.
Das Publikum lechzt nach einem Aufbrechen der klassischen Vortragskultur. Wir alle leiden ja an diesem „PowerPoint-Tod-Syndrom“ – erschlagen von zu vielen und überladenen PowerPoint-Folien. Interessant in diesem Zusammenhang: die Vortragstechnik Pecha-Kucha. Zu einem mündlichen Vortrag passende Bilder (Folien) werden an die Wand projiziert, das Format ist dabei streng vorgegeben: 20 Bilder, die jeweils 20 Sekunden eingeblendet werden. Die Gesamtzeit von 6:40 Minuten ist damit auch die maximale Sprecherzeit. Das soll extrem erfrischend wirken. Ich habe mir vorgenommen, das demnächst selber zu versuchen.

Niedermoser: Es ist zweifellos wichtig, mit der Zeit zu gehen. Nicht zuletzt, um die Ärztetage auch für die jungen Kollegen attraktiv zu machen. Der Kongress muss und soll ja weiterleben.

Welches Potenzial sehen Sie für die elektronische Begleitung von Fortbildungsveranstaltungen?

Schöfl: International geht der Trend klar in Richtung Livestream sowie Aufarbeitung der Inhalte für E-Learning-Module. Die Vorteile für Ärzte liegen auf der Hand: Man muss nicht mehr nach Barcelona oder Madrid fahren, sondern kann interessante Vorträge von zu Hause aus live mitverfolgen oder im Nachhinein auf einer E-Learning-Plattform anschauen – zu einer Zeit, die einem gut passt.
Mir schwebt auch für die Ärztetage eine elektronische Begleitung vor, das steht definitiv auf der Agenda für die kommenden Jahre. Ich denke da zunächst einmal an die Entwicklung einer Kongress-App, welche die Teilnehmer mit Informationen zu Programm, Referenten, Tagungsort etc. versorgt. Eine solche App könnte genutzt werden, um das persönliche Programm zusammenzustellen, während eines Vortrags Fragen an den Moderator zu übermitteln oder auch spontane Abstimmungen im Publikum durchzuführen.

Angesichts des großen Angebots an Fortbildungen – was spricht für einen Besuch der österreichischen Ärztetage?

Niedermoser: Ein umfangreiches und vielfältiges Programm, ein ausgewogener Teilnehmermix, eine angenehme Atmosphäre … Aber lassen Sie mich klarstellen: Neben den Ärztetagen gibt es noch viele andere gute Fortbildungsveranstaltungen und das ist auch gut so, denn Pluralität ist ein wichtiger Aspekt in der Fortbildung.

Schöfl: Positiv an den österreichischen Ärztetagen ist für mich, dass sie wenig kommerzialisiert sind. Die Vortragenden bekommen zwar eine Aufwands­entschädigung für Reise und Unterkunft, jedoch kein Honorar. Ich würde mir generell wünschen, dass Fortbildungen mehr von Ärztekammern, wissenschaftlichen Gesellschaften und Standesvertretungen angeboten werden. Eventuelle Gewinne aus Fortbildungsveranstaltungen sollten wiederum in die Fortbildung oder Wissenschaftsförderung investiert werden.