Es ist, wie es ist…

… oder „ich weiß, dass ich nichts weiß“? Nicht etwa dem Sommerloch ist es zuzuschreiben, dass derartig philosophische Überlegungen im Gesundheitswesen aufgepoppt sind. Wir spüren es längst, doch sprechen es selten so offen an: Wissen ist allgegenwärtig, mächtig und gleichzeitig inflationär und damit zunehmend wertlos. „Jeder hat heute Superkräfte. Sie können jede Frage beantworten, Millionen Menschen auf der Stelle eine Nachricht schicken, einfach unglaubliche Dinge tun“, bringt der Pay Pal-Gründer und Tesla-Chef Elon Musk Fluch und Segen unserer Zeit auf den Punkt. Nicht von ungefähr kommt es daher, dass auch die heurigen gesundheitspolitischen Gespräche im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach ganz im Zeichen von Wissen, Daten und Informationsflut standen. Unter dem Motto der „Neuen Aufklärung“ diskutierten rund 500 Experten über Mythos und Wahrheit in der Medizin und die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung der Branche eröffnen. Themen wie Sicherheit, Transparenz und Fortschritt zogen sich wie ein roter Faden durch die Vorträge und Workshops.

Für Ehrlichkeit und Transparenz sorgte auch das Zitat des finnischen Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. Teppo Järvinen: „Eine retrospektive Analyse der im New England Journal of Medicine zwischen 2001 und 2010 erschienenen Studien mit 363 in der Medizin praktizierten Therapien hat ergeben, dass ein erheblicher Teil dessen, was wir tun, nichts anderes als medizinischer Abfall ist.“ Die Tatsache ist nicht ganz neu, aber selten so erfrischend ehrlich formuliert worden. Schon der amerikanische Mathematiker, Publizist und Nobelpreisträger Samuel Arbesman hat das Thema in seinem Buch „Halbwertszeit von Tatsachen“ ebenfalls aufgegriffen und ist überzeugt, dass sich Fakten laufend ändern und hat dafür den Begriff „Meso-Fakten“ eingeführt. Dazu zählt etwa das Periodensystem der Elemente, das noch vor einigen Jahrzehnten 113 Elemente enthielt, derzeit auf 118 steht und – geht es nach den Japanern – auf 120 ausgeweitet werden soll.

Milliarden gesundheitsrelevante Daten des Einzelnen sollen in Zukunft zu einer „Wolke“ für eine verbesserte Gesundheitsversorgung zusammengeführt werden. „Doch nützt das dem Individuum und der Gesellschaft?“, lautete die Frage, die bei der Eröffnung der Alpbacher Gesundheitsgespräche gestellt wurde. Ab diesem Zeitpunkt schwebte „Big Data“ drei Tage meist wie eine düstere Wolke über dem sonnigen Bergdorf Alpbach und warf ihren Schatten auf so manches Gespräch. Kann ein Mehr an Daten die Diagnose und Therapie revolutionieren oder entsteht nur ein Plus an Information, die nicht automatisch auch zu besserem Output führt? Wie sind diese Datenmengen zu nutzen, zu interpretieren und zu verwalten? Lässt sich dadurch gesundheitsförderndes Verhalten verbessern? Macht uns Big Data gesünder oder zumindest klüger im Sinne von Health Literacy? So offen wie diese und viele andere Fragen waren auch die Gesundheitsgespräche. Konkrete Wünsche und Forderungen an politische Entscheidungsträger, erarbeitet im Thinktank der Experten, blieben heuer erstmals aus. Ein Zeichen, dass die „neue Aufklärung“ das ist, was es ist: eine Besinnung auf die Vernunft, ein Kampf gegen Vorurteile, ein Plädoyer für Toleranz und Emanzipation. Bleiben wir also optimistisch, so wie unsere Vorfahren im Zeitalter der (alten) Aufklärung im 18. Jahrhundert überzeugt waren, dass eine vernunftorientierte Gesellschaft die Hauptprobleme menschlichen Zusammenlebens lösen wird.

Ihr

Philipp Lindinger