Multiples Myelom: Wohin führt der Weg?

Univ.-Doz. Eberhard Gunsilius gibt einen Überblick über das Satelliten-Symposium der „Multiple Myeloma Research Foundation“. Die drei folgenden Fragen wurden adressiert:

  1. Triplet oder Quadruplet zur Induktionstherapie?
  2. Zeitlich begrenzte oder Erhaltungstherapie bis Progress?
  3. RRMM: T-Zell-basierte Therapien oder Ausschöpfung der „konventionellen“ Therapien?

Vor und nach den geplant kontroversiellen Vorträgen war ein Abstimmen der Zuseher im Rahmen eines Online-Votings möglich.

CASSIOPEIA (D-VTD) und GRIFFIN (Dara-VRD)

Die CASSIOPEIA-Studie (VTD vs. D-VTD bei transplantablen Patienten) zeigte, dass Patienten mit Hochrisikomerkmalen (ISS III oder Hochrisiko-Genetik) offensichtlich nur begrenzt von einer Zugabe von Daratumumab zu VTD in der Induktionstherapie profitieren, trotz beeindruckenden Benefits bezüglich Remissionsqualität für die Gesamtkohorte (CASSIOPEIA-Studie). Ähnliches sieht man in der GRIFFIN-Studie (Dara-VRD vs. VRD bei transplantablen Patienten). Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu z. B. den Daten der POLLUX-Studie (Dara-RD vs. RD in RRMM), wo sich für diese Gruppe ein Vorteil zeigte. Möglicherweise bringt ein „sequencing“, d. h. der Einsatz von Daratumumab nach der Transplantation, hier Vorteile. Studien, die diese Frage adressieren, laufen bereits. Dr. Richardson merkte an, dass Vierfach-Kombinationen in der Erstlinientherapie auch mit mehr Toxizität behaftet sind, was sich negativ auf den Therapieerfolg auswirken kann. Auch ist der „mutational burden“ der Myelomzellen im Rezidiv nach Hochdosis-Melphalan etwa dreimal höher, was mit zu einem schlechten Langzeit-Outcome beitragen könnte.

Abstimmungsergebnis:
56 % der Befragten würden D-VRD als Induktion geben, vorher waren es 52 %, also ein klares Bekenntnis zu den Vierfach-Kombinationen als Induktionstherapie bei jungen transplantablen Patienten. Patientenbeispiel: 61 Jahre alt, ohne signifikante Komorbiditäten, mit 1q21+ & t(4;14)

Stellenwert der autologen Transplantation

Die frühe autologe Transplantation in der Erstlinientherapie stellt bei Hochrisikopatienten immer noch den Standard dar (siehe z. B. Follow-up-Daten der EMN02/HO95-Studie VMP vs. ASCT, Abstr. 142), bei Patienten mit Standardrisiko wird dieses Vorgehen hingegen durchaus kontrovers diskutiert. So können mit modernen Kombinationen (KRD oder D-KRD) bei einem hohen Prozentsatz der Patienten MRD-negative Remissionen induziert werden, und das Gesamtüberleben mit später Transplantation ist bemerkenswert (8-Jahre-Follow-up der IFM 2009 Studie, Perrot A et al, Abstract 143; nur etwa 75 % der für eine spätere Transplantation geplanten Patienten erhielten dann allerdings tatsächlich diese Behandlung). Daher wird spekuliert, dass in Zukunft möglicherweise (z. B. MRD-gesteuert) bei diesen Patienten auf eine frühe Transplantation zugunsten eines antikörperhaltigen Quadruplets mit entsprechender Erhaltungstherapie verzichtet werden kann. Derzeit wird die frühe Transplantation auch bei Standardrisikopatienten empfohlen.

Abstimmungsergebnis:
Nach diesem Vortrag würden 41 % der Abstimmenden eine Transplantation (Patientenfall wie oben) erst später durchführen; im Gegensatz zu 18 % der Befragten vor dem Vortrag. Ich persönlich sehe dieses Ergebnis kritisch.

Laut Daten aus drei randomisierten Studien besteht unter Lenalidomid-Erhaltungstherapie ein um 26 % reduziertes Risiko für Tod. Dies entspricht einer Verlängerung des Überlebens um etwa 2,5 Jahre bei keiner wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Therapiedauer, MRD-Negativität und Lenalidomid-Erhaltungstherapie

Anhand eines weiteren Fallbeispieles wurden folgende Fragen adressiert:

  1. Dauertherapie oder zeitlich begrenzte Behandlung?
    2. Stopp der Erhaltung bei MRD-Negativität?
    3. Ist Lenalidomid die optimale Erhaltungstherapie für High-Risk-Patienten?

Dr. Stewart aus Toronto belegte anhand von Studien, dass die Erhaltungstherapie für alle Risikogruppen sinnvoll ist und auch bei Patienten mit negativer MRD bis zum Progress durchgeführt werden sollte.

Dr. Lentzsch  diskutierte hingegen anhand vorliegender Daten die folgenden Fragen:

  • Würde mit einer nicht zeitlich begrenzten Erhaltungstherapie nicht ein Teil der Patienten eine (teure) Übertherapie erfahren?
  • Kann im Rahmen einer seriellen MRD-Messung bei negativen Patienten (NGS < 106) eine Beendigung der Erhaltungstherapie gerechtfertigt sein, zumal ein Teil der MRD-negativen Patienten ein sehr langes PFS aufweist?

Abstimmungsergebnis:
Am Ende des Vortrages nahm der Anteil der Abstimmenden, welche die Erhaltung beenden würden, von 43 % auf 55 % zu. Wenn keine zwingenden Gründe für ein Absetzen sprechen, würde ich persönlich das außerhalb von Studien nicht tun. Dieser Meinung waren dann letztendlich auch die Spezialisten in der Diskussion.

Im Rahmen dieser Diskussion wurde festgehalten, dass Lenalidomid nicht die optimale Erhaltungsstrategie für Hochrisikogruppen darstellt. Dr. Richardson setzt hier Proteasominhibitoren ein; Antikörper werden (noch) nicht verabreicht. Konsens bestand darin, dass die MRD-Testung nicht außerhalb von klinischen Studien für Therapieentscheidungen herangezogen werden sollte.

RRMM: Frühe Immuntherapien?

Sollen im RRMM-Setting Immuntherapien früh eingesetzt werden, oder ist eine Ausschöpfung der „konventionellen“ Möglichkeiten vorzuziehen?

Der Patientenfall: Die „Indexpatientin“ war 68 Jahre alt (Zugewinn 1q, t(11;14)) und wurde mittels VRD + ASCT (VGPR) und Lenalidomid-Erhaltung behandelt, bevor sie nach 2,5 Jahren progredient wurde. Dann kamen Dara-Pom-Dex zum Einsatz (→ VGPR), nach 14 Monaten trat erneut ein Progress auf. Zu diesem Zeitpunkt erhielt die Patientin KCD mit PR, nun aber lag eine progrediente Erkrankung vor.

Die Frage lautete: Sollte nun eine T-Zell-basierte Therapie (CAR-T oder BiTEs) zum Einsatz kommen oder weitere konventionelle Therapien?

Adam Cohen von der University of Pennsylvania stellte einige Daten die „konventionellen“ Therapien betreffend vor. Naturgemäß sind die Ergebnisse bei schwer vorbehandelten bzw. mehrfachrezidivierten Patienten enttäuschend. Als Beispiel wurde die STORM-Studie präsentiert (Selinexor) sowie die DREAMM-2-Studie (Belantamab-Mafodotin) und die HORIZON-Studie (Melflufen) mit einem PFS von drei bis vier Monaten. Demgegenüber sind die Remissionsraten und auch die Remissionsqualität bei T-Zell-Therapien beeindruckend, wenngleich die Langzeitdaten noch ausstehen und zum Teil aufgrund der Rezidivrate eher ernüchternd sind. Ein Punkt, der für den früheren Einsatz von T-Zell-basierten Therapien spricht, ist die zunehmende Erschöpfung („exhaustion“) des Immunsystems im Verlauf der Myelomerkrankung.

Dr. Siegel aus New Jersey hielt dagegen und präsentierte z. B. die Bellini-Studie (Venetoclax bei t(11;14) und die Selinexor-Daten. Auch in diesen Studien gibt es Patienten mit einem sehr langen PFS, trotz multipler Vorbehandlungen.

Abstimmungsergebnis:
Dr. Siegel konnte die Zuhörer zum Teil überzeugen: 62 % hätten vor der Diskussion und 46 % würden nach der Diskussion eine T-Zell-basierte Therapie statt einer weiteren „konventionellen“ Behandlung für die „Musterpatientin“ empfehlen (allerdings hatte diese Patientin eine t(11;14), sodass Venetoclax eine valide Option ist).

Insgesamt war die Session sehr lehrreich und hat die neuen Entwicklungen kritisch im Kontext zu den etablierten Therapien dargestellt.

Highlights

Ein Highlight war das 8-Jahre-Follow-up der IFM-2009-Studie: Nach acht Jahren sind mehr als 60 % der Patienten noch am Leben, auch im Kontrollarm mit 8 × VRD ohne primäre Transplantation. 35 % der Patienten im Transplantationsarm erlitten innerhalb dieser Zeit kein Rezidiv. Die ASCT reduziert das Risiko für Progress oder Tod um 30 %. Ein weiteres Highlight waren die zum Teil wirklich außergewöhnlich hohen CR-Raten mittels CAR-T-Zellen bei vorbehandelten Patienten.

Take-Home Messages von Univ.-Doz. Gunsilius:

  • Die ASCT-Frontline bleibt Standard, insbesondere bei einer Hochrisikokonstellation.
  • Weiterhin Lenalidomid-Erhaltung bis zum Progress.
  • Nicht jeder junge Patient braucht unbedingt ein Quadruplet als Induktionstherapie.
  • Die T-Zell-basierten Therapien sollten im Rahmen von Studien unbedingt auch bei uns verfügbar gemacht werden.