Nachhaltigkeit per Gesetz

Mit freiwilligen Maßnahmen scheint man das Ende der Fahnenstange erreicht zu haben. Daher sollen Unternehmen nun verpflichtet werden, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte, wie Kinderarbeit und Ausbeutung von Arbeitnehmern, sowie auf die Umwelt zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern. Passiert es nicht, drohen Haftung und Strafen. Für Unternehmen werden diese neuen Vorschriften zwar Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen, aber auch einen enormen zusätzlichen Aufwand erfordern. Verbraucher und Anleger bekommen hingegen mehr Transparenz. Der auf Vergaberecht und Nachhaltigkeit spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Philipp J. Marboe beschreibt, welche Schritte nun in Österreich zur Umsetzung erforderlich sind und welche Auswirkungen sie auf die Medizinprodukte-Branche haben werden.

Was bedeutet der Vorschlag der EU zu einer Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Hinblick auf Nachhaltigkeit konkret für die Medizinprodukte-Branche?

Die Medizinprodukte-Branche ist seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit vertraut. Ich erinnere an die Bemühungen, die Menge nicht-recycelter Kunststoffverpackungsabfälle zu reduzieren oder bei Medizinprodukten von der Mehrweg- mehr zur Einwegproduktion zu kommen. Ich kann sagen, dass die Branche das Grundanliegen, bei der Produktion und dem Vertrieb von Medizinprodukten natürliche Ressourcen möglichst nachhaltig zu nutzen, absolut teilt. Zugleich muss freilich immer die Patientensicherheit gewahrt sein. Das Neue an der Nachhaltigkeitsrichtlinie ist ein ganzheitlicher Zugang.

Wie sieht es mit einem österreichischen Nachhaltigkeitsgesetz aus?

Nach dem Entwurf der Kommission im Februar 2022 gab es eine große Erwartungshaltung. Durch das „Vorpreschen“ der Deutschen mit ihrem Nachhaltigkeitsgesetz wurde das noch verstärkt. Inzwischen wäre ich etwas vorsichtiger. Offenbar wartet man in Österreich einmal auf die Endfassung der Richtlinie, die ja noch nicht vorliegt. Ich würde auf 2023 tippen. Wenn überhaupt. An sich hat Österreich ja ab Vorliegen der Endfassung noch zwei Jahre Zeit.

Was genau wird von den Unternehmen erwartet?

Die Richtlinie hat das übergeordnete Ziel, die Einhaltung der Menschenrechte sowie des Klima- und Umweltschutzes entlang der gesamten Lieferkette sicherzustellen. Zentrales Element ist eine Sorgfaltspflicht in den Bereichen Menschenrechte und Umweltschutz, die den Unternehmen auferlegt wird. Dazu enthält die Richtlinie konkrete Vorgaben: Sie muss in alle Bereiche der Unternehmenspolitik einbezogen werden. Die Unternehmen müssen bestehende und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ausfindig machen und beheben. Darüber hinaus verpflichtet die Richtlinie die Unternehmen zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens. Jeder soll berechtigte Bedenken melden können, wenn er negative Auswirkungen auf Menschenrechte und die Umwelt infolge der Geschäftstätigkeiten des Unternehmens vermutet. Weiters müssen Unternehmen die Wirksamkeit ihrer Nachhaltigkeitspolitik und -maßnahmen regelmäßig überprüfen. Schließlich verpflichtet die Richtlinie Unternehmen, jedes Jahr öffentlich über ihre Tätigkeiten in Zusammenhang mit ihrer Sorgfaltspflicht zu berichten.

Welche Unternehmen sind von der Nachhaltigkeitsrichtlinie umfasst?

In einer ersten Stufe sind Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigen und 150 Mio. Euro Umsatz betroffen. Zwei Jahre später gilt die Richtlinie dann auch für Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und 40 Mio. Umsatz in Branchen, in denen typischerweise ein hohes Risiko von Menschenrechtsverletzungen besteht. Klein- und Mittelbetriebe fallen nicht unter die Richtlinie. Doch auch sie können als Teil der Wertschöpfungskette betroffen sein. Indirekt über die Verpflichtungen, denen die großen Unternehmen unterliegen. Das gilt ganz besonders für die stark exportorientierte österreichische Wirtschaft. Daher sieht die Richtlinie auch eine spezifische Unterstützung für KMUs vor, etwa durch Orientierungshilfen oder Maßnahmen, die KMUs dabei unterstützen sollen, sukzessive Nachhaltigkeitserwägungen in ihre Geschäftstätigkeiten zu integrieren.

Wie können Betriebe unterstützt werden?

Nach meiner Erfahrung hat sich eine strukturierte Herangehensweise bewährt. Wir empfehlen die Erstellung von Nachhaltigkeitsleitfäden in drei Stufen: An erster Stelle steht eine Bedarfserhebung. Wie ist der Status quo im Betrieb? Was muss gemacht werden, um die Verpflichtungen der Richtlinie zu erfüllen? Dann folgt das Kernstück der Richtlinie: die Strategie des Unternehmens in Zusammenhang mit der Nachhaltigkeits-Sorgfaltspflicht. Hier sind alle Regeln und Grundsätze bzw. Maßnahmen und Mechanismen festzulegen, die im Unternehmen gelten sollen. Eine Art Kompass und Verhaltenskodex. Die dritte Stufe ist die Implementierung und das Monitoring.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in der Erstellung eines Nachhaltigkeitsleitfadens?

Wenn man einen Leitfaden für eine große Gruppe von Betrieben erarbeitet, ist es nach meiner Erfahrung die größte Herausforderung, einen „universellen“ Leitfaden zu erstellen. Er muss für alle Betriebe gut passen und trotzdem auf gewisse Unterschiede wie Größe oder Produktportfolio eingehen. Insgesamt gilt: Je weiter man in der Liefer- bzw. Wertschöpfungskette geht, desto schwieriger wird es, insbesondere dort, wo es keine etablierte Geschäftsbeziehung gibt oder keine direkten vertraglichen Beziehungen bestehen.

Wo kann es für die Unternehmen Quick Wins geben?

Der unmittelbarste Vorteil für die Unternehmen liegt meines Erachtens in der Bewusstseinsbildung. Wird Nachhaltigkeit ein Teil des betrieblichen Alltags, gibt das den Unternehmen einen großen Schub und sorgt für eine gewisse Aufbruchsstimmung.

Welche Themen erfordern langfristige Vorbereitung und Bearbeitung?

Am langfristigsten und aufwendigsten wird es zweifellos in den Bereichen, die in der Wertschöpfungskette am weitesten weg liegen. Ansonsten wird es davon abhängen, wie weit ein Unternehmen bisher schon in der Materie eingearbeitet ist und ob es Mitarbeiter gibt, die sich damit bereits auskennen.

Wie können Unternehmen mithilfe ihrer Beschaffung auf Nachhaltigkeit einwirken?

Unternehmen können bei ihrer Beschaffung Nachhaltigkeit berücksichtigen, etwa mithilfe des Aktionsplans zur nachhaltigen Beschaffung (naBe-Aktionsplan), der unter der Verantwortung des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) steht. Darin werden Nachhaltigkeitskriterien in 16 verschiedenen Beschaffungskategorien aufgezeigt, an denen sich Unternehmen orientieren können. Für Unternehmen ist das freiwillig, für öffentliche Auftraggeber des Bundes verpflichtend. Die Nachhaltigkeitsrichtlinie trägt sicher dazu bei, das Bewusstsein in der Wirtschaft generell zu stärken. Davon profitieren letztlich alle Player.