Von Halsschmerzen bis zum Cochlea-Implantat

ARZT & PRAXIS: Der 64. HNO-Kongress fand heuer aufgrund der Pandemiesituation als e-Conference statt. Wie lautet Ihr Resümee?

Univ.-Prof. Dr. Dietmar Thurnher: Bereits Ende Mai standen wir vor der Entscheidung: Sollen wir den Kongress in Analogie zum deutschen HNO-Kongress ausfallen lassen, stattdessen eine physische Veranstaltung im kleineren Rahmen oder eine virtuelle Veranstaltung abhalten? Wir haben uns für die Abhaltung des Kongresses entschieden, die Option einer Präsenzveranstaltung aber verworfen, denn ein Restrisiko bleibt dabei immer bestehen und es stellt sich die Frage, wen man dazu einlädt bzw. wer kommen darf. Es blieb daher letztlich das Format der E-Konferenz übrig, denn nur so konnten wir die Veranstaltung für alle risikofrei zugänglich machen.

Wie ist der Kongress abgelaufen?

Üblicherweise arbeiten wir mit vier Paralleltracks. Bei der e-Conference liefen die Vorträge allerdings hintereinander ab, und zwar von Montag bis Freitag in den Nachmittagsstunden, womit sich die Veranstaltungsdauer gegenüber früheren Kongressen verlängert hat. Das geschah vor dem Hintergrund, den Kollegen die Gelegenheit zu geben, tagsüber zu arbeiten und sich dann am Nachmittag einzuloggen. Insgesamt war es ein schöner Erfolg, die technische Umsetzung ist sehr gut gelungen, wir haben gutes Feedback erhalten und inklusive Vertretern der Industrie haben sich 800 Personen angemeldet. Zum Vergleich: Bei den großen HNO-Kongressen in den Universitätsstädten (Wien, Innsbruck, Graz, Salzburg) sind es um die 1.000 – das heißt, wir haben beinahe Normalstärke erreicht. Die Anwesenheitsraten waren ebenfalls sehr gut. So waren etwa die Arbeitsgruppensitzungen so gut besucht wie noch nie. Dasselbe gilt für die Satellitensymposien der Industrie. Das lag natürlich auch daran, dass es keine Alternative gab. Zudem konnten wir mit einigen E-Formaten Erfahrungen sammeln, die man später teilweise sicher für Präsenzveranstaltungen übernehmen kann.

Wo liegen die aktuellen Herausforderungen der HNO-Heilkunde?

Aktuell ist natürlich COVID-19 ein brennendes Thema, auch weil wir als HNO-Ärzte immer im Aerosol-bildenden Bereich arbeiten. Wir untersuchen Mund, Nase und Rachen. Deshalb sind HNO-Ärzte weltweit betrachtet auch die gefährdetste Medizinergruppe: Global, wenngleich nicht in Österreich, kommen auch die meisten COVID-Todesopfer unter den Ärzten aus dem HNO-Bereich. Man muss dabei bedenken, dass jeder grippale Infekt, jede echte Grippe und eben auch COVID-19 alle ähnlich anfangen – mit Halsschmerzen, ein bisschen Nasenrinnen usw. Wir sind daher die erste Anlaufstelle und müssen darüber nachdenken, wie wir unter all jenen, die mit diesen Symptomen kommen, die Corona-Positiven herausfiltern.

HNO-Erkrankungen gehören zu den häufigsten Diagnosen in der allgemeinmedizinischen Ordination. Wird dieser Umstand in der allgemeinmedizinischen Ausbildung genügend abgebildet?

In der allgemeinmedizinischen Ausbildung ist die HNO seit der Ausbildungsreform nicht mehr Pflicht, sondern freiwillig. Das ist sicher ein großes Problem – vor allem vor dem Hintergrund, dass gerade HNO-Symptome wie Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, aber auch Schwindel sehr häufig sind. Es gibt Statistiken, die besagen, dass bis zu 50 % aller Patienten in der allgemeinmedizinischen Ordination Beschwerden im HNO-Bereich aufweisen. Und jetzt ist dieses Fach, das so einen ausgeprägten Bezug zur Allgemeinmedizin hat, nicht mehr verpflichtend in der Ausbildung abgebildet. Wir haben sowohl über die HNO-Bundesfachgruppe innerhalb der Ärztekammer als auch über die Fachgesellschaft stark gegen diese Änderung angekämpft, allerdings leider ohne Erfolg. Das bedeutet jedoch glücklicherweise nicht, dass sich keine angehenden Allgemeinmediziner mehr auf HNO-Abteilungen ausbilden lassen, denn viele sehen durchaus den Stellenwert dieser Ausbildung für ihre spätere Tätigkeit.

Wie gestaltet sich die Ausbildungssituation in der HNO-Heilkunde selbst? Haben Sie genug „Nachwuchs“?

Natürlich gelingt es eher, jemanden für das Fach zu begeistern, wenn er es auch kennenlernt. Früher sind alle Turnusärzte durch unsere Kliniken und Ausbildungsstätten gegangen, und der eine oder andere ist dageblieben. Eine Entwicklung, die allerdings nicht nur Österreich, sondern den gesamten mitteleuropäischen Raum betrifft, ist, dass sich kaum noch fertig ausgebildete Fachärzte für das Spital rekrutieren lassen – mit dem Ergebnis, dass wir freie Stellen meist als Assistentenstellen ausschreiben müssen. Es existiert also durchaus ein gewisses Nachwuchsproblem. An der Universitätsklinik hat man es vergleichsweise noch leichter. Kleinere Abteilungen schreiben allerdings mitunter Monat für Monat dieselbe Stelle aus. Zum Vergleich: Als ich mich nach dem Studium um eine neun-monatige Karenzstelle beworben habe, war ich damit einer von insgesamt 33 Bewerbern.

Gibt es noch eine Thematik, die Sie gerne ansprechen möchten?

Die HNO-Heilkunde ist ein sehr breites Gebiet: Wir beschäftigen uns sowohl mit einfachen Fragestellungen und Untersuchungen, machen aber auch Hightech-Medizin, die sehr kostenintensiv ist. Beispiele sind etwa Hypoglossus-Stimulatoren oder das Cochlea-Implantat, die bislang einzige Möglichkeit, ein Sinnesorgan zu ersetzen. Zudem findet – sofern sie leistbar ist – die Roboterchirurgie nach und nach Einzug. In der Onkologie tut sich sehr viel; hier sind vor allem die neuen Immuntherapien zu nennen. Es wird also insgesamt immer teurer und es wird herausfordernder, die Finanzierung zu sichern. Hier stellt sich für die Gesellschaft die Frage: Wie viel ist uns die beste verfügbare Medizin wert?

Vielen Dank für das Gespräch!