Sicherheit ist oberstes Gebot

Wo sehen Sie die größten Chancen und Herausforderungen für das heimische Gesundheits­wesen in der Umsetzung der MDR und IVDR?

Unter Gesundheitswesen werden im Nachfolgenden Gesundheitseinrichtungen zusammengefasst, deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patienten oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht. Der Hauptteil der Anforderungen für Gesundheitseinrichtungen ergibt sich aus den nationalen Gesetzen. Nur ein geringer Teil der Anforderungen ist auf die Verordnungen zurückzuführen.
Ein wesentlicher Teil der Verordnungen ist die Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten mittels UDI-Systems (Unique Device Identification System). Dadurch sollen sicherheitsrelevante Aktivitäten, wie beispielsweise eine bessere Berichterstattung bei Vorkommnissen und gezieltere Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld, gestärkt werden. Gesundheitseinrichtungen nehmen eine wesentliche Rolle ein, damit Erfahrungen aus dem Markt zu Verbesserungen bei Produkten führen und auch in weiterer Folge unsichere Produkte schnellstmöglich identifiziert und vom Markt genommen werden.

Was wird sich nach 2020/22 verändert haben?

Zukünftig stehen detailliertere Daten zu den auf dem europäischen Markt befindlichen Medizinprodukten zur Verfügung. Dies ist möglich, da die Produkte in der europäischen Datenbank EUDAMED registriert sein müssen. Der Öffentlichkeit – insbesondere Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe – wird es auch ermöglicht, einen angemessenen Zugang zu den Daten in EUDAMED zu erhalten. Die Rückverfolgbarkeit mittels UDI-Systems wurde bereits in der vorangegangenen Fragestellung erörtert.
Die bereits begonnene europaweite Harmonisierung bei der Benennung und Überwachung der Benannten Stellen wird weiter ausgebaut sein.
Bei klinischen Prüfungen, die in mehreren Mitgliedsstaaten durchgeführt werden, sieht das derzeitige Regelwerk keine Koordination unter den Mitgliedsstaaten vor. Durch das koordinierte Verfahren für klinische Prüfungen kann jedoch zukünftig bei klinischen Prüfungen, die in mehreren Mitgliedsstaaten durchgeführt werden, der Antrag zentral mit einem Mitgliedsstaat abgehandelt werden. Im Bereich der Marktüberwachung ergibt sich eine Vereinfachung beim Ergreifen von Maßnahmen durch die zuständigen Behörden, um ein einheitliches Schutzniveau für Patienten und Anwender EU-weit sicherzustellen.

Patientenschutz und Patientenwohl haben höchste Priorität im Medizinprodukterecht. Verhindert „zu viel“ Regulierung, dass Innovationen überhaupt noch Platz haben?

Der bestehende Rechtsrahmen ist seit 20 Jahren in Kraft und bedurfte, mitunter aufgrund des technischen Fortschritts, einer Überarbeitung. Zwei Stoßrichtungen der neuen Verordnungen sind die Sicherstellung eines hohen Maßes an Schutz für die Gesundheit und Sicherheit der Menschen sowie die Schaffung eines Rechtsrahmens, der Innovationen fördert und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Medizinprodukte-Industrie verbessert.
Innovation kann durch verschiedene Faktoren im System beeinflusst werden. Beispielsweise wurde die Idee einer zentralen Marktzulassung auf EU-Ebene unter anderem aufgrund der Innovationstätigkeit im Hinblick auf die Vorlaufzeit von Produkten bis zur Marktreife verworfen. Regelungslücken, wie beispielsweise von Medizinprodukten, die mittels nicht lebensfähiger menschlicher Gewebe oder Zellen hergestellt werden, wurden geschlossen, um Rechtssicherheit zu schaffen, was Innovation fördert. Mit Einführung der koordinierten Bewertungsverfahren für länderübergreifende klinische Prüfungen müssen die Unterlagen nicht in jedem Mitgliedsstaat eingereicht werden. Die zentrale Bearbeitung des Antrags soll vermeiden, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Zusatzinformationen von den jeweiligen Mitgliedsstaaten angefordert wird. Dadurch soll sich der Verwaltungs- und Kostenaufwand für den Sponsor/Hersteller reduzieren, was wiederum Innovationen erleichtern soll.

Es gibt Studien, die eine drastische ­Markteinschränkung vorhersagen. Wie beurteilen Sie diese Befürchtungen?

Der neue Rechtsrahmen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika trat mit Mai 2017 in Kraft und gilt ab Mai 2020 bzw. Mai 2022. Somit wurde durch das gesetzgebende Organ eine Vorlaufzeit von drei bzw. fünf Jahren festgelegt. Darüber hinaus wurden Übergangsfristen bis Mai 2024 bzw. Mai 2025 festgelegt, in denen eine Vielzahl von Medizinprodukten, die derzeit den Richtlinien entsprechen, noch weiterhin in Verkehr gebracht werden können.
Als eine der größten Herausforderungen wird die zeitgerechte Benennung von ausreichend Benannten Stellen gesehen. In der Vergangenheit wurden signifikante Unterschiede bei der Benennung und Überwachung der Benannten Stellen einerseits sowie bei der Qualität der von ihnen durchgeführten Konformitätsbewertung andererseits festgestellt. Um eine europaweite Harmonisierung in der Konformitätsbewertung von Benannten Stellen weiter voranzutreiben, wurde der Benennungsprozess weiterentwickelt, indem die Bewertung durch ein gemeinsames Bewertungsteam – bestehend aus der zuständigen Behörde, der Europäischen Kommission und anderen nationalen Experten – anhand klarer Kriterien erfolgt. Dies erfordert jedoch wiederum personelle und zeitliche Ressourcen, um die gewünschte Harmonisierung zu ermöglichen. Daraus ergeben sich entsprechende Verfahrenszeiten bis zur finalen Benennung. Dies birgt eine Herausforderung für Hersteller, die nicht von den Übergangsfristen erfasst sind und schnellstmöglich in ein Konformitätsbewertungsverfahren mit einer Benannten Stelle eintreten wollen. Die Hersteller sind daher gefordert, rechtzeitig einen Vertrag mit einer Benannten Stelle zu schließen und die technische Dokumentation für das anstehende Konformitätsbewertungsverfahren bestmöglich vorzubereiten, um das Verfahren vonseiten des Herstellers schnellstmöglich und erfolgreich führen zu können.