Einkäufer sind Keyplayer

Um hier einen nachhaltigen Weg einzuschlagen, müssen Gesundheitssysteme ihre Kosten eindämmen. Dabei sind folgende Vorgangsweisen am effektivsten: Ineffizienzen in der Gesundheitsversorgung und Pflege, die 20 bis 25 % der Ausgaben für das Gesundheitswesen ausmachen, müssen eingedämmt werden und der Fokus muss auf der Gesundheitsvorsorge und nicht Krankenpflege liegen. Mehr gesunde Lebensjahre durch die Stärkung präventiver Maßnahmen sind auch eine zentrale Voraussetzung für eine gute Sozialversorgung und mehr Wirtschaftswachstum in den Ländern.

MEAT schafft Möglichkeiten

Das Beschaffungswesen kann in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle spielen und ein Treiber in Richtung einer wertorientierten Gesundheitsversorgung sein. Ein Beispiel ist die Beschaffung nach dem MEAT-Ansatz (Most Economically Advantageous Tendering), bei dem die EU-Richtlinie zur öffentlichen Auftragsvergabe 2014/24/EU vorsieht, sowohl Qualität als auch Kosten einer Gesundheitslösung im Vergabeprozess zu berücksichtigen (siehe Kasten). Die MEAT-Methode unterstützt das Vorantreiben einer effizienteren Gesundheitsversorgung, insbesondere wenn die Gesamtkosten berücksichtigt werden. Die Auftragsvergabe kann daher ein ausgezeichnetes politisches Instrument sein, um sich den aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen in Europa zu stellen.
Die Medizintechnikbranche hat mit Unterstützung der Boston Consulting Group Best-Practice-Bespiele von führenden Beschaffungsorganisationen in einem Rahmenwerk zusammengefasst: MEAT Value-Based Procurement (MEAT VBP), um den Medizinprodukte-Unternehmen in Europa die Entscheidung hin zu einer wertorientierten Gesundheitsversorgung zu erleichtern.
Der Bericht umfasst Ergebnisse, die für Patienten, Mediziner, Pflegepersonal und andere Stakeholder im Gesundheitswesen wichtig sind, und die dafür notwendigen Kosten und breitere wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte. Das Rahmenwerk umfasst in weiterer Folge verschiedene Ebenen und Kriterien. Die Kriterien gelten entlang des gesamten Beschaffungsprozesses: von der Vorausschreibungsphase – als Anleitung zur Einbindung multidisziplinärer Teams – bis zur Vergabe einer Lösung, bei der die Bereitschaft einer wertorientierten Beschaffung besteht. Die dabei angewendeten Beschaffungsverfahren können Innovationspartnerschaften, Verhandlungsverfahren sowie offene und nicht offene Verfahren sein. MEAT VBP spiegelt damit auch die aktuelle Landschaft der Leistungsversprechen der Medizintechnikbranche wider.
Der Fokus des MEAT-Ansatzes liegt auf der Nachhaltigkeit, die aktuell aber lediglich bei rund 5 bis 15 % der Vergaben Beachtung findet. Dennoch muss es Anreize geben, damit er auf nationaler Ebene verstärkt umgesetzt wird.

Innovationen gezielt fördern

Etwa 60 bis 80 % der Medizinprodukte erreichen den Patienten durch die öffentliche Auftragsvergabe. Es handelt sich daher um eine einmalige Gelegenheit, Innovationen der Branche im Gesundheitssystem zu fördern. Die EU-Vergaberichtlinie gibt durch spezifische Lose und Verfahren, sogenannte Innovationspartnerschaften, gewisse Vorschriften zur Unterstützung von Innovationen vor. Zudem sorgt die vorkommerzielle Auftragsvergabe für Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Anbietern und Einkäufern schon in einer Frühphase von technologischen Ansätzen durch die gemeinsame Entwicklung von Lösungen für gemeinsam definierte Erfordernisse.
In dieser Phase geht es zum Beispiel um die gemeinsame Definition der technischen Spezifikationen und Herausforderungen, die durch die Innovation bewältigt werden sollen. Danach wird durch eine offene Marktkonsultation identifiziert, welche innovativen Lösungen angeboten werden können. Dieser Prozess ermöglicht es, die Kriterien, Messung und die Vergabe von Lösungen zu verfeinern und unterstützt die Bereitschaft, für Innovation auch einen höheren Preis zu bezahlen.
Strukturfonds und EU-Initiativen wie Innovationsförderung im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe (PPI, Public Procurement of Innovation) und die vorkommerzielle Auftragsvergabe (PCP, Pre-Commercial Procurement) sollten die Beschaffung innovativer Lösungen in bestimmten Bereichen fördern. Sie bieten Unterstützungsinvestitionen in spezifischen Bereichen von Gesundheit und Pflege.
So hat zum Beispiel das EU Forschungs- & Innovationsprogramm Horizon 2020 kürzlich einen Zuschuss für das Projekt „European Innovative Procurement of Health Innovation“ (EURIPHI) gewährt. Ziel dieses Projekts ist es, eine praxisbezogene grenzüberschreitende Gemeinschaft zwischen Einkäufern und Anbietern aufzubauen, die eine wertorientierte Beschaffung in den Mittelpunkt stellt. Im Mittelpunkt stehen aktuell zwei Themen: die Schnelldiagnose bei Krankenhausinfektionen der Atemwege sowie die patientenzentrierte Pflege. Andere Initiativen wie das EU-Projekt PIPPI fokussieren auf die Beschaffung digitaler Innovationen im Gesundheitswesen.

 

Faktencheck − „MEAT“
Der MEAT-Ansatz (Most Economically Advantageous Tendering) ist ein zentrales Instrument innovativer öffentlicher Beschaffung und ­ermittelt das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Er erlaubt der beschaffenden Stelle, alle relevanten qualitativen, technischen und sonstige Kriterien in unterschiedlicher Gewichtung in ihre Vergabeentscheidung einfließen zu lassen. Damit steht nicht nur der Preis als Bewertungsmaßstab im Mittelpunkt.
Mögliche Kriterien sind zum Beispiel:
  • (Produkt-/Dienstleistungs-)Qualität
  • Ästhetische und funktionale Eigenschaften
  • Kundendienst und technische Hilfestellung
  • Lieferzeitpunkt, -dauer und Reaktionszeit
  • Kosteneffektivität
  • Technische Leistung, Innovationsgrad
  • Umwelt, Nachhaltigkeit und volkswirtschaftliche Faktoren
  • Anschaffungspreis
  • Betriebskosten
  • Entsorgungskosten
Bei der Betrachtung der Lebenszykluskosten tritt an die Stelle eines möglichst niedrigen Einstandspreises eine Gesamtkostenbetrachtung. Nach dem „Prinzip der langfristigen Wirtschaftlichkeit“ rechtfertigt ein höherer Einstandspreis die mittelfristig niedrigeren Betriebskosten. Dazu sollten alle zukünftigen Kostenkomponenten möglichst quantitativ ermittelt und mithilfe eines risikobewerteten Zinssatzes auf den Entscheidungszeitpunkt diskontiert werden. So können die langfristigen Wirkungen innovativer Leistungen oder Produkte berücksichtigt werden. Lieferanten, die aufgrund innovativer Produkte Rationalisierungseffekte in der Nutzung umsetzen, können so gegenüber Anbietern mit niedrigerem Einstandspreis den Vorzug erhalten.