Der frühe Vogel …

Die beiden neuen Verordnungen 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) und 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) sind am 25. Mai 2017 bereits in Kraft getreten. Aktuell gelten sie noch parallel zu den alten Regelungen. Ab 26. Mai 2020 für Medizinprodukte – bzw. ab 26. Mai 2022 für In-vitro-Diagnostika – sind die Neuregelungen dann vollumfänglich von allen Unternehmern verpflichtend anzuwenden. Eine nationale Umsetzung ist nicht mehr notwendig, dennoch sind Änderungen im österreichischen Medizinprodukterecht zusätzlich zu erwarten.

Wen betreffen diese Neuregelungen?

Im Grunde jeden, der beruflich mit Medizinprodukten zu tun hat. Betroffen sind sämtliche Unternehmen, die Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika vertreiben, herstellen, importieren, sterilisieren, um- und verpacken, transportieren oder einfach nur bewerben. Zudem sind die Vergabeverfahren und Ausschreibungen anzupassen. Die Neuregelungen betreffen nicht nur Hersteller, sondern im Besonderen auch den Vertrieb: Medizinprodukte müssen künftig stärker durch jeden einzelnen Händler auf Konformität geprüft werden, andernfalls haften die Händler.

Was konkret regeln die MDR und IVDR?

Die Verordnungen bringen weitreichende Änderungen mit sich, wie höhere Anforderungen an Dokumentationspflichten für Hersteller, Importeure und Händler, stärkere Produkthaftungsvorschriften und die Pflicht, qualifizierte Personen im Unternehmen gegenüber Behörden zu benennen, die über qualifiziertes Fachwissen auf dem Gebiet der Medizinprodukte verfügen und die für die Einhaltung der Rechtsvorschiften zuständig sind. Das kann auch an einen Rechtsanwalt ausgelagert werden. Jedes Produkt muss künftig eine eindeutige Produktidentifizierungsnummer (unique device identification; UDI) auf der Verpackung führen. Das soll eine bessere Rückverfolgbarkeit aller Medizinprodukte entlang der gesamten Lieferkette bis zum Endverbraucher oder Patienten gewährleisten.

Worin liegt nun die größte Herausforderung?

Es ist zu erwarten, dass mehr Produkte als bisher als Medizinprodukte qualifiziert und viele Produkte höher klassifiziert werden als bisher und damit strengeren Regelungen unterliegen. Das wird insbesondere Software, Nanoprodukte, stoffliche Medizinprodukte und wiederverwendbare chirurgische Instrumente betreffen. Zudem ist zu erwarten, dass viele Implantate, die bisher in Klasse IIb eingestuft waren, nun die Anforderungen der Klasse III erfüllen müssen.

Was ändert sich speziell für Medizinproduktehändler?

Händler und Importeure müssen der Behörde jederzeit angeben können, an wen sie jedes einzelne Medizinprodukt direkt abgegeben – zum Beispiel verkauft oder vermietet – haben und von wem, das heißt von welchem Hersteller, Importeur oder Händler, sie jedes einzelne Medizinprodukt direkt bezogen haben.
Zudem müssen Händler alle Gesundheitseinrichtungen, Krankenhäuser und Angehörige der Gesundheitsberufe wie Ärzte, an die sie ein Produkt direkt abgegeben haben, benennen können, und dies über eine Periode von zehn bzw. 15 Jahren. Kurzum: Die Lieferkette muss offengelegt werden können. Dies wird in den Warenwirtschaftssystemen entsprechend abzubilden sein und damit wohl auch Teil des einzurichtenden Qualitätsmanagement- und Risikomanagementsystems werden müssen. Das ist ein organisatorischer und rechtlicher Aufwand, zumal auch die entsprechenden Verträge anzupassen und Mitarbeiter zu schulen sind. Händler müssen künftig auch die jeweilige Produktidentifizierungsnummer erfassen und speichern. Alle Hersteller haben eine Liste mit allen vergebenen UDIs zu führen.

Bedeutet das auch, dass künftig Händler ihre Produkte vor Bereitstellung auf dem Markt prüfen müssen?

Ja. Alle Händler müssen zumindest prüfen, ob ein Medizinprodukt eine CE-Kennzeichnung trägt, eine EU-Konformitätserklärung für das Produkt ausgestellt wurde, die notwendigen Informationen dem Produkt beiliegen, wie eine Gebrauchsanweisung in Deutsch, ob eine UDI vergeben wurde und vieles mehr. Dies erfordert zumindest regelmäßige und strukturierte Probenahmeverfahren.

Warum müssen sich Unternehmen jetzt schon mit diesem Thema auseinandersetzen, wenn die Übergangsfristen erst 2020 und 2022 enden?

Unternehmen im Vertrieb oder der Herstellung von Medizinprodukten ist angeraten, zügig Schritte zu setzen, um Gesetzesänderungen überhaupt noch rechtzeitig betrieblich umzusetzen. Schließlich sind alle bestehenden und künftigen Lieferverträge, die Produkte selbst und auch die internen Compliance- und Vigilanzsysteme an den neuen Rechtsrahmen anzupassen.

Welche Konsequenzen sind vorgesehen, wenn Unternehmen nicht rechtzeitig ­reagieren können?

Ein Produkt, das nicht den Anforderungen der neuen Verordnungen entspricht, darf nicht auf dem Markt bereitgestellt werden, bevor die Konformität des Produkts hergestellt ist. Es gibt natürlich gewisse Übergangszeiträume, während denen bereits im Umlauf befindliche Produkte noch abverkauft werden können.

Welche nächsten Schritte sollten Unternehmen setzen?

Bestehende Produkte gilt es zu überprüfen, ob eine Neuklassifizierung notwendig ist und wie lange die bestehenden Zertifikate noch gelten und damit nach 2020 überhaupt verkauft werden dürfen. Es gilt, die vorhandene Produktdokumentation durchzusehen und zu prüfen, ob diese auch künftig noch im Einklang mit den Verordnungen ist. Selbiges gilt für vorhandene klinische Daten, die zu den einzelnen Produkten eingeholt wurden. Die internen Prozesse sind anzupassen sowie die interne Dokumentation, alle Lieferverträge zwischen Händler und Kunde oder zwischen Hersteller und Händler durchzusehen und nachzubessern und auch das betriebsinterne Qualitätsmanagementsystem gilt es womöglich nachzurüsten. Gegenüber der Behörde ist eine qualifizierte Person zu nennen. Zudem gilt es zu prüfen, ob die Produkte auch noch in Zukunft korrekt gekennzeichnet sind. Die rechtlichen Veränderungen werden nur Unternehmen begünstigen, die darauf vorbereitet sind.