Branchengruppenumfrage: Medizinprodukte-Branche geht in Vorleistung

DI Martin Glöckler Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe Diabetes | © Juri Tscharyiski

„Von alleine geschieht gar nichts.“

Was bedeutet für Sie Innovation im Gesundheitswesen?
Innovation bedeutet für mich zunächst die Verfügbarkeit einer neuen technischen Lösung. Aus langjähriger Erfahrung weiß ich aber, dass sich eine Lösung nur dann als Innovation im Gesundheitswesen durchsetzen kann, wenn gewährleistet ist, dass damit effizienter gearbeitet werden kann.
Wer ist verantwortlich, dass Innovationen im Gesundheitswesen gefördert werden und in den Markt kommen?
Von alleine geschieht gar nichts. Es braucht hier den Hersteller beziehungsweise dessen Händler, um den Wert einer Innovation für den Alltag im Gesundheitswesen adäquat darzustellen und bekannt zu machen. Eine Förderung innovativer Lösungen im Sinne einer Refundierung ist ein langer Weg. Vielfach muss daher ein innovatives neues Verfahren oder Produkt zunächst als „Vorleistung“ kostenlos zur Verfügung gestellt werden – ein nicht unbeträchtliches unternehmerisches Risiko.
Wo sehen Sie in Österreich Hürden für Innovation?
Im extramuralen Bereich eindeutig darin, dass keinerlei Verpflichtung zur Dokumentation ärztlichen Handelns besteht. Daraus ist eine Kultur der Beliebigkeit gegeben, die ein stures Festhalten an gewohnten Verfahrensweisen mit sich bringt.
Wo sehen Sie in Österreich Chancen für Innovation?
Meiner Erfahrung nach darin, dass es engagierten Ärzten im Klinikbereich möglich ist, den Einsatz innovativer Verfahren beziehungsweise Produkte – im allerdings begrenzten Rahmen – durchsetzen zu können. Durchaus ein Vorteil des zweigleisigen österreichischen Gesundheitssystems.
Kann Digitalisierung zur Förderung von Innovation beitragen?
Ja, klar! Man denke nur an ELGA, das in Umsetzung befindliche E-Rezept und die zunehmende Verbreitung des Einsatzes von Apps für chronisch Kranke. Damit sind vermehrt Real-World-Evidence-Daten verfügbar – ein sehr wichtiger Faktor zur raschen Durchsetzung von Innovationen.
Ist Innovationsförderung ein Standortfaktor? Wo konkret lässt sich das im Gesundheitswesen festmachen?
Auf jeden Fall. Es braucht aber mehr Know-how unter Investoren zur Risikobewertung neuer medizinischer Verfahren.
Welche Innovationen auf dem Sektor der Medizinprodukte waren für Sie in den letzten Jahren richtungsweisend?
Der Einsatz von Sensoren, sei es auf der Haut bzw. im Gewebe oder als Implantat, zum Beispiel zur Aufzeichnung von Herzrhythmusstörungen oder anderer Vitalparameter.

Mag. Martina Laschet Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Verbandstoffe | © Sebastian Philipp

„Innovationen stecken im Henne-Ei-Dilemma“

Die meisten Wunden, die versorgt werden müssen, sind chronische Wunden. Entgegen der landläufigen Meinung trifft das nicht nur die ältere Generation. Wir haben viele Betroffene im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, die noch mitten im Arbeitsprozess stehen!
Zwei Schwerpunkte, auf denen wir das Augenmerk bei Innovationen richten, sind das Exudatmanagement und das Infektionsmanagement, denn das kann sich rasch zu einem multifaktoriellen Problem auswachsen und hohes Leid, aber auch hohe Kosten nach sich ziehen. Die Industrie ist hier im ständigen Austausch mit den Anwendern und den Entwicklugnsabteilungen, um das Management weiter zu verbessern.
Für den Bereich „Wunde“ und „Kompression“ würde das Thema „Innovation“ sehr viel bedeuten. Die Betonung liegt klar auf „würde“, denn nach wie vor sind wir bei der Erstattung wirklich innovativer Produkte sehr eingeschränkt. Die Mehrheit der Wundpatienten finden wir im Outpatient-Markt. Hier haben wir auch eine hohe Dunkelziffer an nicht behandelten Patienten. Hier ist es aber schwierig, Innovationen in den Markt zu bringen. Einfacher ist das im intramuralen Setting, dort können wir neue Produkte besser testen. Gerade bei Verbandsstoffen arbeiten wir in sehr engem Kontakt mit den Anwendern, um die Rückmeldungen wieder in die Forschung und Entwicklung innovativer, neuer Produkte einfließen zu lassen.
Dennoch: Der lange Weg in die Erstattung ist eine der Haupthürden und da stecken wir im Henne-Ei-Dilemma, ganz zu schweigen von der Frage einer Harmonisierung in einem Land wie Österreich. Die Krankenkassen fragen, ob es Good Practices aus den Anwendungen gibt, Anwendungen werden aber nicht erstattet und im Spital wird gefragt, ob es – wenn Patienten entlassen werden – dann auch erstattungsfähige Produkte für zu Hause gibt. Irgendwo müssen wir anfangen! Wir haben Produkte, für die wir schon jahrelang mit den Kassen verhandeln, und die sind in anderen Ländern längst erfolgreich am Markt. Durch die Preisgestaltung und die langwierigen Zulassungsprozesse haben Innovationen, die Anwendern und Patienten Vorteile verschaffen, dem System Kosten sparen und meist auch hohe Forschungsinvestitionen erforderlich gemacht haben, einfach keine Chance.

Einfache Lösungen, die einerseits die Pflege entlasten, aber auch für die Heimanwendung gut geeignet sind, oder auch Produkte, die eine rasche Diagnose erlauben, halte ich für richtungsweisend in unserer Branche. Es gibt schon Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz, die anhand eines einfachen Fotos erkennen können, wie tief und groß eine Wunde ist, und die Ergebnisse automatisch in eine Wunddokumentation einspielen. Chancen sehe ich aber nur dann, wenn sich die Preisgestaltung verändert und sich der Wert der Innovation im Preis widerspiegeln kann.